
Es gibt Formationen, deren Werdegang fühlt sich wie ein Abenteuerbuch an, mit all seinen Höhen und Tiefen, mit heftigen Rückschlägen und mit einem glücklichen Neubeginn. ELLEVEN gehören definitiv zu dieser Sorte von Band.
Die Gruppe entstand im Jahre 2001 unter der Mithilfe von zwei ehemaligen Mitgliedern der Band CHANDELIER und konnte sich unter der Leitung von Julia Graff und Armin Riemer schnell einen Namen machen. Dabei bewegen sie sich bis zum heutigen Tag locker zwischen Progressive Rock und atmosphärischem Pop. Nach ihrem Debüt ´Insight´ im Jahre 2007 und dem etwas nachdenklicheren ´Transfiction´ aus dem Jahr 2015 war es lange Zeit ruhig um sie. Hinter den Kulissen haben sie jedoch fleißig gearbeitet, umstrukturiert und neu gedacht.
Jetzt, zehn Jahre nach ihrem letzten Album, geben sie mit ´8030´ endlich ein neues Lebenszeichen von sich. Und es ist nicht einfach nur ein schlichtes Comeback einer fast in Vergessenheit geratenen Formation, sondern es ist ein Werk, das mit Tiefe, Emotionen und einer breiten musikalischen Palette überzeugt.
Denn ´8030´ ist kein gewöhnliches Studioalbum, es ist eine Art Beziehungsroman in neun Kapiteln, wobei jeder Song einen neuen Abschnitt auf einer emotionalen Reise darstellt. Es beginnt bei dem ersten Kennenlernen und endet beim letzten Loslassen. Was zuerst nach einer Idee über intime Liebesgeschichten ausschaut, wird sehr durchdacht und sensibel umgesetzt – und musikalisch immer schön auf den Punkt gebracht.
Dabei setzt die Band auf all ihre Stärken: große Klanglandschaften, detailverliebte Arrangements und Julia Graffs zerbrechliche, aber eindringliche Stimme. Besonders spannend ist die neue Rhythmusgruppe, René Lozynski am Bass und Michael Hahn am Schlagzeug, da sie frischen Wind und ein gutes Timing mitbringen, das für eine stilistische Breite sorgt. Zudem hat Armin Riemer das Album selbst produziert, gemischt und gemastert und bringt ein gutes Gespür für Dynamik und Stimmung mit.
Schon der erste Song ´Contact´, der über 14 Minuten dauert, ist ein starkes Statement. Dieser Eröffnungstrack nimmt sich Zeit, schichtet Sounds übereinander und macht das erste Zusammentreffen zweier Menschen zu einer epischen Klangreise. Julias Gesang klingt hier fast wie im Traum, schwebend und doch nie abgehoben. Die zweite Nummer ´Persuasiveness´ ist rhythmisch prägnanter und bringt ordentlich Druck, als würde man das Pochen eines Herzens beim ersten Date spüren. Der Song balanciert zwischen Verführung und Unruhe und wird von einem bassbetonten Fundament und schönen Synthesizerklängen getragen.
Der Song ´Attraction´ tönt leichter. Er ist möglicherweise der unbeschwerteste Track des Albums, bevor ´Uncertainty´ mit minimalistischer Instrumentierung und verletzlichem Gesang die inneren Zweifel widerspiegelt. ´Desire´ bringt dann die ganze Emotionspalette mit: leidenschaftlich, mitreißend und voller Sinnlichkeit. Ein Song, der nicht nur anspielt, sondern wirklich auslebt, was er empfindet. Danach kommt mit ´Venture ~ Clash ~ Clarity´ die Wendung, bringt Unruhe und sogar ein bisschen Chaos ins Spiel. Die Komposition ist komplex, spielt mit Brüchen und überraschenden Momenten, während die Gitarren aufflackern.
´Deception´ ist voller bittersüßer Emotionen, ein Song, der mit enttäuschten Erwartungen und verstecktem Frust gefüllt ist. Die Stimmen sind eindringlich, fast anklagend, und werden von dunklen Harmonie-Klängen begleitet. Mit ´Release´ kommt dann der emotionale Wendepunkt. Man lässt alles hinter sich und tastet sich in neue Klänge vor. Die Musik hat Raum zum Atmen, sie erlaubt Pausen und formt aus Klängen und Stille eine berührende Erzählung. Schließlich gipfelt alles in ´Conciliation´, dem versöhnlichen Ende, das nicht die einfachen Antworten liefert, aber Perspektiven öffnet. Es geht um Versöhnung, vielleicht sogar um Freundschaft. Der Klang wird heller und wärmer, die Gitarren schaffen Räume, wo vorher Mauern standen.
Ob ´8030´ “pink” ist – das heißt, ob es so voller Gefühl ist, dass es fast zu viel wird – muss jeder Hörer für sich selbst entscheiden. Vielleicht ist es nicht pink, aber es strahlt in vielen verschiedenen Farben. Es ist persönlich, ohne klischeehaft zu sein. Es ist progressiv, ohne sich in sich selbst zu verlieren. Und es ist emotional, ohne die Kontrolle zu verlieren.
(8 Punkte)
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