
JOAN BAEZ – Diamonds & Rust
1975/2025 (UMG Recordings/Analogue Productions) - Stil: Folk Rock
Wenn Erinnerungen zu Liedern werden und Schmerz sich in Schönheit verwandelt, dann singt Joan Baez. Mit ´Diamonds & Rust´, ihrem sechzehnten Studioalbum aus dem Jahr 1975, schenkte sie der Welt ein Werk, das nicht nur musikalisch glänzt, sondern auch seelisch nachhallt. ´Diamonds & Rust´ klingt, als sei es aus genau dem Stoff gemacht, aus dem alte Briefe, verpasste Augenblicke und bittersüße Liebesgeschichten gewebt sind.
Die Frau, die hinter der Stimme und dieser funkelnden Sammlung steht, war nicht nur musikalisch eine Pionierin, sondern auch politisch. Joan Baez war besonders in jener Epoche eine Kämpferin gegen Krieg, Rassismus und Unrecht, stets mit der Sanftheit einer Überzeugungstäterin und der Macht einer Künstlerin, die wusste, was sie der Wahrheit schuldig war. Als Tochter eines mexikanischen Physikers, mit einem überirdisch klaren Sopran geboren, trat sie bereits in jungen Jahren mit nichts als einer Gitarre und einer Stimme ins Rampenlicht, die ganze Säle zum Schweigen bringen konnte. Und mit 18 Jahren stand sie auf der Bühne des “Newport Folk Festivals”, ein Augenblick, der den Lauf der Folkgeschichte verändern sollte.
In den folgenden und aufwühlenden Jahren atmeten ihre Songs oft mehr Protest als Poesie, doch mit ´Diamonds & Rust´ legte Joan Baez reichlich Ballast ab, vielleicht zum ersten Mal auch jenen, den sie in sich selbst trug. Das Album ist ein bunter Reigen der Erinnerung, eine einfühlsame Spurensuche einer vergangenen Liebe, mutmaßlich zu Bob Dylan, und zugleich ein stilistischer Aufbruch. Mit Elementen aus Jazz, Soft Rock, Folk und Singer-Songwriter-Kunst befreit sich Joan Baez von alten Mustern und erschafft ein neues musikalisches Zuhause, das warm, wehmütig und kraftvoll zugleich ist.
Die Eröffnung – der titelgebende Song ´Diamonds & Rust´ – ist mehr als nur eine nostalgische Ballade. Es ist ein literarisches Meisterwerk in Tönen. Mit zarten Gitarrenklängen, schimmernden Bildern und entwaffnender Ehrlichkeit blickt Joan Baez auf eine Liebe zurück, die gleichermaßen inspiriert und verletzt hat. Die Zeile „Speaking strictly for me, we both could have died then and there“ schneidet tiefer als so manches Gedicht. In diesem Moment spricht keine Diva, sondern ein Mensch mit offener Seele. Doch der Song beginnt scheinbar harmlos mit einem Anruf aus dem Nichts, allerdings mit einer in zehn Jahren angestauten Sehnsucht. „Well, I’ll be damned. Here comes your ghost again“, so beginnt Joan Baez, nüchtern, fast lakonisch, als wäre sie überrascht von der Intensität der Erinnerung, die sich um sie legt. Die Zeilen, in denen sie ihren ehemaligen Geliebten beschreibt – „The unwashed phenomenon. The original vagabond“ – sind spöttisch und liebevoll zugleich. Es ist diese Ambivalenz, diese Gratwanderung zwischen Zorn und Zärtlichkeit, die das Lied unvergesslich macht. Und am Ende, wenn sie sagt „And if you’re offering me diamonds and rust, I’ve already paid“, dann ist das keine Resignation, sondern eine Befreiung. Die große Kunst von Joan Baez liegt hier darin, Schmerz nicht nur auszudrücken, sondern ihn zu verwandeln.
