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CEA SERIN – The World Outside

2025 (Generation Prog Records) - Stil: Prog Metal

Elf Jahre Stille. Elf Jahre, in denen Jay Lamm jede Note im Kopf hin- und hergewendet hat, bis sie im genetischen Code seiner Musik verankert war. Und nun erscheint endlich ´The World Outside´. Ein Werk, das nicht weniger als 70 Minuten dauert, aufgeteilt in sechs gewaltige Epen und keine einzige Komposition unter zehn Minuten. Schon diese nackten Zahlen klingen nach Maßlosigkeit im besten Sinne. Doch wer CEA SERIN bereits von den beiden Vorgängerwerken kennt, weiß um diese kompromisslose Hingabe an Kunst, an Vision und an Klang.

CEA SERIN, 1997 gegründet, haben sich immer schon außerhalb jeder Genre-Schublade bewegt. Mastermind Jay Lamm prägte den Begriff „Mercurial Metal“ für sie, weil ihr Stil irgendwo zwischen progressivem US Metal, einem Hauch von melodischem Death, von Klassik, New Age und cineastischem Storytelling siedelt. Dass Jay Lamm sowohl CARCASS als auch YANNI, sowohl SARAH McLACHLAN als auch AT THE GATES als prägende Einflüsse nennt, ist kein Widerspruch, es ist die Proklamation einer Band, die ihr eigenes Reich errichtet.

Jay Lamm selbst hat es einmal so umschrieben: Nimm die frühen Jahre von DREAM THEATER, mische sie mit dem Tempo und Riff-Stil von AT THE GATES – und du hast den aktuellen Sound von CEA SERIN. Doch das Bild wäre unvollständig ohne zu erwähnen, dass der Ausnahmemusiker zugleich ein glühender YANNI- und LORD BANE-Fan ist. Diese eigenwillige Mischung macht das Fundament seiner Kompositionen aus – der Wille, die Gegensätze nicht zu glätten, sondern sie in epische Spannung zu verwandeln.

´Where None Shall Follow´ (12:09) eröffnet das Album wie eine gewaltige Pforte in eine andere Welt. Zartes Piano, sphärische Synthesizer und dann ein Ausbruch: sägende Gitarren, donnernde Drums, harsche Vocals. Der Refrain trägt die heroische Botschaft eines Einzelgängers, der seinen eigenen Weg geht: „to stride where none shall follow“. Schon hier zeigt sich die exponierte Stellung dieses Albums,  die Verschmelzung von Fragilität und Härte, von introspektiver Melancholie und brachialer Entschlossenheit.

´The Rose On The Ruin´ (10:22) – ein Monument aus schimmernden Gitarrenwänden, subtilen Pianospuren und einem Refrain, der zugleich bittersüß und grandios klingt. Gastvokalistin Steffi Cannelli verleiht dem Song eine dramatische Schönheit, die an heilige, theatralische Orte erinnert. Es ist ein Lied über verschwendetes Potenzial, über den Preis des schnellen Ruhms – und klingt dabei wie ein warnendes Epos.

Mit ´Until The Dark Responds´ (12:39) entfalten CEA SERIN ihr ganzes Arsenal. Sanfter Beginn, dann ein Strudel aus finsteren Riffs, harschem Gesang und majestätischem Chorus. Hier treten die Gastmusiker wie Gestalten aus einer anderen Dimension hervor: Gitarrensoli von João Miguel, Steve Blaze und Vick LeCar, Harfenklänge von Cecillia Cuccolini, Violinenglanztöne von Coen Strouken. Diese Fülle an Stimmen und Farben macht die Komposition zu einem Kosmos in sich – dicht, überwältigend, voller Details, die sich erst nach einigen Durchläufen erschließen.

´All The Light That Shines´ (13:31) beginnt mit Flüstern, gefolgt von Klavierakkorden, die wie Sternenfunken im Dunkel schweben. Dann explodieren die Gitarren – Manuel Acevedo sorgt für ein glühendes Solo. Der Refrain trägt fast schon hymnischen Charakter: ein Ruf nach Erkenntnis, nach Selbstbestimmung, nach dem Leuchten, das jeder Mensch in sich trägt. Es ist vielleicht der melodischste Moment der Platte und zugleich einer der emotionalsten.

´When The Wretched And The Brave Align´ (11:13) pulsiert härter, treibender. Rory Faciane feuert mit seinem Schlagzeug ein rhythmisches Inferno, Andy Gillion kehrt zurück mit messerscharfen Gitarrenlinien. Der Refrain klingt wie ein Schlachtruf, eine Hymne an jene, die sich nicht beugen, sondern den Vorhang zerreißen.

Und schließlich ´Wisdom Of The Aging Fathers: Three Regards To Reason´ (10:08) – das finale Kapitel, getragen von der Gitarre des Spaniers Dann Hoyos. Es ist ein Song über das Erbe, über die Lehren der „drei Väter“ – biologisch, beruflich, ideologisch – und darüber, wie man ihr Wissen aufnimmt, ohne darin gefangen zu bleiben. Musikalisch ist es eine Reise voller Spannungsbögen, Crescendi, eruptiver Ausbrüche. Ein würdiger Abschluss, der mehr Fragen stellt, als er beantwortet und genau deshalb nachhallt.

Jay Lamm und Rory Faciane haben mit Unterstützung ihrer internationalen Gästeliste ein Album geschaffen, das zwischen Prog, Extremmetal und klassischer Komposition oszilliert, ohne je seinen roten Faden zu verlieren. ´The World Outside´ ist kein einfaches Unterfangen. Es ist ein Werk, das fordert, das Geduld verlangt, und dafür eine Tiefe bietet, wie sie heute selten geworden ist.

Es gibt Alben, die man hört. Und es gibt Alben, die man erlebt. ´The World Outside´ gehört zweifellos zur zweiten Kategorie. Ein Monumentalwerk, das gleichermaßen Kopf, Herz und Instinkt fordert. CEA SERIN haben ihr Opus Magnum erschaffen. Und es ist nichts weniger als ein Triumph von epischem Ausmaß.

DREAM THEATER, QUEENSRŸCHE und FATES WARNING gehören der Vergangenheit an – Jay Lamm zeigt, wie US Prog Metal 2025 klingen muss.

(10 Punkte)

https://generationprog.bandcamp.com/album/the-world-outside
https://www.facebook.com/CeaSerinMusic

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