
GUNS N‘ ROSES – Use Your Illusion I
1991 (Universal) - Stil: Hardrock/Heavy Metal/Glam Rock
Die frühen 90er waren für mich bekannterweise alles andere als Metal und Hardrock. Grunge, Noise und Garagen Rock waren damals dominant, und so eine aufstrebende Pop Ikone wie Axl Rose wollte und konnte ich in dieser Zeit auch gar nicht wahr- oder gar ernstnehmen.
Die ungeheure Lässigkeit und Frische ihres Meisterdebüts ´Appetite For Destruction´ schien 1991 zudem einem rockkompositorisch weit ausgefeilteren Ansatz gewichen zu sein. Mein Interesse für die beiden ´Use Your Illusion´- Nachfolgewerke hielt sich damals jedenfalls in Grenzen, ich kannte lediglich ein paar Songs davon, eher unfreiwillig übers Radio oder eben über das damals noch ominpräsente „MTV“.
Im Gegensatz zur rohen Hinterhof-Schmutzigkeit des Vorgängers bietet ´Use Your Illusion´ jedenfalls eine wahre Explosion an Stilen und Sounds, und es wirkt im Nachhinein vor allem wie das Werk einer Band, die völlig befreit von den Erwartungen des Publikums, von kommerziellem Druck und wohl auch persönlichen Dämonen aufgespielt hat.
Wenn ´Appetite For Destruction´ noch das Album gewesen war, das GUNS N’ ROSES auf die Landkarte brachte, indem sie auf ihre eigene Weise gegen die kommerzielle Oberflächlichkeit des Hair Metal rebellierten, so sind die beiden ´Use Your Illusion´-Werke hingegen derart überreich an musikalischen Schätzen, dass die Fans noch viele Jahre davon zehren konnten.
Beide Alben wurden parallel aufgenommen, am selben Tag veröffentlicht, teilen sich das Artwork (in unterschiedlicher Farbgebung) und tragen denselben Namen. Darüber hinaus spiegeln sich die beiden Hälften auch musikalisch, denn sie enthalten ein über achtminütiges, vom Klavier getragenes Epos und als Quasi-Pendant ein ebenso langes Hardrock-Stück.
Beide Versionen beinhalten zudem eine fast identische Aufnahme der Ballade ´Don’t Cry´, und auf jedem Album gibt es Songs, die nicht von Rose, sondern von anderen Bandmitgliedern geschrieben und gesungen wurden, vor allem von Izzy Stradlin (insgesamt 4 Songs), sowie Duff McKagan, der bei ´So Fine´ (´Use Your Illusion´ II) sein einziges gesangliches Schaufenster erhielt.
Besonders markant sind außerdem die beiden Coverversionen eines Rockklassikers der 70er, nämlich ´Live And Let Die´ von PAUL MCCARTNEYS WINGS und natürlich (das in meinen Augen eher überflüssige) ´Knockin’ On Heaven’s Door´ von BOB DYLAN.
Diese bewusste Aufteilung und Spiegelung verleiht ´Use Your Illusion´ eine künstlerische Kohärenz, und das trotz seiner stilistischen Vielfalt – ein ambitioniertes Statement einer Band, die sich ganz und gar auf dem Gipfel ihrer Schaffenskraft befand.
´Use Your Illusion I´ ist dabei das deutlich härtere der beiden Alben, gerade auch deshalb, weil es noch zahlreiche Stücke aus der ´Appetite For Destruction´-Phase enthält, und hat bei mir daher auch klar die Nase vorn.
Der Opener ´Right Next Door To Hell´ ist dann auch gleich so ein frecher Hardrock-Song, ganz im Stil des Debüts, aber später entstanden, wobei erst ein schweres Schlagzeug-Intro in ein eingängiges, verzerrtes Gitarrenriff übergeht, bevor Rose in gewohnt rasantem Tempo zu singen beginnt.
´Dust N’ Bones´ ist ein unglaublich mitreißender, stark unterschätzter Song, und es ist einfach großartig, Stradlin gemeinsam mit Rose am Mikrofon zu hören. Ihre Stimmen ergänzen sich perfekt und verleihen dem Stück eine besondere Dynamik, das es deutlich von den anderen abhebt.
´Back Off Bitch´ ist ein absoluter Kracher und einer meiner klaren Lieblingssongs, mit brutalen Riffs, rebellischer Attitüde und Roses aggressivem Gesang, der den Song in pure Energie verwandelt.
´Double Talkin’ Jive´ ist dann ebenfalls ungemein rau, kompromisslos und mit seinem treibenden Rhythmus sofort packend. Stradlin ist hier der Leadsänger, und seine lässige, leicht nasale Stimme passt hervorragend zum bluesbasierten Rock`n´Roll-Sound der Band.
´November Rain´ ist hingegen ein Song, den man buchstäblich auf der ganzen Welt gehört hat – vom melodischen Piano-Intro über die überwältigenden Synthesizer, bis hin zu zwei langen, aber absolut herausragenden Gitarrensoli und Roses traurigem Gesang.
´The Garden´, mit Alice Coopers Gaststimme, ist schließlich ein unheimlich düsterer, unheilvoller Song, wobei Roses verspielte Fragilität auf Coopers gespenstische Theatralik trifft, was dem Stück eine beinahe schon mystische Tiefe verleiht. Die düstere Atmosphäre, der hypnotische Groove und der prominente Gastauftritt machen ihn für mich jedenfalls zu einem weiteren klaren Highlight.
Das Album endet dann mit dem alles überragenden ´Coma´, mit über zehn Minuten der längste Song, den GUNS N’ ROSES je aufgenommen haben, und der vor allem auch lyrisch zu ihren stärksten zählt. Herzschläge leiten das Stück ein, bevor ein schweres Gitarrenriff einsetzt, und die letzten zwei Minuten des Songs können gerne als das Beste gelten, was die Band jemals geschaffen hat – eine regelrechte Explosion aus Instrumenten und tiefgründigen, introspektiven Texten, die den Zuhörer regelrecht überwältigen.
Wie bei anderen Künstlern und Bands, deren kreative Hochphase zu früh endete (siehe NIRVANA, JIMI HENDRIX & Co.) ist der Platz von GUNS N’ ROSES im Pantheon der Rockgeschichte jedenfalls unumstritten.
Doch im Gegensatz zu ihnen blieb der Band das Schicksal erspart, ihren Weg durch eine Tragödie ganz und gar zu verlieren.
Stattdessen gelang es ihnen, nach Jahren voller Spannungen und Zerwürfnissen, ihre Differenzen beiseite zu legen und die Schönheit ihres musikalischen Schaffens auf der Bühne erneut zusammen mit ihren Fans zu feiern. Eine zeitlosere Zeit kann man sich jedenfalls gar nicht wünschen – auch nicht beim x-ten Replay der größtenteils grandiosen ´Use Your Illusion I´!
Faves: ´Right Next Door To Hell´, ´Back Off Bitch´, ´November Rain´, ´The Garden´, ´Coma´
(9,5 Punkte)
https://www.facebook.com/gunsnroses
Pics: Universal Music Group