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MR. JOE JACKSON presents MAX CHAMPION – What A Racket!

~ 2023 (earMUSIC) – Stil: Music Hall ~


Die Zwanzigerjahre des 20. Jahrhunderts waren ein goldenes Zeitalter. Es gab große Varieté-Shows mit Akrobatik, Tanz, Musik und Zauberei. Doch waren sie das erste goldene Zeitalter? Mitnichten.

Hundert Jahre zuvor erfreute sich die musikalische Unterhaltung in den Kneipen und Bars einer derart großen Beliebtheit, dass statt ihrer große Musiktheater entstanden. Die Music Hall ward geboren. Der gesamte Zuschauerraum dieser Theaterhallen war ein Sündenpfuhl, nicht nur zum Essen, Trinken und Rauchen.

Diese großen Musiksäle boten auf ihren Bühnen Musik, Spaß und Unterhaltung. Mitte des 19. Jahrhunderts wurden sogar professionelle Songwriter engagiert, um die Qualität auf ein schwindelerregendes Niveau zu hieven. In diesen goldenen Zeiten entstand auch der „Music Hall“-Musikstil im Sinne von eingängigen und melodischen Liedern zwischen Volkslied und Schlager.

Erst der Weltkrieg brachte ein halbes Jahrhundert später die Räume der Music Hall zum Verstummen.

 

Einer der erfolgreichen Künstler des 19. und 20. Jahrhunderts war unter dem Künstlernamen Harry Champion als Sänger und Komiker bekannt. Auch als Komponist sprach er insbesondere die Arbeiterklasse im Osten Londons an. Ein bislang unbekannter Music-Hall-Künstler, ein Namensvetter mit dem Künstlernamen Max Champion wurde dagegen erst jetzt wiederentdeckt.

Dass allerdings dieser Künstler aus dem 19. Jahrhundert, aus diesem großen viktorianischen Musikzeitalter samt seiner Lieder so einfach in Vergessenheit geriet, ist unvorstellbar. Angeblich tauchten seine Songs im Jahre 2019 wieder in großem Umfang auf, so dass sich der britische Musiker und Produzent Joe Jackson (´Steppin‘ Out´) auf sie stürzte, um sie mit einem zwölfköpfigen Orchester wiederzubeleben. Ein Schelm, wer Joe Jackson hinter den Songs und der Person Max Champion vermutet.

Joe Jackson unternimmt somit keinen Abstecher mit Frack und Fliege in die Zwanziger- und Dreißigerjahre des 20. Jahrhunderts, mit goldenem Anzug in die Tage des Rock’n’Roll oder in die besten von Las Vegas, er lässt im Gegensatz dazu die großen Zeiten der Music Hall wieder auferstehen. Zweihundert Jahre in der Musikgeschichte zurückzugehen und diese frisch wie eh und je zu präsentieren hat sich wohl noch kein Künstler getraut.

 

Ein schleppender Marsch mit dem Titel ´Why, Why, Why´ hinterfragt sogleich das Leben („Warum leben wir? Können wir nicht ein oder zwei Witze reißen? Warum müssen wir bis zum Umfallen arbeiten?“), reißt das Publikum bereits von den Sitzen und animiert zum Mitsingen all dieser melancholischen Weisen.

Eine sehr eilige Ode auf den Nichtsportler trägt Max Champion mit ´The Sporting Life´ humorvoll vor („Das Sportlerleben ist nichts für mich, ich wäre lieber ein Esel oder ein Affe auf einem Baum.“). Ein Hoch auf die Mütter wird in ´Dear Old Mum (A London Irish Lament)´ zum Geigenstreicheln ausgesprochen, ein Hoch auf die Menschheit in ihrer Vielfalt und ihren Irrsinn spricht dagegen das flink hämmernde ´Monty Mundy (Is Maltese)!´ aus. ´Health & Safety´ stimmt demgegenüber einen fröhlichen Antikriegs-Marsch an.

Das laute und dreckige Großstadtleben Londons nimmt die hurtige Jahrmarktsmusik von ´What A Racket!´ aufs Korn. Als weitere mitschwenkbare und mitsingbare Hymne entpuppt sich ´The Shades Of Night´ über nächtliche Voyeure in den Straßen, ehe die heimliche Äffe von ´The Bishop And The Actress´ genüsslich ausgekostet wird. Die Vorzüge der Nacht gegenüber dem frühen morgendlichen Aufstehen dramatisiert ´Never So Nice In The Morning´ im Walzertakt. Doch ganz gleich, was in der Music Hall auch passiert, ´Think Of The Show!´, zu jeder Zeit, denn „the show must go on“.

Getreu einem irischen Volkslied schickt Max Champion das Publikum mit ´Worse Things Happen At Sea´ in die Nacht: „Sparen wir uns die Tränen, seid mutig, meine Lieben, bleibt euch treu und frei.“

Was für ein Spektakel! Thank you, Mr. Joe Jackson.

(9 Punkte)

 

 

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