PlattenkritikenPressfrisch

MYSTERY – Mystery

~ 1988/2022 (Golden Core) – Stil: Metal ~


Dieses Album genießt seit 1988 die Lobpreisungen einer kleinen Anhängerschaft als echter Kult. Doch wie das bei einem traditionellen Kult in der Regel ist, rief das Album ´Mystery´ der Gruppe MYSTERY bereits zur Veröffentlichung zwiespältige Reaktionen hervor, so dass das Produkt der Firma „The Record Company“ zumeist in den Ramschkisten anzutreffen war.

Einige Kutten tragende Hardliner wurden jedoch von dem Mysteriösen der Band MYSTERY angezogen. Die bereits älteren Faustschwinger mit Nietenarmband konnten sich dagegen bei dem gewöhnlichen Mummenschanz selbst im Jahre 1988 nur ein müdes Lächeln abringen. Denn der Sage nach wurde das einzige Werk von MYSTERY in den „Mystery Studios“ aufgenommen und gemischt, in Wahrheit allerdings innerhalb nur einer Woche in den „Interzone Studios“ von Berlin-Kreuzberg komplett fertiggestellt. Obendrein waren alle Lieder anscheinend gemeinsam als MYSTERY verfasst worden. Die Bandmitglieder trugen dabei die illustren Namen: Gerald L. (Gesang), The Lion (Gitarre), Idris Kent (Bass) und Mike Battista (Schlagzeug). Ein echtes Mysterium in allen Belangen.

Dass die Herren in jenen Tagen eine gecastete Band waren, ließ sich nur erahnen. Dass die gestandenen Musiker aus dem Krautrock, Deutschrock und Blues von der neu gegründeten Plattenfirma zusammen getrommelt wurden, um eine außergewöhnliche Heavy Metal-Scheibe einzuspielen, dürfte nur auf die Popularität des Stahls in den Achtzigerjahren zurückzuführen sein.

 

 

Von Mund zu Mund wurde die Größe und Brillanz von MYSTERY über all die Jahre weitergetragen, gleichwohl blieb bei der Suche nach einer Scheibe von MYSTERY zuletzt nur noch der Weg in den Second-Hand-Laden der Stadt.

Satte 34 Jahre später wird dem Engpass in der Auflagenstärke jedoch endlich abgeholfen, die allererste Wiederveröffentlichung steht in den Schallplattenabteilungen der Großmärkte bereit. Zum gleichen Zeitpunkt wird nach all den Jahren auch das Geheimnis der tatsächlichen Bandmitglieder gelüftet. Sänger war kein geringerer als Gert Lange, der als Deutscher die angebliche Ami-Band anführte, im echten Leben bereits mit den Stars der britischen Blues und Rock-Szene gearbeitet hatte und seit 40 Jahren mit seiner Blues und Rock-Röhre die HAMBURG BLUES BAND anführt. Der Rest stammte natürlich ebenfalls nicht aus den Vereinigten Staaten. „The Lion“ hieß Leo Lehr († 1988) und war Gitarrist/Komponist bei INTERZONE, PUDELKO, CURLY CURVE und Produzent. „Idris Kent“ war Ingo Bischof († 2019), der als Keyboarder von KRAAN und KARTHAGO bekannt wurde, aber auch bei GURU GURU oder LAKE aktiv war. Schlagzeuger „Mike Battista“ hieß Hans Wallbaum († 2019) und begann bei CURLY CURVE, spielte hernach u.a. mit THE BLUE NOTES, JOY RIDER, INTERZONE und der HAMBURG BLUES BAND.

Monumentaler wird die Musik durch die Enthüllung im Jahre 2022 allerdings auch nicht. Mit beißendem Gesang und Background-Shouts versucht der hektisch-schnelle Opener ´Mystery´ den klassischen als auch den Extrem-Metaller der Achtzigerjahre anzulocken. Ein kurzer gotischer Zwischenpart begibt sich auf eine andere, ausgefallen theatralische Ebene. Im Anschluss erwacht ´Metal Cities´ aus einer anfänglichen Lethargie und setzt immer wieder zu kleinen, hastigen Läufen an. Echter Metal-Sport. Der pumpende Endspurt von ´Forces Of Evil´ – mit beinahe heulendem Gesang – versucht es hingegen gleich in einem höheren Tempo. Ein echter Dauerläufer.

Wer daher von vordergründig schlichten Songs der Achtzigerjahre angezogen wird, so wie der Hammer vom Amboss, lässt sich auch von der abschließenden Komposition der A-Seite, ´Victims Of Technology´, irgendwo zwischen ANVIL, KISS und JUDAS PRIEST, beglücken.

Die B-Seite gibt der klassischen Metal-Gitarre in ´Sorcerers Of The Universe´ für Freunde von SCORPIONS bis ACCEPT gleich ordentlich Raum zum Röhren. Die Musik passt dabei besonders in solchen Momenten ganz vorzüglich, in denen beim Mitsingen der Bölkstoff bereits sabbernd aus den Mundwinkeln läuft. Auch ´Time Tunnel´ beweist, dass auf der Vinyl-Rückseite der Mitgrölfaktor in die Höhe schießt. Zudem unterstreichen innerhalb der Kompositionen kleine, von Synthesizern unterfütterte Zwischenabschnitte einen gewissen künstlerischen Anspruch. Unterschwellige Metal-Kunst.

Diesen Gedanken können Freunde des gepflegten Heavy Metal jedoch auch gleich wieder mit dem Saiten singenden und mitsingbaren ´Bloodbounds´ beiseiteschieben. Scheint doch zur ´Nightmare (Epilogue)´ der Rock jener Tage aus deutschen Landen nunmehr stärker durch, derweil der gewohnt schlichte Achtzigerjahre-Refrain den Metal-Nerd gleich wieder gefangen nimmt. Und der schreit solange „Nightmare, Nightmare, Nightmare“, dass er sogar in den Genuss einer minikleinen ´Nightmare (Reprise)´ zum Weitermitsingen kommt.

 

 

´Mystery´ von MYSTERY besitzt das gewisse Etwas und ist nicht mit all den kauzigen Waldschrat-Combos auf eine Stufe zu stellen. Die Lieder tönen auch über dreißig Jahre später noch nach Metal-Underground und nicht nach einer möglichen, opulenten Produktion einer Casting-Band. Musikalische Nonkonformisten sollten sich demzufolge MYSTERY ausgiebig schön hören.

(7,5 Punkte)


(VÖ: 29.07.2022)