PlattenkritikenPressfrisch

ZZ TOP – Raw

~ 2022 (Shelter Records/BMG) – Stil: Texas Blues Rock ~


Mit Neueinspielungen eigener alter Titel kann ich normalerweise nichts anfangen, das ist für mich ein rotes Tuch. Ich kann mich nicht erinnern, dass irgendein alter Titel besser war als das Original. Egal, ob die Produktion objektiv besser war oder die Leute inzwischen gelernt hatten, auf ihren Instrumenten zu spielen. Das war dann oft sogar das Problem.

Nun, im Falle ZZ TOP bin ich – nach dem Tod von Dusty Hill – mit einer gewissen Milde an die Sache rangegangen. Auch wenn ein Titel wie ´La Grange´ in diesem Leben weder von ZZ TOP noch einer anderen Band jemals besser als die Aufnahme von 1973 werden kann. Ich lass es jetzt deshalb einmal hilfsweise als Live-Aufnahme oder Session durchgehen. Nun, die so genannten RAW-Sessions wurden in einem Tag eingespielt. Anlass ist irgendeine Netflix-Serie über die Band namens ´That Little Ol’ Band From Texas´. Ich netflixe allerdings nicht. Bei den zwölf eingespielten Titeln handelt es sich um die „Crème de la Crème“ des ZZ TOP-Backkatalogs und der gute alte Dusty Hill (R.I.P.) war noch mit an Bord. Das neue Album erscheint natürlich auch unter dem Motto „in righteous memory of Dusty Hill“.

Auftakt macht ´Brown Sugar´, der für mich deutlich stärkste Titel des ersten ZZ TOP-Albums. Und – dem Texas-Gott sei gedankt – das sind wirklich Sessions, denn es wird erst gar nicht versucht, die Titel Note für Note nachzuspielen, wie manche anderen Bands. Der Sound ist wirklich „raw“ und den Songs wird teilweise eine neue Facette abgewonnen. Mal mehr, mal weniger. ´Just Got Paid´ ist der nächste Gassenhauer im neuen Gewand. Da wird eine kleine Jam-Session eingestreut.

Zumindest wird deutlich, wie viele geniale Songs die drei überzeugten Bartträger in ihrem musikalischen Leben auf die Menschheit losgelassen haben. Alle Songs sind selbstverständlich von den ersten Alben bis einschließlich ´Eliminator´. Mehr braucht man eigentlich auch nicht von den Jungs, auch wenn das spätere Werk nicht wirklich schlecht war (nur ´Afterburner´ mag ich nicht mehr hören, obwohl das das einzige Live-Konzert war, bei dem ich zugegen war. Eine Materialschlacht).

´La Grange´ ist dann trotz starken Gitarrensoli wirklich unnötig (siehe oben). Auch ´Tush´ kann nicht viel Neues bieten, außer der rauen Produktion und Dustys Gesang (kann man hier noch einmal hören). Der schwere Blues von ´Thunderbird´ von ´Fandango´ ist interessanter (den Song hört man ja nicht so oft). Und bei ´I’m Bad, I’m Nationwide´ merkt man, wie viele tolle Songs auch in der zweiten Reihe stehen und wie gut die drei zusammenspiel(t)en (hier insbesondere der offensive Bass). Interessant wird dann, wie man den im Original synthiegetriebenen Hit ´Legs´ umsetzt. Enttäuschend, denn der Synthie ist wieder dabei. Klingt wie ein Demo der ´Eliminator-Sessions´. Auch ´Gimme All Your Lovin‘´ mit einem weiteren Jahrhundertriff kann sich nicht sehr vom Original abheben. ´Blue Jean Blues´, wer liebt diesen Song nicht. Der bleibt in jeder Version wunderschön. Am Schluss der ´Certified Blues´ vom Debüt und der ´Tube Snake Boogie´ (mit Dusty als Co-Sänger).

Ich bin milde. Ganz unterhaltsam und den guten Dusty hört man auch noch einmal am Bass und bei ´Heard It On The X´ und den genannten Titeln auch am Mikrofon. Die Band lässt sich auch immer wieder kleine Gimmicks einfallen und der Sound ist ungehobelt (anders als bei ´Afterburner´). Für den ZZ TOP-Fanatiker / die ZZ TOP-Fanatikerin sicher ein Pflichtkauf und im Zusammenhang mit dem Flix-Ding sicher auch nachvollziehbar. Warum sollen sie auch neue Titel aufnehmen, die sowieso nur einen kleinen Teil der Menschheit interessieren. Deshalb einfach mal anhören, ist eine nette „Best of“ der anderen Art und dazu den neu produzierten „Tres Hombres Whisky“ trinken. Der Billy und der Frank haben es auf jeden Fall verdient, noch ein paar Dollar auf die Bank zu kriegen. Ich fand es nett und habe mich an die tollen Songs mal wieder erinnert. Eine Tour gibt’s auch. Bleibt zu hoffen, dass Billy Gibbons und Frank Beard noch ein langes Leben vor sich haben. Originale gibt es nicht mehr genug.

(Wertung: natürlich keine)


(VÖ: 22.07.2022)