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V/A – KRAUT! – Die innovativen Jahre des Krautrock 1968-1979 (Teil 3)

~ 2020 (Bear Family Produktions) – Stil: Krautrock ~


Wer bereits die neueste Sampler-Reihe der „Bear Family“ verfolgt und sich erstmals oder abermals in den Krautrock verliebt hat, der weiß, dass nach dem Ausschwärmen nach krautigen Klängen im Norden des Landes (mit Teil 1) und der Mitte deutscher Landen (mit Teil 2) nun im dritten Teil der Süden der Republik an der Reihe ist: ´KRAUT! – Die innovativen Jahre des Krautrock 1968-1979´!

Erneut konnte sich die „Bear Family“ der digitalen Kopien von populären oder weniger bekannten Combos der besten Krautrockjahre bemächtigen, von Marcus Heumann im ursprünglichen Klangbild mastern und die Zusammenstellung von Burghard Rausch (DeeJay, Rundfunkmoderator, Vinylsammler, Schlagzeuger bei u. a. AGITATION FREE) auf 112 Seiten kommentieren lassen, so dass der Informationsgehalt bald dem eines Buches gleicht.

Krautrock ist schließlich mehr als CAN und TANGERINE DREAM, KRAFTWERK und NEKTAR: Krautrock ist und kann alles sein. Ein ganzes Universum für den Krautrock. Alles möglich. Alles darf. Und natürlich wäre keine Sampler-Reihe vollständig, erst recht nicht bei der alleinigen Berücksichtigung des Südens der Republik, die KIN PING MEH, KRAAN oder GURU GURU auslassen würde.

Die bei einem Bandwettbewerb der „Bild am Sonntag“ auf der Reeperbahn entdeckten Mannheimer KIN PING MEH, bei denen später auch Geff Harrison (TWENTY SIXTY SIX AND THEN) am Mikro stand, existieren seit 1969 mit zwischenzeitlicher Auflösung bis heute. Auch wenn die ersten Alben progressiver waren, gehört das hier präsentierte ´Good Time Gracie´ aus dem 1974er Album ´Virtues & Sins´ zu einem Bandstandard. Die berühmten KRAAN waren zu ihrer Blütezeit in den Siebzigerjahren äußerst erfolgreich. Die von Hellmut Hattler, Peter Wolbrandt, Jan Fride Wolbrandt und Johannes Pappert gegründete Band durfte als erste deutsche Formation auf einem englischen Festival spielen. Der unumgänglichen Anspieltipp ´Holiday am Marterhorn´ ist aus ihrem 1974er Werk ´Andy Nogger´; von GURU GURU hingegen ´Der Elektrolurch´ aus dem selbstbetitelten 1973er Album. Die von den beiden Freejazzern Mani Neumeier und Uli Trepte gegründete Band wurde in den Siebzigerjahren zur Kult-Band, mit ihrem psychedelischen Rock selbst in der Hippie-Szene.

Genauso unverzichtbar waren und sind für den Krautrocker EMBRYO. Die Jazzrock-, später Weltmusik-Formation ist seit 1969 aktiv und bleibt seither der Improvisationsgabe treu. ´Tausendfüssler´ war ihr großer Hit und Radioerfolg aus dem Jahr 1971. Die Gruppe SAHARA gab es hingegen bereits seit 1966 unter dem Namen THE SUBJECTS, dann SUBJECT ESQ. Als SAHARA wurden sie sogar von der Münchner Abendzeitung als „Münchens älteste und wichtigste Rock-Band“ angekündigt und zogen zu Konzerten gar 4.000 bis 5.000 Zuschauer. Aus ihrem 1973er Werk ´Sunrise´ ist der Rocker ´Rainbow Rider´ vertreten.

Echte Pioniere waren IHRE KINDER, die vor Udo Lindenberg und anderen als erste Rockband deutsche Texte einsetzte. Den größten öffentlichen Auftritt hatten sie 1970 in der Samstagabendfernsehsendung „Wünsch Dir was“. Sie durften im Wechsel mit den BEE GEES zwei Songs vortragen: ´Leere Hände´ und ´Menschen wie Sand am Meer´, der hier auf dem Sampler seinen verdienten Platz einnimmt. Aber auch die Jazzrocker um IHRE KINDER-Gitarrist Muck Groh namens AERA, die auch mit Folk liebäugelten, zeigen von ihrem 1976er Zweitwerk ´Hand und Fuss´ ihr Vorzeigestück ´Mechelwind´.

Ebenfalls dürfen JOY UNLIMITED nicht vergessen werden, die zuvor als JOY & THE HIT KIDS seit 1966 poppiger unterwegs waren. Sängerin Erna Strube nannte sich Joy und ist der ganzen Welt als Joy Fleming bekannt, im Raum Mannheim-Heidelberg wohl tatsächlich jedem Kind der 60s/70s. Von ihrem 1971er Werk ´Schmetterlinge´, das als „progressive Ballettmusik“ beworben wurde, stammt ´Contacts – Rudiment´. Aus der Reihe tanzt die Band des dereinst in der Schweiz lebenden Belgiers Joel Vandroogenbroeck, der BRAINTICKET mit Mitgliedern aus diesen Ländern, aber auch Deutschland und Italien betrieb. Der Opener ´Black Sand´ des 1971 Debüts ´Cottonwoodhill´, einer angeblichen Vertonung eines LSD-Trips, ist im Krautrock selbstredend bestens aufgehoben. Daneben gibt es ein Wiedersehen mit 18 KARAT GOLD, BETWEEN, BULLFROG, DEUTER, ET CETERA, NIAGARA sowie ORANGE PEEL.

1968 – 1979 in dieser Republik – bezaubernde musikalische Zeiten. Gerade die Musik jener Tage hält diese Zeiten und ihre Menschen lebendig.

Krautrock – das Kraut, das man nicht nur essen und rauchen, sondern auch hören kann: ´KRAUT! – Die innovativen Jahre des Krautrock´!