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OBSCURA – A Valediction

~ 2021 (Nuclear Blast Records) – Stil: Progressive / Tech Death ~


OBSCURA sind nach drei Jahren zurück, und Besetzungswechsel gehören ja zu den bayrischen Techdeathern wie überhöhte Geschwindigkeit auf dem Griffbrett, wieso sollte es beim sechsten Album anders sein? Doch diesmal dreht sich das Personalkarussell erstaunlicherweise nur einen Schritt nach vorne und ganze zehn Jahre zurück zum ´Omnivium´ Line-Up – eben mit Ausnahme des Schlagzeugers, der diesmal nicht Hannes Grossmann, sondern David Diepold heisst. Wir haben also wieder das niederländische Fretless-Urgestein Jeroen Paul Thesseling (PESTILENCE) am Bass sowie einen nach seiner Genesung und den Erfolgen mit ALKALOID unüberhörbar wieder zur alten Grösse und Kunstfertigkeit zurückgekehrten Christian Münzner in der Mannschaft, was folgerichtig grandiose Gitarrenduelle zwischen ihm und Bandboss Steffen Kummerer bedeutet, unterlegt, nein vielmehr komplimentiert von diesem unverkennbaren warmen, elastischen Bass und einem jungen österreichischen Drummer, der hungrig ist zu zeigen, was er alles drauf hat.

Viel wichtiger ist jedoch, dass mit den beiden Songwriter zurückgekehrt sind, die vor allem im Fall von Münzner ein Gutteil der Kompositionsarbeit übernehmen; dass Kummerer hier nicht nur entlastet wird, sondern vielmehr neue Impulse erhält, die seinem Perfektionismus ungebremste Kreativität entgegensetzen, tut dem Album hörbar gut, die Songs atmen eine Spontanität, Frische und Freiheit, die gerade beim Vorgänger ´Diluvium´ zugunsten einer fast sterilen Hochglanzproduktion weitgehend verloren gegangen war.

 

 

´Diluvium´ markierte 2018 den Abschluss von OBSCURAs zehn Jahre andauerndem konzeptuellem Vier-Alben-Zyklus, und es war höchste Zeit, ein neues Kapitel aufzuschlagen und sich von dem philosophischen und künstlerischen, aber eben auch extrem technischen, ja maschinellen Konzept dahinter zu lösen, und zurück zum Musiker als Menschen zu kommen. Wohin dieses verstärkte „Menscheln“ sogleich führen kann, zeigt wohl am überraschendsten ´When Stars Collide´ mit Björn „Speed“ Strid (SOILWORK, THE NIGHT FLIGHT ORCHESTRA) am Mikro, ein lässiger Melodeath-Stadion-Smasher mit dazu passendem Östrogenvideo, wie man ihn von den Techdeathern so bisher niemals erwartet hätte.

Hinzu kommt, dass ´A Valediction´ im Gegensatz zu den vorangehenden Produktionen beim Gottvater des Gothenburg-Sounds, Fredrik Nordström, im Studio Fredman aufgenommen und abgemischt wurde, der dem Album seinen raumgreifenden, vollen und zeitlosen Klang verpasst hat, der sich weniger auf die virtuosen Details fokussiert, sondern stets die Gesamtwirkung im Blick hat. Selbst der handwerklich extrem anspruchsvolle, typisch perlende Gitarrensound erhält unter seine Hand einen entspannten, fast lässigen Vibe, was Songs wie ´Forsaken´, ´Orbital Elements II´ oder der Titelsong zeigen. Die beiden Gitarrenheroen müssen sich nichts mehr beweisen, komponieren und shredden auf hohem Niveau ein Solo nach dem anderen, aber tatsächlich songdienlich, melodiebezogen und ohne den typischen, hochkomplexen OBSCURA-Trademarksound zu verlassen (´In Adversity´ mit seinen himmlischen Twinleads…). Experimente sind trotzdem erlaubt, gerade auch was Kummerers uncleanen Gesang angeht, siehe das ultratiefe Growling bei ´Devoured Ursurper´, das sich harmonisch in die neue Ausrichtung einpasst.

Und dann natürlich dieser Bass! Als ob er ein Eigenleben führte, laufen seine Linien im Kontrapunkt zu den Gitarren und erschaffen damit dieses typische barocke vielstimmige OBSCURA-Klangbild, das mit seiner Harmonie sofort fesselt und dann damit begeistert, dass bei jedem Durchlauf neue Details hinzukommen. Wie wichtig Thesselings Siebensaiter ist, zeigt sich schon daran, dass das Album mit einem Bassintro beginnt, und es ist einfach eine Freude, diesem Alleskönner zuzuhören, wie er seine Melodien wachsen lässt in einem Umfeld, das dafür auch genügend Freiraum bietet. Es bleibt spannend, wieviel Input von diesem zwischen Jazz und Metal stehenden Bassisten in hoffentlich künftigen Alben noch hinzukommt.

Sie sind zurück mit einem Neustart! Nach dem Abschluss ihrer Konzeptreihe und dem Wechsel zu „Nuclear Blast“ stehen OBSCURA als gereifte Band gleichberechtigter Mitglieder mit einem Album in den Startlöchern, das nicht nur die Frickeljünger, sondern tatsächlich auch die weitere Progressivgemeinde abholt, indem es gewohnte Stärken und relaxte Souveränität miteinander verbindet, ohne auf Härte und Geschwindigkeit zu verzichten. In dieser Konstellation dürfen gerne noch einige weitere Scheiben entstehen…

(8,5 Punkte)

 

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