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BLACK MIDI – Cavalcade

~ 2021 (Rough Trade) – Stil: Experimental Rock ~


Die Erwartungen an den Nachfolger des improvisierten Debütalbums namens ´Schlagenheim´ schossen innerhalb der letzten Monate in die Höhe. Noch düsterer und noch manischer schien die einzige Möglichkeit zu sein, diese zu erfüllen. Akrobatisch und heldenhaft, ruhelos und beschwingt ist hingegen die Antwort von ´Cavalcade´. Die britischen Avantgardisten BLACK MIDI bieten mehr Akkorde für acht Halleluja, mehr Rhythmen für acht Segenssprüche, mehr Noise, mehr Mathrock, mehr Prog Rock, mehr Jazz und Fusion, aber auch mehr Raum für Schwelgereien und für Experimente.

Produzent John „Spud“ Murphy hielt in den „Hellfire Studios“ auf Montpelier Hill in County Dublin acht Kompositionen für die Ewigkeit fest, die BLACK MIDI als Vorreiter aus dem Umfeld des Brixtoner Clubs „The Windmill“, neben den Newcomern BLACK COUNTRY, NEW ROAD, aufzeigen. Die Extreme von ´Cavalcade´ liegen zwischen Varieté á la RUFUS WAINWRIGHT (´Marlene Dietrich´) und MR. BUNGLE (´Hogwash And Balderdash´). Dabei sind die Einflüsse von FRANK ZAPPA, CAN oder KING CRIMSON in all ihren Einzelheiten viel zu zahlreich.

 

 

Das vorab veröffentlichte ´John L´ eröffnet den ungestümen Reigen. Für Höllenlärm, langsames stolpern durch ein Orchester, sorgen in diesem Falle vorrangig Klavier, Violine und Saxofon: „These words are heard on Main Street when John Fifty comes to town.“ Das Kontrastprogramm bietet umgehend ´Marlene Dietrich´. Geordie Greep singt – kummervoll im Andenken an die umstrittene Legende – vom „Blauen Engel“ und „Mackie Messer“. Zu chronischen Knieschmerzen kommt es eventuell im Laufe der Jahre, wenn beim hektischen Rhythmus eines ´Chondromalacia Patella´ getanzt wird. Während des Gesangsvortrags geben sich BLACK MIDI allerdings bereits wieder sanft, finden gleichwohl auch hier zur klirrenden Explosion.

Die Aberwitzigkeit gewährt in ´Slow´ Einlass für bedächtigere Abschnitte des Jazz: „Slowly, slowly“ bis in den Wahnsinn. Inmitten von Westerngitarre, irischer und griechischer Bouzouki entstehen in ´Diamond Stuff´ gleichsam Momente zum Dahintreiben, vielleicht mit dem Roman Isabel Waidners „We Are Made Of Diamond Stuff“ in der Hand. Den Kampf mit den Lebenssünden nimmt derweil ´Dethroned´ auf, sich nach und nach entwickelnd und entfaltend. Geordie Greeps Sprechgesang zeigt sich abermals zum Irrsinns-Instrumentarium von ´Hogwash And Balderdash´. Das monumentale, beinahe zehnminütige Hurz-Epos ´Ascending Forth´ setzt dann den Schlusspunkt: „Oh, everyone loves ascending fourths.“

(9 Punkte)

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