
TOM LIWA – 20 Power Hits
2025 (Misitunes/Hanseplatte) - Stil: Singer-Songwriter
Tom Liwa hat das getan, was er eigentlich nie tun wollte: eine Best-of. Und wie immer, wenn der Duisburger Eigenbrötler etwas „eigentlich nie tun wollte“, ist das Ergebnis nicht das, was man erwartet, sondern das, was man gebraucht hat.
´20 Power Hits´ heißt das Doppelvinyl, das streng genommen 21 Songs enthält. Natürlich. Denn Tom Liwa war immer schon einer, der sich ungern an Zahlen, Strukturen oder Marketingbegriffe hält. Dass der Titel dabei ironisch auf die alten K-Tel-Compilations der Siebziger verweist, ist typisch – ein Augenzwinkern Richtung Vergangenheit und gleichzeitig eine Verbeugung vor der eigenen Gegenwart. Hier geht es nicht um „Hits“ im Radio-Sinn, sondern um Songs, die überlebt haben, weil sie was zu sagen haben.
Seit vier Jahrzehnten schreibt Tom Liwa Musik, die nicht glatt sein will. Ob mit den FLOWERPORNOES, mit SUNDOWN, Mikrosaivo oder solo. Seine Songs sind Gedankengänge mit Gitarren, manchmal Predigten, manchmal Liebesbriefe, manchmal beides zugleich. Er war nie der Lauteste, nie der Einfachste, aber einer, den man über die Jahre immer wiederfindet, irgendwo zwischen Kopf, Herz und Tinnitus.
Die Platte beginnt leise, fast scheu, mit ´Wovor hat die Welt am meisten Angst´, mit Akustikgitarre, pure Verletzlichkeit, null Pathos. Danach schiebt sich ´Julianastraat´ ins Bild, Bandgefühle, warmer Groove, leichtfüßig, wie eine polierte alte Erinnerung. Mit ´Rock’n’roll´ öffnet sich der Vorhang ganz, die FLOWERPORNOES in voller Fahrt, Gitarren und Dreck. Dann wieder ein Moment des Innehaltens, ´Schuld´ bleibt zart und wuchtig zugleich, bevor ´Ich mag Kopfschmerzen´ loslegt, eine Hymne für alle, die das Chaos lieben, weil sie wissen, dass man daraus lebt.
Ein Sprung ins Englische bringt ´Zen Rebel´, raue Aufnahme, Patina im Klang, aber immer noch brennend. Man hört, dass Tom Liwa schon früh kein Mitläufer war. Auch ´I’m Not Deep´ mit SUNDOWN schwebt leicht und süß durch den Raum, eine andere Facette seines englischen Ausdrucks.
In den Neunzigern entfaltet sich die große FLOWERPORNOES-Phase. ´Titelstory gegen ganzseitige Anzeige´ röhrt und rechnet ab, während ´Stadion´ klingt, als hätte jemand Americana durch Duisburg gejagt. Dazwischen die stillen Klassiker ´Lieber als hier´ und ´Herz aus Stein´, melancholische Schwergewichte, die zeigen, dass Schmerz auch Schönheit sein kann.
´Dein Wille geschehe´ aus 2012 zieht alle Stecker, Gitarre und Geige, fast ein Gebet. ´Eh egal´ bringt zwischendurch diese angenehme Gleichgültigkeit ins Spiel, Tom Liwa und DIE BLAUEN FLECKEN mit trockenem Humor und warmem Puls, der perfekte Gegenpol zu ´Für die linke Spur zu langsam´, schnell gespielt, innerlich entschleunigt. Uptempo-Melancholie, Tom Liwas Spezialdisziplin.
Das Spätwerk öffnet neue Perspektiven. ´Federkleid´, schillernd, ein Song, der zwinkert, wo andere weinen. ´Malmö 1948´, Flöte getragen, episch, sphärisch, zwischen Jazz und Jenseits. ´Bismo´ spartanisch und punktgenau, ´Indie Lo-Fi´ rumpelig, charmant, verbeult, aber ehrlich.
Ganz am Ende steht ´Schon wieder Februar´, episch, groß, erwachsen und doch offen. Fast schüchtern dazwischen das neue ´Die I Threes singen´, nur Gitarre, Shalala, Zuversicht, ein bisschen Naivität, viel Wahrheit, vielleicht das schönste Happy-End, das Liwa sich selbst je geschrieben hat.
Über 30 Alben machen die Auswahl zu einem Minenfeld, aber Tom Liwa hat seine drei Kriterien angewendet – Reichweite, Publikumsliebling, Mike-Krollmann-Magie. Keine Charts, keine Verkäufe, kein Kalkül. Nur Songs, die geblieben sind. Just killers, no fillers, und diesmal stimmt es.
Musikalisch spannt ´20 Power Hits´ einen Bogen über vier Jahrzehnte deutscher Indie-Kultur von vernebeltem Lo-Fi bis hin zu himmelklarem Folkpop. Dazwischen hört man das Rauschen einer ganzen Künstlerbiografie, den Typ, der nie aufgab, nie ins System passte und trotzdem immer da war.
Das Artwork von Saskia, ein wimmelndes Brutalismus-Memory, fängt Tom Liwas Humor perfekt ein – verschachtelt, eigen, ein bisschen verschroben, aber voller Herz. Der Mann, der sich selbst mal wie die alte Post auf Amrum fühlte, nimmt sich nicht zu ernst, die Musik dafür umso mehr.
´20 Power Hits´ ist keine Nostalgie-Schau, sondern ein Statement, ein Album über das Überleben, über Haltung und über die Schönheit des Unperfekten. Tom Liwa war nie der Schnellste auf der linken Spur, aber er fährt immer noch, wenn andere längst ausgestiegen sind.