Besonders verspielt klingt ´Children And All That Jazz´, eine jazzige Miniatur über das Muttersein und die Leichtigkeit des Chaos. Mit Hampton Hawes am Klavier wird das Lied zu einem tänzelnden Dialog zwischen Leben und Musik. Wo ´Diamonds & Rust´ introspektiv und weltverloren klingt, da zeigt ´Children And All That Jazz´ Joan Baez in einem anderen Licht, als Mutter, als Beobachterin des chaotischen Alltags, als liebevolle, leicht erschöpfte Erzählerin. Die Namensliste in den Strophen wirkt wie eine improvisierte Kindergartenszene, eine Kakophonie aus Namen, Stimmen, Spielen und Müdigkeit: „Look at your t-shirt. I see you’re all wet now. I’ll give you a bath. If you’ll go to bed now.” Es ist ein seltenes, zärtliches Porträt von Weiblichkeit abseits der großen Bühnen, voller Menschlichkeit, Wärme und einem fast jazzigen Atem. Der Refrain, fast mantraartig: „I’m tired. I’m tired. I’m tired“, lässt ein kollektives Aufatmen aller Eltern mitschwingen. Hier ist Joan Baez nicht die politische Ikone oder die betrogene Liebende, sie ist einfach Mensch, einfach müde. Und gerade deshalb so kostbar.
Aus einer weiteren Perspektive ist ´Winds Of The Old Days´ ein bewegender Abschied an vergangene Ideale, mit einer Reife, die aus Verständnis und Loslassen zugleich besteht. Wenn ´Diamonds & Rust´ ein Gespräch mit Bob Dylan ist, dann ist ´Winds Of The Old Days´ ein Gespräch mit der eigenen Vergangenheit, mit einer Ära, die Joan Baez geprägt hat wie kaum eine zweite, mit den Sechzigerjahren. Die Zeilen „The lady’s adrift in a foreign land. Singing on issues both humble and grand“ beschreiben Joan Baez selbst, eine Frau, die in einem neuen Jahrzehnt angekommen ist, aber noch immer im Wind der alten Tage steht. In der Zeile „But reporters, there’s no sense in prying. Our blue-eyed son’s been denying. The truths that are wrapped in a mystery“, klingt eine sanfte, melancholische Kritik an Bob Dylan durch, der sich von der Protestbewegung entfernt hatte. Doch sie verurteilt nicht. Sie versteht. „Because idols are best when they’re made of stone. A savior’s a nuisance to live with at home“ – hier wird entmythologisiert, mit Humor, mit Wärme, mit Demut. ´Winds Of The Old Days´ ist ein poetisches Vermächtnis, eine Versöhnung mit der Zeit, mit dem Kampf, mit sich selbst. Am Ende bedankt sie sich: „Thank you for writing the best songs. Thank you for righting a few wrongs“. Es ist kein Rückzug, es ist ein letztes Verbeugen vor einer Epoche, die Joan Baez selbst mitgeprägt hat.
Doch das Album lebt nicht nur von Joan Baez’ eigenen Kompositionen. In ´Fountain Of Sorrow´ leiht sie der Melancholie von Jackson Browne eine neue Stimme, klarer, ruhiger und beinahe entrückter. Sie trägt das Lied nicht, sie durchdringt es. Ihre Interpretation ist nicht bloß Wiedergabe, sondern ein stilles Gespräch mit der Traurigkeit selbst. Schon die ersten Zeilen – „Looking through some photographs I found inside a drawer“ – wirken bei ihr weniger wie Erinnerungen, mehr wie Fundstücke eines gelebten Lebens. Die Trauer, die bei Jackson Browne noch wie ein Strom fließt, wird bei ihr zum stillen Wasser. Ihre Version wird mehr als eine Ballade über gescheiterte Liebe, sondern ist eine Meditation über Nähe, über das, was bleibt, wenn alles andere gegangen ist.
Kaum ein Lied auf dem Album klingt so still und so endgültig wie ´Never Dreamed You’d Leave In Summer´, geschrieben von Stevie Wonder und Syreeta Wright. In Joan Baez’ Interpretation verliert der Song nichts von seiner souligen Ursprünglichkeit. Joan Baez singt nicht klagend, sondern wie jemand, der längst aufgehört hat zu fragen. Es ist diese kontrollierte Verletzlichkeit, die ihre Darbietung so kraftvoll macht. Der Schmerz ist nicht laut, aber er bleibt. Die Jahreszeiten, in denen hier Liebe erwartet wird, vergehen wortlos, zurück bleibt nur das Staunen über das, was fehlt. Es ist kein großer Abgesang, sondern ein einziger, resignierter Blick aus dem Fenster. Ein Lied wie ein letzter warmer Tag, an dem man begreift, dass der Sommer nicht zurückkommt.
