Livehaftig

ROADBURN 2023

~ 20. bis 23. April 2023, Tilburg ~


Meine kleine Reise nach Tilburg fing Donnerstagmorgens in einer Kleinstadt Baden Württembergs an. Ungewissheit zu allem, was mich erwarten wird, machte alles ziemlich aufregend. Ich packte Zelt, Schlafsack und Verpflegung ins Auto und dann ging es los. Fünf Stunden Autofahrt hatte ich vor mir.

Um 15 Uhr in Tilburg angekommen, verlief auch alles reibungslos. Der Campingplatz war mitten in der Stadt angelegt. Schubkarren standen bereit, um das ganze Gepäck aufzuladen und dann ging es auf Zeltplatzsuche. Das Camp war einladend und gemütlich, alles sauber und idyllisch angelegt. 

 

 

Als das Zelt dann aufgeschlagen war, ging es auch direkt los. Der 20-minütige Fußweg ließ die Spannung noch steigen. Als mir dann der Sänger George Lesage Clarke von DEAFHEAVEN entgegenlief, wars um mich geschehen, ich war definitiv angekommen. 

Die Menschen tummelten sich draußen vor den Hallen, um eine Raucherpause mit Bierchen einzulegen oder um einfach Energie für das nächste Konzert zu tanken. Ich verschaffte mir einen Überblick, als mich auch schon die erste Frau ansprach und mir sagte, dass ich das schönste Kleid vom ganzen Festival habe. Total gerührt von der Offenheit, freute ich mich, mit anderen Menschen ins Gespräch zu kommen. 

Meine erste Anlaufstelle dafür war erstmal ein anderer Fotograf, der mir zeigen musste, wo ich mein Bändchen und Presseausweis abholen kann. Für einen orientierungslosen Menschen wie mich, war es anfangs schwer, mich zurecht zu finden. Die Main Stage und die Next Stage waren direkt nebeneinander im 013 Poppodium. Die anderen Stages wie die Hall of Fame, The Terminal und The Engine Room (beide in der Koepehal) waren fußläufig innerhalb von fünf Minuten von der Main Stage zu erreichen. Das Gelände hatte den Charme von einem industriellen, stillgelegten Bahnhof und passte perfekt zur Atmosphäre. Fressbuden gab es noch und nöcher und für jeden Geschmack was dabei. 

 

 

 

Ob Sloppy Joes, Burger oder Pizza. Satt wurde man auf alle Fälle. Nachdem ich mich so langsam orientierte, den Presseraum und die Schließfächer abgeklappert hatte, ging es los zum ersten Konzert. ESBEN & THE WITCH verzauberten am frühen Donnerstagabend auf der Next Stage das Publikum. Mit der klaren, engelsgleichen Stimme der Sängerin, gepaart mit warmen Gitarrenklängen, schaffte es die Band, das Publikum in Watte zu packen und sich der Reinheit der Musik hinzugeben. Danach ging es für mich zur Main Stage, bei der ich auch bis zum Rest des Abends blieb. Die Acts waren auf alle Fälle vielversprechend. Von JULIE CHRISTMAS, zu DEAFHEAVEN bis zu THE SOFT MOON. Begeistert war ich bei jedem. JULIE CHRISTMAS legte eine kraftvolle Performance hin. Die hypnotisierende Strobolichtshow war die perfekte Untermalung zum mitreißenden Noise Rock, den die Band an den Tag legt. Die Musik hatte einen düsteren, melancholischen Klang und die Sängerin sang aus vollen Leibeskräften. Beeindruckt von der stimmlichen Bandbreite und dem Volumen ihrer Stimme blieb mir die Band im Gedächtnis. 

