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WYATT. E – āl bēlūti dārû

~ 2022 (Stolen Body Records) – Stil: Oriental Doom ~


Drei geheimnisvoll verschleierte Belgier nehmen uns mit zwei knapp zwanzigminütigen Songs auf eine Zeitreise ins vom babylonischen König Nebukadnezar II knapp 600 v.C. zerstörte Jerusalem und das darauffolgende Exil der judäischen Oberschicht in Babylon.  Klingt crazy? Ist es gar nicht so sehr, da einer der Drei einen Urgroßvater mit syrisch-jüdischen Wurzeln hat und diese Familienlinie und Geschichte über die schon damals vage orientalisch beeinflusste Musik des Trios weiter erforschen wollte. Wie sie dann mit ihrem Debüt ´Exile To Beyn Neharot´ 2017 beim israelischen Label „Shalosh Cult“ landeten und sogar einige Zeit im Orient verbrachten, ist wieder eine andere Geschichte…

Ihren Zweitling ´āl bēlūti dārû´, akkadisch für „Die ewige Stadt“, konnten sie in den vergangenen Wochen in Tilburg und auf großer Europatour mit MESSA vorstellen, und dessen zwei Songs reichen schon für fast vierzig Minuten Spielzeit aus. Es passiert wenig und doch sehr viel in ihrer Doomversion, die Themen und Stimmungen bis in unendliche Tiefen erforscht, und mittlerweile auch durch unübliche Instrumente wie Saxophon, Saz, sowie dronige verzerrte Stimmen und Effekte ergänzt wird. Auch für die in ihrem Stil so wichtigen Percussions wurden diesmal neue Wege beschritten und zwei Drumkits gleichzeitig eingespielt, um die Vibrationen nachzuahmen, die von einer riesigen Menge Menschen erzeugt werden. Es ist ein gigantisches Vorhaben, was WYATT. E planen, passend zum monumentalen Mesopotamischen Großreich, und ihre Musik taugt tatsächlich für Pilgerreisen zurück zu den ältesten Gottheiten der Menschheit, vergessenen Städten und verlorenen Zivilisationen.

 

 

Live erlebt man noch mehr als auf Konserve, wie diese Band und ihre immense Anziehungskraft funktionieren. Die Drones, Glocken, exotischen Klänge und repetitiven fremdartigen Harmonien ziehen einen in eine andere, vergangene Welt hinter dem Schleier von Raum und Zeit, und die starken Percussions halten uns dort fest, fast scheint man ungewohnte Kräuter und Gewürze sowie schweren Amber und Dammar zu riechen, die Musik wabert wie Weihrauch durch das Zelt mitten in der Wüste in das wir uns weggeträumt haben, draußen brennt eine erbarmungslose Sonne, hier im Schatten werden Köstlichkeiten aus Pistazien, Datteln sowie honigsüßer Minztee gereicht. Sobald es dunkel wird, beginnen die Tänze am Lagerfeuer, die Musik wird ekstatischer, eine elektrische Spannung liegt in der Luft, doch als wir die Augen öffnen, sind wir doch bei einem Konzert oder Festival und stehen mit beiden Beinen fest auf dem Boden… wenn da nur nicht diese bewusstseinsverändernden Kräuter wären.

´āl bēlūti dārû´ ist ein perfekter Trip aus rituellem Post Rock und orientalisch angehauchtem Doom, hohen Soundwällen und schweren Riffs, sich ewig drehenden Soundspiralen und vielerlei Lagen an Tönen und Samples, dem Wechsel zwischen Tanz und Meditation. Ein grooviger Bass treibt die fremdartigen Rhythmen vor sich her, und am Ende beginnen auch wir mitzuklatschen zu diesem zeitlosen Spektakel, das einen komplett die Zeit vergessen lässt. Zudem hat Soundguru Billy Anderson dem Ganzen auch noch seine Handschrift verpasst und so zusätzlich für die Ausgewogenheit von Aufbau und Zusammenbruch gesorgt. Wer die Möglichkeit hat, WYATT. E live zu erleben, sollte sich diese Chance nicht entgehen lassen. ´āl bēlūti dārû´ ist uns auf jeden Fall mehr als

8 Granatapfelkerne

wert.

 

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Pic: Gil Chevigné