Wenn Joan Baez ´Simple Twist Of Fate´ singt, wirkt es wie ein Echo aus einem Paralleluniversum – eines, in dem nicht Bob Dylan von ihr erzählt, sondern sie von ihm. Es ist ein faszinierender Moment auf dem Album. Eine Coverversion, die zugleich wie ein Kommentar, vielleicht sogar wie eine Antwort wirkt. Joan Baez übernimmt das Stück mit feinem Gespür für seine melancholische Rhythmik. Ihr Timbre nähert sich Bob Dylans Vortrag subtil an, um seinem Tonfall nachzulauschen. Doch während Bob Dylan sich durch die Geschichte tastet, als wolle er ihre Bedeutung gerade erst entschlüsseln, erzählt Joan Baez mit der Klarheit derer, die längst verstanden haben. Die Geschichte einer flüchtigen Begegnung – zwei Menschen, verbunden durch einen einzigen, schicksalhaften Moment – bekommt bei ihr eine neue Perspektive. ´Simple Twist Of Fate´ wird somit zur Spiegelung von Bob Dylan, von sich selbst und von einer Geschichte, die beide nie ganz losgelassen hat.
Mit ´Blue Sky´, im Original von Dickey Betts und bekannt durch die ALLMAN BROTHERS BAND, überrascht Joan Baez auf dem zweiten Vinyl mit einem Hauch von Country-Rock, und schafft damit einen Moment der Aufhellung im ansonsten eher introspektiven Klangraum von ´Diamonds & Rust´. Ihre Stimme schwebt leicht über der Musik, fast tänzerisch, als würde sie durch einen klaren Herbstmorgen spazieren. Wo das Original vom entspannten Südstaaten-Feeling lebt, verleiht Joan Baez dem Song eine neue Offenheit. Nach den dichten Erinnerungslandschaften der vorherigen Songs wirkt ´Blue Sky´ wie ein Fenster, das sich öffnet. Die Vergangenheit mag schwer wiegen, aber hier ist ein Moment, der einfach nur hell ist. Die Gitarren fließen sanft, die Begleitung bleibt luftig und präzise. Es ist, als würde Joan Baez für einen Augenblick nach vorne schauen, mit gelassener Zuversicht. ´Blue Sky´ ist ein wohltuender Atemzug. Das Lied erinnert daran, dass auch die Leichtigkeit eine Wahrheit sein kann.
Mit ´Hello In There´ verneigt sich Joan Baez vor dem großen Songwriter John Prine und gibt seiner Ballade über das Altwerden eine frische Tiefe. Bei ihr wird das Lied zu mehr als nur einem Porträt älterer Menschen, es wird gleichzeitig zu einem stillen Ruf nach Mitgefühl. Joan Baez singt nicht über, sondern für diejenigen, die übersehen werden. Ihre Stimme trägt keinen Zorn, sondern Verständnis. Keine Sentimentalität, sondern Würde. Musikalisch bleibt alles zurückgenommen: dezente Gitarren, ein Hauch von Orgel und ein Arrangement, das nichts beweisen will. Gerade dadurch wirkt es so kraftvoll, wie eine offene Hand auf einer müden Schulter. Es ist einer der leisen Höhepunkte des Albums. Ein Lied, das zuhört, statt zu reden.
´Jesse´ ist vielleicht das zurückhaltendste, aber emotional eindringlichste Stück auf ´Diamonds & Rust´. Bei Joan Baez wird es zu einem Gebet, gesprochen in der Sprache der Sehnsucht. Der Song, geschrieben von Janis Ian, lebt vom Warten und vom Schweigen dazwischen. Joan Baez füllt dieses Schweigen mit ihrer Stimme, die nicht bittet, sondern erinnert, und ist gerade deshalb so ergreifend. Es ist, als würde sie aus einem leeren Zimmer heraus singen, wo noch der Abdruck eines Menschen im Kissen liegt. Ihre Interpretation lässt Platz für Trauer, für Hoffnung, für das, was nicht gesagt wurde. Die Instrumentierung bleibt fast geisterhaft, alles dreht sich um die Stimme, die nicht nach Auflösung verlangt, sondern nach Verständnis. ´Jesse´ ist kein Aufschrei, es ist das stille Echo aus einem früheren Glück, aus einem Jetzt, das sich leer anfühlt. Ein Song, der nur will, dass jemand zuhört. Vielleicht gerade deshalb so berührend.