 

 

Was danach kam, war Heaven pur. Wie sich am Anfang ja schon etwas herauskristallisierte, hege ich eine gewisse Zuneigung zur Band DEAFHEAVEN. Und nicht zu unrecht. Als Headliner auf dem Roadburn durften sie gleich zwei Mal performen. Donnerstagabends war erstmal die Performance zum Album ´Sunbather´ an der Reihe. Los ging es mit dem wahrscheinlich bekanntesten Lied ´Dream House´. Das Publikum war sofort gepackt und die Energie war von Anfang an geladen. Die Band schaffte es, eine machtvolle Atmosphäre zu erzeugen. Visuell wurde alles in rotes Licht getaucht, was dem Blackgaze Stil der Band zu etwas einzigartigem machte. Dazu kommt noch, dass der Sänger bei den ruhigen Minuten eines Gitarrensolos gerne auch mal die Hüften schwingt und das gekonnt. Das habe ich bei Blackgaze und Blackmetal noch nie gesehen und fasziniert mich jedes mal aufs Neue. GROßARTIGER AUFTRITT!

Ich fragte mich, ob THE SOFT MOON mich genauso überzeugen wird. Es entstand eine etwas düstere, clubartige Atmosphäre, die zum Tanzen einlud. Als Solokünstler macht Luis Vasquez unter seinem Künstlernamen THE SOFT MOON eine Mischung aus Post Punk und Dark Wave, spielt aber live mit Gastmusikern zusammen. Es wurde getrommelt, getanzt und gesprungen. Insgesamt ein gelungenes Konzert. 

Danach ging es für mich ab zum Zelt. Im Regen lief ich zurück zum Camp und blickte glücklich auf einen ersten gelungenen Tag zurück.

 

Am nächsten Morgen war ich erstmal froh, dass mein Zelt innen trocken geblieben ist. Der Regen war am Morgen zum Glück wieder vorbei. Zeit für ein klassisches Festivalfrühstück: Dosenravioli. Nachdem ich mich am Abend zuvor hauptsächlich von bayrischem Bier ernährt hatte, war mein Magen sehr froh über feste Nahrung. 

 

 

Dann konnte der Tag auch schon starten. Für den Mittag plante ich, mich einfach vom Geschehen treiben zu lassen und ein paar Fotos zu knipsen. Am Poppodium angekommen lief ich prompt dem Sänger von DEAFHEAVEN wieder über den Weg. Ich folgte ihm zum Presseraum und bin direkt in einem öffentlichen Interview und Q&A mit ihm über seine Band gelandet. Wie gebannt hörte jeder zu. Es war spannend, einen Einblick in das Bandleben und persönliche Erfahrungen zu bekommen. Am meisten faszinierte mich die Entstehung eines Auszugs aus dem Songtext zum Lied ´Dream House´: „I’m dying. Is it blissful? It’s like a dream. I want to dream.“ Der Textauszug entsprang aus einem Nachrichtenaustausch zwischen dem Sänger und seinem damaligen Schwarm. Sie arbeitete in einer Bar und auf die Frage, wie es auf der Arbeit läuft, antwortete sie mit „I’m dying.“ Nach dem Interview hatte jeder noch die Möglichkeit, Fragen zu stellen. Meine Frage an den Sänger war, welches Lied er gerade rauf und runter hört. Die Antwort war ´No One Dies From Love´ von TOVE LO. Wer mal reinhört wird auf jedenfall überrascht. Wer hätte gedacht, dass der Sänger einer Blackgaze Band mit teils brachialen Parts sich an ohrwurmfähigen Popsongs erfreut. Macht ihn für mich auf alle Fälle nur noch sympathischer. 

 

 

Noch aufgeregt vom Geschehenen bahnte ich mir einen Weg zur Main Stage, um mir das Funeral Doom Duo BELL WITCH anzusehen. Düstere Visuals zeichneten die Bühne und schleppende Musik, gemischt aus Schlagzeug und Bass breitete sich in der Halle aus. Sehr in sich gekehrt performten beide für sich, in allem hatte es einen sehr geheimnisvollen, düsteren Charakter. 

 

 

 

Anschließend waren WOLVES IN THE THRONE ROOM an der Reihe. Nordisch angehaucht, überzeugte die Black Metal-Band mit ihrer Vielseitigkeit. 

