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PROTEST THE HERO – Palimpsest

~ 2020 (Fearless Records / Spinefarm Records) – Stil: Tech-Prog-Rock-Metal~


PROTEST THE HERO bleiben auch auf ihrem fünften Full-Length starr- und eigensinnig, zeigen sich ganze sieben Jahre nach ´Volition´ und vier Jahre dem ´Pacific Myth´-Projekt in brillanter Form. Prog-Tech-Math-Metal-Rock-Core-Punk-Pop ist alles, was das Quartett benötigt, um seine Tonfolgen in atemraubender Hast auf den Hörer einstürzen zu lassen. Wohlige Töne beginnen zwar sekundenlang den neuesten Reigen, gleichwohl setzt das Überfallkommando umgehend ein. Los geht´s.

Passend zum sinfonischen Unterbau von ´The Migrant Mother´ packt Sänger Rody Walker die große Geste aus, derweil seine Kumpanen weiterhin auf alle Felle und Saiten eindreschen. Das nenne ich Wagneranische Bühnenpräsenz im Jahre 2020. Überdies wird es im Finale von ´Soliloquy´ dermaßen episch, dass True Metaller vor Ehrfurcht Eintrittskarten für die nächsten Bayreuther-Festspiele kaufen. Weiter geht´s.

´The Canary´ zeigt die Kanadier im ordentlich schnellen Takt, in ´The Fireside´ noch hektischer sowie unter Berücksichtigung von vielerlei Wendungen. Aber allzeit schaffen es die Herren, wie etwa mehr als mehrmals-hundertmal hörenswert in ´From The Sky´, die Songs im gleißenden Licht erstrahlen zu lassen. In diesem bewährt sich die große Abschlussnummer ´Rivet´ ganz besonders, eine von mehreren neuen Hyper-Hyper-Hymnen für die Ewigkeit.

Da hackt und kratzt kein Song dem anderen die Krone ab. Im Gegensatz zu einem Palimpsest, einem nochmals beschriebenen Papyrusblatt, weil der Preis für neues Papyrus dermaßen hoch war, dass man das bereits beschriftete abkratzte und erneut nutzte, beschreiten PROTEST THE HERO keinesfalls bereits musikalisch ausgetretene Felder.

 

 

Trotz der Stimmprobleme von Rody Walker, der sich im Vorfeld nach dem zwischenzeitlichen Ausfall seiner Stimmbänder verbissen zurückgekämpft hat, präsentiert er sich in Hochform. Bis auf kurze Einsätze in ´All Hands´ oder ´Soliloquy ´ verzichtet er dennoch auf seine grölende Ausdrucksweise. Allerdings nimmt die Formation auch kein Blatt vor den Mund, beschäftigt sich mit Immigranten und Wanderarbeitern (´The Migrant Mother´), nimmt den Faden der Geschichte von Amelia Earhart, einer US-amerikanischen Flugpionierin und Frauenrechtlerin, auf (´The Canary´) und nutzt die Hindenburg-Katastrophe als Parabel (´From The Sky´). Doch erst die große Gesellschaftskritik (´The Fireside`) hinsichtlich Korruption und Machtmissbrauch (´Little Snakes´) sowie die Beschwörung des amerikanischen Traums (´Reverie´) hält nicht nur die Finger, sondern die ganze Hand in die Wunde, die immer größer wird, je länger wir von den lauten Krakeelern dieser Tage „Let’s make America great again“ hören müssen (´Rivet´).

Palim-Palim? Palimpsest! Ein größeres Feuerwerk aus Melodie, Härte und Verstand dringt selten in die Ohren.

(9 Punkte)

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