Mit ´Dida´ hebt Joan Baez gemeinsam mit Joni Mitchell ab in eine Sphäre jenseits von Worten. Dieses Duett ohne gesungene Lyrik ist ein verspieltes, fast meditativer Dialog zwischen zwei herausragenden Stimmen, die wie zwei Vögel am Abendhimmel umeinander kreisen. Die pure Klangfarbe der Stimmen wird zum Instrument, getragen von einer Leichtigkeit, die gleichzeitig zart und kraftvoll wirkt. Es ist ein Moment, in dem Musik ganz unmittelbar fühlbar wird. ´Dida´ zeigt eine andere Facette von Joan Baez’ Kunst, das Experiment, das Loslassen von konventioneller Songstruktur, das Erforschen von Klang als Gefühlsträger. Dieser kurze, luftige Track bringt daher eine Prise Freude und Unbeschwertheit in ein Album, das sonst viel von Nachdenklichkeit und Erinnerung lebt. Ein spielerisches Lächeln, das durch die Melancholie hindurchscheint.
Das abschließende Medley aus ´I Dream Of Jeannie´ und ´Danny Boy´ ist eine liebevolle Umarmung der musikalischen Tradition. Joan Baez arrangiert die beiden zeitlosen Klassiker mit einer fast sakralen Hingabe, die den Stücken neuen Glanz verleiht, ohne ihren ursprünglichen Zauber zu verlieren. Sie hält Tradition lebendig und spinnt sie in einer Interpretation voller Respekt und Wärme weiter. Ihre klare, reine Stimme führt durch diese emotional tiefgründigen Melodien, die von Sehnsucht, Erinnerung und Abschied erzählen. Ein bewegender Ausklang für ein Werk, das von persönlicher Geschichte und musikalischem Erbe getragen wird.
Die Liste der mitwirkenden Musiker liest sich wie ein Stelldichein der kalifornischen Studioszene. Larry Carlton und Dean Parks an den Gitarren, Wilton Felder am Bass, Joe Sample an der Orgel, Tom Scott mit Flöte und Saxophon weben einen Klangteppich, auf dem die Stimme durch ihre Erinnerungen wandeln kann. Erwähnenswert ist auch die nie aufdringliche Synthesizer-Arbeit von Malcolm Cecil und Robert Margouleff, die der Produktion eine feine, fast ätherische Schicht verleiht.
´Diamonds & Rust´ ist ein Album über das, was bleibt, wenn der Glanz der Liebe verblasst – über Rost, der schneidet, und Diamanten, die nicht nur glänzen, sondern auch schwer wiegen. Es ist das vielleicht persönlichste, menschlichste Werk von Joan Baez. Hier verabschiedet sich eine Künstlerin nicht von ihrer Vergangenheit, sondern verwandelt sie in Kunst.
Wer wissen will, wer Joan Baez wirklich ist, der höre Joan Baez. Wer fühlen will, was sie gefühlt hat, der höre ´Diamonds & Rust´. Ein Album, das nicht altert. Ein Klassiker des Herzens.
(Klassiker)
Dass ´Diamonds & Rust´ nicht nur künstlerisch, sondern auch klanglich zu den Sternstunden des Singer-Songwriter-Genres zählt, beweist die jüngste Wiederveröffentlichung von “Analogue Productions”. Die auf 2.000 Exemplare limitierte 45-rpm-Ausgabe auf 180g-Doppelvinyl, gefertigt bei “Quality Record Pressings”, wurde mit größtem Respekt vor dem Originalton von Matthew Lutthans bei “The Mastering Lab” direkt von einer ½-Zoll-Kopie der analogen Mastertapes neu gemastert. Verpackt in ein edles, strukturiertes Tip-on-Gatefold mit Doppeltasche von “Stoughton Printing”, erfüllt diese Pressung höchste audiophile Ansprüche.
Die klanglichen Unterschiede sind nicht subtil, sie sind deutlich: wärmere Tonalitäten, klarere Mitten, eine luftige Balance und eine überragende Detailtreue machen diese Ausgabe zur definitiven Version eines ohnehin zeitlosen Albums. Gegenüber früheren Pressungen setzt diese Veröffentlichung einen neuen Maßstab. Ein Klassiker in bestmöglicher Form. So klingt Würdigung.
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