Eine besondere Untermalung der Musik wurde durch rituelle Einheiten erzeugt, wie die Verteilung von Weihrauch oder dramatische inszenierte Trommelschläge. Eine Verbundenheit zur Natur verdeutlichte sich durch die Schmückung der Bühne mit Ästen und Blätter und Bildern von fließendem Wasser. Das gemischt mit der meditativen Musik, aus schnellen und langsamen Parts, ergab ein fesselndes Konzerterlebnis. 

 

 

 

 

Im Kontrast dazu kam im Anschluss die aus Belgien stammende Progressive und Post-Hardcore Band BRUTUS. Ohne viel Schnickschnack wie eine besondere Lichtshow oder Visuals überzeugten sie mit reinem Talent. Gebannt und fasziniert konnte ich meine Augen kaum von der Schlagzeugerin, sowie auch Sängerin Stefanie Mannaerts lassen. Was für eine Powerfrau. Es muss schon einiges an Können dazugehören, um sich so hingebungsvoll dem Schlagzeugspiel zu widmen und dazu noch mit so einer kraftvollen Stimme die Meute mitzureißen. Die Band harmonierte super miteinander und man hat ihnen den Spaß und die Dankbarkeit förmlich angesehen. Hingebungsvoll und emotional spielten sie Lieder vom neuen Album ´Union Life´, sowie auch alte Songs. Beim letzten Lied riss dem Bassisten noch die Saite, aber das haben sie charmant gelöst. 

Danach tummelte ich mich zum Photo Pit, um mit den anderen Fotografen die ´Infinite Granite´-Show von DEAFHEAVEN einzufangen und da war einiges los. Wie nicht anders zu erwarten, legte die Band musikalisch einen einwandfreien Auftritt hin. Hin und hergerissen zwischen tanzen und fotografieren schaffte ich es, ein paar gute Schnappschüsse zu machen. Das Gute daran war, dass der Sänger mit seinem Publikum sehr interaktiv ist und ein gewisses Gefühl von Nähe erzeugt. Blaue Lichter und sphärische Bilder erzeugten eine Art andere Dimension.

Und als wär der Tag nicht schon perfekt genug gewesen, ergab sich für mich die Gelegenheit, mich mit dem Gitarristen Kerry McCoy noch etwas zu unterhalten. Aus dem Häuschen war ich.

 

 

 

Nach soviel Input war ich auch ganz schön fertig. Also beschloss ich, wieder zum Zeltplatz zu laufen. Etwas verfroren kam ich im Camp an und sah dankend das Lagerfeuer, an dem sich noch ein paar Menschen zusammentrommelten. Es wurde Pizza und Whisky geteilt und gab eine schöne Möglichkeit, sich nochmal vor dem Schlafen aufzuwärmen. Die Nacht war auch etwas kälter als zuvor.

 

Als dann morgens die Sonne auf mein Zelt schien, taute ich so langsam wieder auf. Gespannt auf meinen letzten Festivaltag, wappnete ich mich erstmal für den anstehenden Regen. 

Auf dem Festival angekommen, ging es etwas chaotisch zu. Ich hatte Probleme, meinen Rucksack bei den Mitarbeitern in den Schließfachräumen abzugeben, was davor kein Problem war. Nach einem kleinen Hin und Her konnte mir zum Glück das liebe Team doch noch weiterhelfen. Die herzliche Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft ist mir auf dem Festival wirklich positiv aufgefallen. Obwohl ich alleine unterwegs war, habe ich mich nie alleine gefühlt. Interessante Gespräche über mexikanisches Temperament, Rentner beim Abrocken oder einfach nur über musikalische Vorlieben haben die ganze Erfahrung zu einem Gemeinschaftserlebnis werden lassen. 

Da der Tag etwas holprig anfing, verpasste ich leider HEALTHYLIVING, bei denen ich schon alleine des Namens wegen gespannt war.

Nun ja, dann ging es eben zu CHAT PILE. Ich muss sagen die Band hat mich wirklich überrascht. Die Eigenart der Band verleiht ihr eine Besonderheit, die ich noch nie gesehen hatte. In Jogginghose und oberkörperfrei bewegte sich der Sänger mit seinem Bierbauch über die Bühne und gab sich seinem Sprechgesang hin. Auf mich wirkte die Band roh, brutal mit einer gewissen Nervosität. Musikalisch traf es nicht ganz meinen Geschmack, aber dennoch hat ihre Musik seine Daseinsberechtigung. Und was noch wichtiger ist: Wiedererkennungswert.

