
SARAH WILSON – Incandescence
2025 (Brass Tonic Records) - Stil: Jazz
Sarah Wilsons neuestes Werk ´Incandescence´ glüht aus dem Inneren heraus, in dem Klang, Bewegung und gelebte Geschichte miteinander verschmelzen. Die Trompeterin und Komponistin legt kein gewöhnliches Jazzalbum vor, sondern eine organische Einheit aus gelebter Kunst, gelebter Gemeinschaft und einer tief empfundenen künstlerischen Vision.
Bevor Sarah Wilson zur Trompete fand, bewegte sie sich durch die Welten des Straßentheaters, des Puppenspiels, des politischen Ausdrucks auf Asphalt und Bühnen. Ihre Musik atmet bis heute diesen kollektiven Geist. Man spürt ihn in der Art, wie sie komponiert, die stets offen für das Unerwartete ist. Ihre Erfahrungen mit dem Bread-&-Puppet-Theater, mit Marschkapellen und mit New Orleans-Paraden pulsieren weiterhin im Untergrund jeder Phrase, jedes motivischen Spiels.
´Incandescence´, aufgenommen mit ihrem Sextett Brass Tonic, ist ein Album, das sich den Raum nimmt und zum Hinhören einlädt. Die Stücke scheinen sich Schicht für Schicht aufzubauen, Farbe auf Farbe, Klang auf Klang, wie die Gemälde des Wiener Künstlers Thomas Reinhold, der Sarah Wilson während eines Stipendiums in Krems begegnete. Jede Stimme in der Band – von Kasey Knudsens Altsaxophon über Mara Fox’ Posaune bis zur Gitarre von John Schott – bekommt dabei in jeder Schicht ausreichend Luft. Und Lisa Mezzacappa am Bass hält das Ganze auf einem Fundament, die Schlagzeuger Jon Arkin und Tim Bulkley halten das Ganze im Fluss.
Der Eröffnungstrack ´Architecture In Space´ ermöglicht Trompete und Saxophon als Ausdruck von Beziehung, sich zu begegnen, zu tanzen und wieder auseinanderzugehen. In ´Hopeful Sorrow´ klingt Sarah Wilsons Trompete nach Aufbruch und Abschied, nach Trauer, die Hoffnung in sich trägt. In ´Music Appears To Stand Still´ wird Zeit gedehnt, fast aufgehoben. Ein Stück, das weniger vom Fortschreiten lebt als vom Schweben. ´Dancing With Cierra´ ist nicht oberflächlich fröhlich, sondern durchdrungen von jener Freude, die auch Verletzlichkeit kennt. Und der Titeltrack ´Incandescence´ glüht von innen. Es ist eine Musik, die nicht schreit, sondern leuchtet.
Der konsequent kollektive Ansatz macht ´Incandescence´ so besonders. Nichts und niemand will dominieren. Selbst die Soli entstehen aus dem Zusammenspiel des Ensembles heraus. Dass Sarah Wilson mit einer rein weiblichen Hornfront arbeitet, ist kein bloßes Statement, sondern eine hörbare Entscheidung für andere Stimmen, andere Perspektiven, ein anderes Miteinander. Sarah Wilson sagt, Musik müsse tanzen können. Und ´Incandescence´ tanzt. Manchmal auf der Stelle, manchmal im Kreis, manchmal in weiten Schritten durch Raum und Zeit. Es ist Musik, die etwas Seltenes schenkt. Ein Gefühl von Zugehörigkeit – zur Musik, zur Welt und zum Moment.
(8,5 Punkte)
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