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DREAM THEATER – A View From The Top Of The World

~ 2021 (Inside Out) – Stil: Prog Metal ~


Selbst wenn die großen Zeiten einer Musikperiode vorbei sind, werden deren bekannteste Vertreter nicht müde, weitere Studioalben im selben Stil zu produzieren. Der Progressive Metal war die Krönung der Neunzigerjahre, konnte jedoch bereits eine Dekade später in der Breite langweilen. Denn auf den Höhepunkt einer Bewegung folgt aufgrund des Massenzulaufs recht schnell der Niedergang.

DREAM THEATER, die Hauptinitiatoren des Progressive Metal, so wie er seit den Neunzigerjahren bekannt ist, spielen weiterhin munter mit. Obwohl ´A View From The Top Of The World´ als ihr erstes Studioalbum aus ihrem eigenen Studio, DTHQ – „Dream Theatre Headquarters“, in die Annalen eingehen wird und die allererste Zusammenarbeit mit Andy Sneap markiert, wird es keine herausragende Stellung in der Diskografie der einstigen Musterschüler vom „Berklee College of Music“ in Boston einnehmen, aber dennoch zu den Gewinnern zählen.

´A View From The Top Of The World´ wartet zwar mit keinerlei Überraschungen und Aha-Momenten auf, gleichwohl tönen DREAM THEATER wie immer perfekt sowie überraschend frisch und unverbraucht.

Nichtsdestotrotz bedeuten die sieben Kompositionen weiterhin einen gewissen kreativen Stillstand. Innovativ ist nichts mehr. Der letzte Versuch, geistreich andere Wege zu beschreiten, wurde vor gut einer halben Dekade bei ´The Astonishing´ (2016) von der Anhängerschaft erschreckenderweise abgestraft. Ihr fünfzehntes Studioalbum nimmt daher noch mehr als der direkte Vorgänger ´Distance Over Time´ (2019) die Vermächtnisse der Vergangenheit auf und verknüpft sie unaufgeregt breaksicher und progressiv geschmeidig.

Niemand sollte ein bahnbrechendes ´Images And Words´ (1992) oder gar ´Awake´ (1994) erwarten, und erst recht keinen neuerlichen Meilenstein á la ´Metropolis Part 2 – Scenes From A Memory´ (1999). DREAM THEATER schauen sich vielmehr in den Nullerjahren ihrer Diskografie um.

Neu und alt verschmelzen wunderbar innerhalb der beiden Zehnminüter, die eine Verbindung zu ´Octavarium´ (2005) sowie ´Black Clouds & Silver Linings´ (2009) herstellen, bei ´Sleeping Giant´, das sich sogar Mellotron-Klänge gönnt, und bei ´Awaken The Master´ mit vielen instrumentalen Abschnitten und einer Achtsaitigen.

Völlig vorhersehbar wird allerdings bei einigen Kompositionen der Songtitel erst am Ende besungen. Der wuselige Opener ´The Alien´ etwa, der mit einer beinahe abgegriffenen Dramatik glänzt, aber am Ende dennoch seine Steigerung findet, oder das nachfolgende ´Answering The Call´, das sich als erster Mitsing-Song entpuppt und dem Klavier eine größere Aufmerksamkeit schenkt, schlendern allesamt gerne auf den Spuren von ´A Dramatic Turn Of Events´ (2011).

Die großartigen Restbestände schimmern allerdings auch bei Tageslicht. Das zwanzigminütige Finale ´A View From The Top Of The World´ beginnt sinfonisch, entwickelt sich zwar nicht so brillant, aber eben wie ´Six Degrees Of Inner Turbulence´ (2002) und weniger wie ´A Change Of Seasons´ (1995). Das eingängigste Stück steht hingegen an dritter Stelle, der natürlichen Single-Position, und nennt sich ´Invisible Monster´, vorgetragen im Sinne von ´Forsaken´ aus ´Systematic Chaos´ (2007). Genauso anschmiegsam im Geiste der frühen Neunzigerjahre ist ´Transcending Time´ mit einem Hauch von RUSH.

Wahre Musikgrößen überleben schließlich immer, selbst wenn sie nur im Kopf oder in den Kompositionen nachfolgender Generationen weiterexistieren.

(Big 8 Points)

https://www.facebook.com/dreamtheater


(VÖ: 22.10.2021)