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MY SOLID GROUND – My Solid Ground

1971/2025 (MiG Music) - Stil: Krautrock

Manchmal stolpert man in die Archive der deutschen Rockgeschichte und hebt einen Brocken aus, der aussieht wie ein alter Eisenklotz, und plötzlich – zack! – leuchtet er wie ein gelber Stern. ´My Solid Ground´ ist so ein Teil.

Ursprünglich 1971 auf “Bacillus Records” erschienen, aufgenommen in den Kölner Dierks-Studios, verschluckt vom Strudel der Zeit – und doch immer wieder auferstanden. 1997 war es das Label “Second Battle”, das uns zu spät geborene mit einer Neuauflage des Debütalbums von MY SOLID GROUND erlöste. Seitdem kommt das Werk in fast mythischen Zyklen zurück, Vinyl-Pressungen tauchen immer wieder auf. Zuletzt brachte “MiG Music” 2024 eine LP und legte 2025 noch eine CD-Veröffentlichung nach.

Denn dieses Album scheint wie ein Phönix – jedes Jahrzehnt brennt es kurz hell auf und zieht neue Hörer in seinen Bann. Ein einmaliges Werk, ein Monolith – mehr brauchte diese Band nicht, um Krautrock-Legendenstaub zu hinterlassen..

MY SOLID GROUND wurden 1968 in Rüsselsheim von einem gerade mal 14-jährigen Gitarristen gegründet. Bernhard Rendel, ein jugendlicher Klangfanatiker, der seine Eltern schon früh das Wohnzimmer zur Proberaum-Zone umbauen ließ, führte MY SOLID GROUND mit wechselnden Besetzungen, aber unbeirrbarer Energie, zur großen Stunde: 1970 die 25-minütige ´Flash´-Session für den Südwestfunk-Wettbewerb, Platz zwei und Plattenvertrag in der Tasche. 1971 dann die LP – ein einziger Trip zwischen heavy und himmlisch. Danach das übliche Krautrock-Karussell: Musiker raus, Musiker rein, Pläne für ein zweites Album, aber die Sterne standen schlecht. 1974 war Schluss.

Doch was bleibt, ist dieses Album, das mit den legendären 13 Minuten von ´Dirty Yellow Mist´ beginnt. Ein Brodeln aus Orgel, düsterem Gitarrenriff, wabernden Nebeln, als würde man durch gelbe Rauchschwaden in eine andere Dimension stolpern. Langsame Drums, pulsierende Bassfiguren, gespenstische Stimmen, beschwörende Chants, ein Gitarrenton, der sägt, kratzt und schneidet. Fast wie PINK FLOYD auf Valium und schon im Ansatz so frei wie es Bands à la THIRSTY MOON wenig später ausformulieren sollten. Zwischendrin Piano-Einsprengsel, female Vocal-Echos, alles im Kreis drehend. 13 Minuten, die sich wie eine Ewigkeit und doch wie ein Augenblick anfühlen – der ultimative Krautrock-Trip.

Doch es geht mit einem kurzen Funken aus dem eigentlich riesigen ´Flash´-Universum weiter, mit dem Zweiminüter ´Flash Part IV´, mit Proto-HAWKWIND-Feeling und heftig gezupfte Gitarren, die nach vorne preschen. Leider enthält das aktuelle CD-Reissue nicht die vollständige 24-Minuten-Version von ´Flash´ als Bonus wie die 1997er Veröffentlichung von “Second Battle”. Ein kleiner Ausschnitt bleibt, der neugierig macht auf die eigentliche Mammut-Komposition.

Dann wird es ruppig, fast schon proto-punkig. Bei ´That’s You´ schreit es zu Aggro-Gitarren „Do you wanna die“ aus den Boxen, so als hätten MC5 in Frankfurt zwischengeparkt. Doch der Abstieg in finstere Keller der City folgt mit ´The Executioner´. Echo-Gesang, ein Erzählton, der mehr droht als singt, während Gitarren wie Peitschenhiebe durch die Luft schneiden. Orgel-Stiche, verzerrte Riffs, eine düstere Atmosphäre. Sinisterer Krautrock geht kaum.

Etwas Licht lässt ´Melancholie´ zu, instrumental, halb-akustisch, Piano und Gitarre verschränken sich in einem elegischen Tanz. Sanfte Drums, ein Streifen blauer Himmel, fast wie ein einsamer Spaziergang im Morgennebel. Wieder zurück in der Realität. ´Handful Of Grass´ bietet mit Folk-Anklängen, Gesang und Gitarre, ein Stück erdige Wärme. Nicht spektakulär, aber wie barfuß über Sommerwiesen laufen.

´Devonshire Street W1´ schenkt noch einen Ausflug nach London. Urbaner im Sound, mit rohem Gitarrenton, fast schon straßenstaubig. Den regulären Abschluss bildet ´X´, flirrend, treibend, ein ständiges Auf und Ab von Gitarrenattacken und Ruhephasen. Ein letztes Flimmern, bevor sich nach 35 Minuten dieses kleine Universum wieder schließt.

Der Reiz von ´My Solid Ground´ liegt genau in diesem Kontrast. Auf der einen Seite das epische, trippige ´Dirty Yellow Mist´, sozusagen ein ganzer Krautrock-Kosmos in einem Stück. Auf der anderen Seite kürzere, teils ziemlich straighte Hardrock-Nummern, die irgendwo zwischen Proto-Metal, Folk und Garagen-Rock mäandern. Aber genau dieses Schwanken macht das Album so spannend. Es ist, als hätte ein 14-jähriger Gitarrist das deutsche Rock-Universum in der Hand gehabt und mal kurz in verschiedene Richtungen gedreht.

Heute, über 50 Jahre später, wirkt das Werk wie aus der Zeit gefallen, aus einer Ära, in der deutsche Bands noch suchten, stolperten und flogen. ´My Solid Ground´ ist roh und ungeschliffen, aber voller Energie und Mut. In seiner Einzigartigkeit zählt es zu den kultigsten Artefakten der Krautrock-Ära. ´Dirty Yellow Mist´ allein rechtfertigt den Kultstatus, ´The Executioner´ und ´Melancholie´ tun ihr Übriges. Einmal ins gelbe Krautrock-Nebelmeer eintauchen – und man kommt verändert wieder raus.

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