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LUFTWAFFE – Luftwaffe

~ 1985/2022  (Heaven and Hell Records) – Stil: US Metal ~


Beim Ausgraben von Obskuritäten ist der gute Jeremy von „Heaven and Hell Records“ ganz vorne dabei. Hier haben wir eine US Band aus der Gegend Upstate New York, 1981 gegründet, zwischen 1982 und 1985 live sehr aktiv. 1985 wurden die besten der vorhandenen Songs zu einem Album gebündelt und aufgenommen, wonach die Band sehr rasch zerbrach, ohne ihr Potential ausgespielt zu haben.

Soviel die Kurzfassung. Kult ist schonmal, dass hier wieder das JAG PANZER Mindset greift und man sich einen Bandnamen zulegt, der auf das deutsche Militär zurückgeht. Nicht aus politischen Gründen, muss man ja heuer immer anmerken, damit keiner anfängt zu weinen, sondern weil es sich schlichtweg kraftvoll anhört.

Kraftvoll und melodisch geht es mit dem Titelsong, der gleichsam Bandhymne ist, auch schon im besten US Metal Stil los. Mittelschnell und hymnisch, heller, klarer, aber leicht angerauter Gesang, hier und da ein Schrei. Dann kommt der Refrain, das Schlagzeug stoppt für einen Moment, die Gitarren lassen ausklingen und darüber legt der Gesang ein heroisches „LUFTWAFFE!!!!“, dem eine rockende Passage mit gesprochenem Pseudodeutsch folgt. Das ist schon etwas kauzig. Der Solopart mit seinen schwebenden Gitarrenausbrüchen über verspielten Rhythmen ohne Riffs als Backing spricht dann schon eine klarere Sprache. Die flippenden Wahwah-Gitarren als Einleitung des C-Parts sind auch cool und unvorhergesehen. Nach dem C-Part folgt ein kurzer Freakout als Brücke zum ursprünglichen Song, der dann recht konventionell, aber geil zuende geführt wird.

 

 

So weit, so Classic US Melodic Metal. Beim zweiten Stück ´Motel´ ist es vorbei mit der konventionellen Metal Herrlichkeit. Die Strophe ist ein verschlungen umherschwingendes Auf und Ab, halb erzählt, halb mit theatralischer Stimmlage gesungen. Es folgt ein ebensolcher, aber mit cooler, nach mittelalterlichen Folksongs klingender Refrain. Immer wieder werden geradere Heavyrockpassagen mit düsterer Stimmung eingestreut, aber sie bleiben kaum lange. Der Song windet sich in seinen irrsinnigen Rhythmusfiguren und Passagenwechseln schlüpfrig wie ein Aal. Epic Metal trifft auf flippigen Prog / Canterbury Rock, halt nur im Metalgewand. Und man findet heraus, dass diese altfolkig klingenden Parts keineswegs der entgültige Refrain sind. Der ist wieder straight, groovig und episch heroisch. Aber was zum Teufel soll das? Dagegen sind WATCHTOWER die reinste BON JOVI Tributband.

Scheint nur ein einmaliger Ausbruch zu sein. Aber verdammt, das Album ist echt cool mit solchen unerwarteten Ausrückern. ´On Time´ hat dann einen forschen, nicht ganz schnurgeraden Beat, aber coole Melodien, die sich rasch festsetzen. Das Solo ist schon intensiv und geht gleich einem Schneidbrenner direkt durch Deine Seele. Dann kommt der Zwischenpart bzw. ein kurzes Interludium und man wird nervös. Aber gleich darauf holt einen ein letzter Refrain mit seinem schönen Satzgesang wieder runter und die letzte Note wird mehrstimmig a capella gesungen. Toller Song.

