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GARBAGE – Let All That We Imagine Be The Light

2025 (stunevolume / BMG / Universal) - Stil: Alternative Rock

Irgendwo zwischen den Sternen sitzt eine Band, die Musik macht und nach den Träumen greift. Ihre Musik klingt vielleicht immer leicht anders, aber die Band bleibt immer sie selbst. Shirley Manson bringt ihre Stimme und ihre Emotionen ein, Butch Vig schlägt das Schlagzeug und kümmert sich um den Sound, Duke Erikson sorgt für die Gitarren und die Atmosphäre, während Steve Marker mit seinen kreativen Klängen zwischen laut und eingängig pendelt. Zusammen sind sie GARBAGE und sie haben einen mystischen Sound im Sternenmeer erschaffen, der wie ein Lichtstrahl inmitten des Nebels einer schweren Zeit strahlt.

Jetzt erklingt ihre neueste Scheibe ´Let All That We Imagine Be The Light´ und es passiert etwas Magisches. Es fühlt sich an, als würdest du durch ein Universum schweben, das in leuchtenden Farben wie Neon-Pink, Silber und einem Hauch von tiefem Blau leuchtet. Es ist das achte Studioalbum von GARBAGE und es entstand in einer Zeit, die weder für die Band persönlich rosarot erschien noch konnte die gesamte Welt einen Silberstreif am Horizont erkennen. Trotzdem strahlt die Musik bei aller Dunkelheit noch Hoffnung, Lebensfreude und Licht aus.

In der Welt gab es gleichzeitig viele Krisen. Nicht nur den Krieg in der Ukraine, den Krieg in Israel und Gaza, Unruhen im Kongo und politische Spannungen in den USA. Anstatt in Zynismus zu versinken, entschieden sich GARBAGE, über die Liebe und die Fantasie zu schreiben, um niemals das Licht aus den Augen zu verlieren. Sängerin Shirley Manson erklärte, dass sie und die Band wussten, dass übermäßige Empörung sie nur kaputt machen würde. Sie wollten daher nicht in der Dunkelheit verschwinden, sondern etwas suchen, was sie rettet. So wurde das Album zu einem Zeichen des Durchhaltens.

Was das Album wirklich besonders macht, ist die Geschichte dahinter. Denn wie so oft war der Weg zur Musik nicht einfach. Shirley Manson hatte Anfang 2023 eine Hüftoperation und war eine Weile ans Bett gebunden. Schmerzmittel und die Isolation setzten ihr stark zu und verlangsamten den kreativen Prozess. Doch trotz aller Schwierigkeiten fand sie ihren Weg zurück zur Musik. Texte entstanden in dunklen Momenten, zwischen Träumen und Tränen, zwischen Morphin und dem Drang nach Selbstbestätigung, ganz nah, verletzlich und auf eine radikal schöne Art.

Selbst die Aufnahmen fanden an drei verschiedenen Orten statt. In Billy Bushs “Red Razor Studio”, in Butch Vigs Heimstudio “GrungeIsDead” und einige Songs wie ´The Day That I Met God´ wurden sogar direkt in Shirley Mansons Schlafzimmer aufgenommen. Der kreative Prozess lief letztendlich äußerst locker ab. Viele Songs entstanden einfach aus 20-minütigen Jam-Sessions, die die Band später in prägnantere Stücke verwandelte.

So eröffnet Shirley Manson das Album schlicht mit den Worten “If you’re ready for love” und bringt es auch mit denselben Worten zum Brodeln. Der Opener ´There’s No Future In Optimism´ fühlt sich wie ein Appell gegen Resignation an. Die Beats sind scharf und die Synths schwirren, die Lyrics haben eine an ein Mantra erinnernde Kraft. Hier treffen Dystopie und Euphorie aufeinander – der erste Lichtstrahl, der durch die dunklen Wolken bricht.