Nach CHAT PILE erhaschte ich mir einen kurzen Eindruck von KATHRYN JOSEPH auf der Next Stage. Die Musik hatte etwas sehr beruhigendes und feenhaftiges, doch dann freute ich mich danach, mal etwas ganz Neues zu entdecken. Mein Gefühl sagte mir, dass HIGH VIS genau meine Musik ist. Und so war es dann auch. Etwas gehetzt lief ich zum Engine Room, um auch nichts zu verpassen. Als ich da war, war ich überwältigt. Das Konzert war genau nach meinen Vorstellungen. Die Meute ging ab, grölte mit und boxte sich durch den Moshpit. Ich war heilfroh, diese Art von Energie auch noch auf dem Roadburn zu erleben, denn das habe ich bis dahin vermisst. Und Post-Punk war ja wohl die beste Möglichkeit, um abzugehen. Ich bahnte mir einen Weg und fand mich im Moshpit wieder. Das hat einen Heidenspaß gemacht. Obwohl ich keinen Text kannte, hab ich mitgegrölt, Texte wie zu ´Choose To Loose´ waren repetitiv und einfach zu merken. Der Auftritt hat mich so umgehauen, dass ich seitdem ein kleiner Fan der Band geworden bin. 

Nach so viel Power brauchte ich erstmal eine kleine Verschnaufpause, als es dann wieder auf die Main Stage zu CAVE IN ging. Da ich mit der Musik nicht viel am Hut hatte, war ich danach umso begeisterter. Die Jungs der Band haben mit so einer Freude gespielt, die einfach total ansteckend war. Es gab harte und melodischere Riffs, sehr abwechslungsreich und wirklich gut. 

Der krönende Abschluss war dann BOY HARSHER. Das Synth Duo erzeugte fast schon Partystimmung und die Sängerin ermutigte das Publik stetig zu tanzen mit den Worten: „Wir machen Tanzmusik, wir wollen, dass ihr euch bewegt.“ Tja und das taten wir dann auch alle. Die Musik war eine Mischung aus Dark Wave und Synth Pop, gepaart mit hypnotisierendem Gesang. Die Lichter durchfluteten die Halle in buntes Licht und man konnte sich total fallen lassen. Ich war nicht die einzige, die begeistert war. Aber damit nicht genug. Als ich eigentlich beschloss, mich auf den Weg ins Zelt zu machen (schließlich musste ich für die lange Autofahrt halbwegs fit sein), ging in den Fluren bei den Bars noch eine wilde Tanzparty ab. 

Und sobald der Song ´Lay All Your Love On Me´ von ABBA ertönte, war ich nicht mehr zu retten. Was für ein hervorragendes Kontrastprogramm. Jeder legte funky Tanzschritte hin und feierte einfach den Moment. Besser hätte der Abend nicht enden können.

Am Sonntagmorgen machte sich bei mir auch schon Aufbruchstimmung bereit. Zum Glück war meine Rückreise diesmal nicht alleine. Meine Zeltnachbarn, die ich dort kennenlernte, sind mit mir nach Hause gefahren. So klein wie die Welt nämlich ist, stellte sich heraus, dass wir ganz in der Nähe wohnen. Im Auto ließen wir das Festival nochmal Revue passieren und tauschten uns zu allem erlebten aus.

 

Mein Fazit:  Das ganze Festival war durchweg eine tolle Erfahrung. Die Künstler waren gut gewählt und hatten alle musikalisch was drauf. Man konnte sich treiben lassen, war aber stets immer in bester Gesellschaft. Für alle Musikliebhaber da draußen: Die Erfahrung lohnt sich. 

Persönlich war es für mich auch etwas Neues, ein Festival komplett alleine zu durchleben und es hat mich persönlich noch mehr gestärkt. Ich freue mich aufs nächste Jahr und hoffe, wieder dabei sein zu dürfen.

 


Text & Bilder: Aylin Vogelsang