Für ´Ringmaster´ geht es erstmal auf den Rummelplatz. Dann setzt der eigentliche Song ein. Immer noch mit Rummelplatzgeräuschen im Hintergrund. Guter Mid Tempo Heavyrock mit tollen Melodien und etwas flippigen Rhythmen wird geboten. Immer etwas abseits, aber eingängig, packend und emotionsgeladen. Und durchaus cool genug, als Hymne für das Cruisen über die Landstraße im ollen Firebird. Hat ein wenig 79er Feeling. Wieder schwenkt man komplett auf den Rummelplatz ohne Rockmusik zurück, dann kommt der sagenhafte Solopart. Wild und ekstatisch heult die Leadgitarre hier feine Melodien. Stoppt ab. Rummelplatz. Die Band steigt nochmals kurz ein, stoppt sofort wieder. Rummelplatz und Ende.

´Spit´ schleppt sich schwerfällig aus den Boxen, hat aber geile Leadgitarren. Hier hat man einen straighten, etwas dunkleren schleppenden Heavyrocker ganz klassisch, mit großen Melodien. Sie können es also doch.

Immer ist ihre Musik erzählend, fantasievoll. So auch bei ´The Chair´, das als Ballade anfängt und zu einem melancholischen Hardrocker mit teils exaltierten Gesangsmomenten wird. Die Melodien umgarnen Deine Seele. Das hier ist nicht far out, schon gar nicht außergewöhnlich und bisher nie gehört. Es ist schlichtweg schön und ergreifend.

Soll das nächste Stück ´Epitath´ oder ´Epitaph´ heißen? Und diese Einleitung klingt spannend. Rollende Drums und Riffing, das eine donnernde Metalnummer versprechen könnte. Erdiger mittelschneller Heavyrock ist die Antwort, wenn auch leicht düster in der Stimmung und mit diversen coolen Melodiebögen. Die groovigen Parts haben schon einen für damalige Zeiten retrospektiven Spät 70er Ausdruck. Aber die knarzige Gitarre rockt stets heavy, der Sänger legt alle Emotionen in die Performance. Das läuft gut rein. Auch hier sind wieder klassische Hardrockcoolness und ein erzählender Aspekt zusammengeflossen. Ich weiss nicht, ob das originell und einzigartig ist, wer sich irgendwann mit GENOCIDE, AMULET, SURVIVOR, DAN JEFFRIES CENTURY, LOOSELY TIGHT, CRYSYS und anderen regionalen Bands aus Nordamerika eingelassen hat, wird eine gewisse Ähnlichkeit feststellen. Den Mix aus Hardrock und ursprünglichem Heavy Metal, die Weigerung, sich an Erwartungen zu orientieren, aber ein deutliches Verbleiben im klassisch harten Rockbereich.

´FreeFall´ oder ´Free Fall´, meine Soundfiles haben eigenwillige Titel. Der abschließende Song hat mehrstimmigen Gesang mit abgeflogenen Melodien, verwinkeltere Kompositionen, bei denen auch mal vom harten Melodicrock auf stimmungsvoll atmosphärische Akustikpassagen umgeschwungen wird und ein gewisses Progfeeling zu bieten. Ein Mix aus BOSTON, KANSAS, YES und JUDAS PRIEST kommt mir in den Sinn. Gewagter Vergleich. Ich will auch kein Namedropping betreiben. Das wird der Band nicht gerecht. Für 1985 ist das hier ein altmodisches Stück, harter Progrock der späten 70er statt Powermetal oder Glam. Sehr freakig, aber einprägsam.

Und zu Ende. Komisches Album, nicht für jeden Heavy Metal-Brother und jede Heavy Metal-Sister geeignet. Gerade die beiden Freak Out-Progmetalstücke. Aber wagemutige Metal- und Hardrockliebhaber sollten mit Genuss in der fantasievollen Klangwelt der Amis lustwandeln können.

Fragt mal bei Underground Power / Helmut Müller respektive den anderen bekannten Kultmetal Versändern nach. Die sollten das hier alsbald im Programm haben.