Mit ´Chinese Fire Horse´ packt Shirley Manson lasziv und zugleich unmissverständlich zu: “Wait a minute, wait a minute, wait a fucking minute.” Der Song ist eine klare Ansage gegen Chauvinismus im Musikgeschäft. Er vereint eingängige Melodien im mitreißenden Rhythmus mit konfrontativen Texten, die ganz deutlich durchscheinen. Funkelnde Gitarren runden das Ganze ab. Fertig ist ein feministisches Manifest, das es in sich hat.

Zu ´Hold´ drosseln sie das Tempo und öffnen sich dem Bedürfnis nach Nähe, vor allem wenn alles um einen herum zusammenbricht. Shirley Manson klingt fast hypnotisch, untermalt von einem sanften, fast düsteren Beat. Dagegen beginnt ´Have We Met (The Void)´ mit geheimnisvollen Klängen. Shirley Manson nimmt uns mit auf eine Reise, bei der es um Identität und den Verlust des Selbst geht. Alles wirkt atmosphärisch sehr dicht und gleichzeitig wunderschön melancholisch.

´Sisyphus´ hat eine entrückte, hypnotische Ausstrahlung und ist elektronisch gehalten, somit eines der experimentell brillanten Stücke mit tiefgründigen Gedanken. Shirley Mansons Stimme klingt zu den sanften Klängen zart, während sie von dem ständigen Kampf und Schmerz eines jeden Menschen erzählt. Zu Texten, die wie ein Aufruf zur Veränderung erscheinen – “All you gotta do is save a life. It’s radical. Let all that we imagine be the light. It’s radical.” – schwebt ´Radical´ mit seiner eingängigen Melodie noch durch die Finsternis.

Shirley Manson singt in ´Love To Give´ von der bedingungslosen Liebe, die auch ohne Gegenliebe existieren kann. Es ist ein bittersüßes Liebeslied, um Melodie und Harmonie, das einfach schön und ehrlich ist. Mit einem ironischen Unterton geht Shirley Manson in ´Get Out My Face AKA Bad Kitty´ an das Thema und integriert zwischen Glam-Rock und Electropop, frech und lustig, eine verspielte Energie.

Der vorletzte Track ´R U Happy Now´ ist eingängig und leicht verständlich, widmet sich aber tieferen Themen wie Reue und Sehnsucht, so dass Melodie und Melancholie zu einem schönen Ganzen verschwimmen. Das große Finale des Albums heißt ´The Day That I Met God´. Mit seinen nostalgischen Klängen erinnert es an die Achtzigerjahre und bringt alles zusammen, was persönliche Erleuchtung und Schmerzen betrifft. Es fühlt sich an wie ein wunderschönes, zerfallendes Sternbild.

´Let All That We Imagine Be The Light´ wird zu einem Zeugnis des Überlebens. Schmerz wird in Melodie gegossen, Hoffnung findet sich in unerwarteten Klängen wieder. GARBAGE beweisen, dass Musik auch in schwierigen Zeiten eine starke Stimme haben kann.

Shirley Manson strahlt inmitten dieses musikalischen Universums. Ihre Stimme ist unglaublich vielseitig und ehrlich. Sie schreit, flüstert, tröstet und macht uns Mut. Man merkt ihr an, dass sie durch harte Zeiten gegangen ist – während der Aufnahmen verlor sie ihren Hund und kämpfte mit ihren gesundheitlichen Problemen – und hat es geschafft, sich zurückzukämpfen.

Die gesamte Band wagt sich musikalisch auf frisches Terrain, bleibt dabei aber ganz sie selbst. Sie verbinden eingängige Melodien mit Experimenten. Butch Vigs Produktion ist, wie gewohnt, perfekt, strahlt aber dennoch echte Lebendigkeit aus. Es knarzt, es funkelt, hier lebt die Musik. Und was für ein bezaubernder Zustand, den wir erleben dürfen.

Für all diejenigen, die mit GARBAGE tanzen und träumen wollen. Für alle, die selbst in der Dunkelheit nach Licht suchen. Für alle, die den Mut haben, nicht aufzugeben.

(9 Punkte)

https://www.facebook.com/GarbageOfficial


Pic: Joseph Cultice
(VÖ: 30.05.2025)

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