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DOOL – Summerland

~ 2020 (Prophecy Productions) – Stil: Rock ~


 

Michael Haifl, 21.3.2020

Die Niederländer DOOL konnten und wollten mit ihrem Debüt das Vakuum nicht füllen, das THE DEVIL’S BLOOD hinterlassen haben, obwohl immerhin die Rhythmus-Fraktion – Bassist Job van de Zande und Schlagzeuger Micha Haring – involviert ist. Gleichwohl ist dieser mystische Raum aus mittlerweile umnebelten Tagen auch auf dem Nachfolger noch vorhanden, den jedoch Gitarrist Nick Polak und sein neuer Nebenmann Omar Iskandr mit anderen Rock-Düften ausfüllen. Natürlich finden DOOL weiterhin am Heavy-/Doom-Rock gefallen, führen jedoch den Düster-/Goth-Anteil in alternativere Gefilde. Die entscheidenden Impulse setzt letztlich Ryanne Van Dorst am Mikrofon.

DOOL beginnen innerhalb des Openers ´Sulphur Starlight´ mit psychedelischem Doom, so wie wir ihn von dem Quintett erwarten konnten, schwenken jedoch nach einer Minute urplötzlich beim Gesang in Richtung des Alternative Rock á la PLACEBO, um zum Refrain im Classic Rock zu enden. Die Altvorderen denken an BLUE ÖYSTER CULT, junge Hörer an GHOST oder MAGNA CARTA CARTEL. Im gleichen Muster verfährt ´Ode To The Future´. Ein ´Wolf Moon´ ist sogar noch weitaus mehr Alternative Rock. Die Neunzigerjahre rufen – und DOOL wollen mit dieser hypnotisierenden Musik die Massen becircen. Der Ansatz verfestigt sich zu Beginn von ´God Particle´ sogar bei THE TEA PARTY, die Alternative Prog-Ansätze schauen jedoch umgehend vermehrt hervor. Die Atmosphäre nimmt ab hier einen wichtigen Bestandteil im Sound von DOOL ein. Aussagekräftige Soli stehen schlichten Refrains gegenüber. Anhänger später FATES WARNING könnten dabei sogar hängenbleiben. Den Hauch von Goth Rock sammelt ´The Well‘s Run Dry´ auf und gönnt Okoi Jones (BÖLZER) einen Sprechpart. Der Titelsong ´Summerland´ gibt sich hingegen als getragene und zärtliche Komposition. Auch ´A Glass Forest´ tänzelt zuerst durch die Walachei, ehe punktuell die Luzie abgeht. Epischen Prog Metal skandinavischer Prägung schenkt zumindest ´Dust Shadow´ zum Finale aus. Dass Per Wiberg (ex-OPETH, KAMCHATKA) mehrmals die Hammondorgel bedient, etwa in ´Be Your Sins´, sowie Farida Lemouchi (THE DEVIL’S BLOOD) im Hintergrund singt, führt nicht unbedingt zur Herausstellung eigener Alleinstellungsmerkmale im Retro-Okkult-Rock.

Bedingt anders als zu erwarten war und dabei sie selbst geblieben – DOOL gelingt der Schritt vom Debüt zum Nachfolgewerk.

(8 Punkte)

 

 

 

 

 

 

U. Violet, 10.4.2020

Wie aus dem Nichts schienen sie zu kommen, als die Fünf vor vier Jahren beim „Roadburn Festival“ ihren internationalen Live-Einstand gaben, und damit begann die schon im Bandnamen verankerte Reise – denn DOOL kann mit wandern, umherstreifen übersetzt werden. Dass dieses ständig mir ihrer Musik in Bewegung sein, ihr Liebstes ist, bewies der tatsächlich reichlich banderfahrene, ungezähmte Haufen um Ex-Elle Bandita und Bandleaderin Ryanne van Dorst sowie versprengte TDB-Mitglieder im weiteren Verlauf ihrer noch jungen Bandgeschichte auf unzähligen Touren und Festivals.

Eine hochintensive, extrem sinnliche Liveband mit in die Beine gehenden und das Herz entflammenden Dark-Rockern zwischen psychedelischer Improvisationskunst, doomig-melancholischer Düsternis und 90ies Goth-Rock-Attitüde, die sie je nach Stimmung in ganz unterschiedlicher, aber stets authentischer, kraftvoller und energiegeladener Weise auf die Bühnenbretter bringen, die offensichtlich ihre eigentliche Heimat sind. 2017 erschien dann ihr strahlendes Debüt ´Here Now, There Then´, und fand mit Hits wie ´In Her Darkest Hour´ oder ´The Alpha´ sofort seinen Platz in den Herzen all derer, die Musik vor allem dann anspricht, wenn sie nichts beschönigt, in die Eingeweide fährt und Schatten mit Licht, Yin mit Yang, Geist mit Sex verbindet, und das alles auf die songschreiberisch raffinierteste Art überhaupt.

War ´Here Now, There Then´ noch eine oft wütende, impulsive Scheibe direkt aus Herz und Unterleib, eine emotionale Achterbahnfahrt voller (Selbst)Anklagen und Zweifel, deutete bereits die letztjährige EP ´Love Like Blood´ eine Wendung an, hin zu mehr Innenschau als Extroversion. Damit war die Spannung auf das Zweitwerk kaum noch zu toppen, und ja, es überrascht und fühlt sich zugleich wohlig heimisch an. DOOL präsentieren sich 2020 mit deutlich mehr Post-Rock Sprödig-, ja sogar Sperrigkeit, womit sie an ´Why Aren’t You Laughing?´ ihrer geistesverwandten Landsleute von GOLD erinnern, mit teilweise erstaunlich reduzierten, meist jedoch noch elaborierteren, nochmal deutlich progressiveren Songaufbauten, die wohl auch vom Wechsel an einer der drei Gitarren beeinflusst sind, hat Tausendsassa Omar Iskandr (TURIA, SOLAR TEMPLE, LUBBERT DAS etc.) nun fest Reinier Vermeulens vakante und live lange von Jordi Ariza Lora übernommene Position eingenommen.

Nochmals gesteigert hat sich außerdem die spirituelle Kraft, die ´Summerland´, dem heidnischen Paradies, innewohnt und geradezu kongenial in Stücken wie ´Wolf Moon´ (mit der einzigartigen Farida Lemouchi von TDB und der Geschwisterband MOLASSES) oder dem wie auch ´A Glass Forest´ orientalisch gestimmten ´God Particle´(was für eine Verwandlung der Stimmungen innerhalb nur eines Songs!) ausgedrückt wird – DOOL haben sich, stark vereinfacht, von zornigen Punks zu inspirierten Philosophen entwickelt, und das steht ihnen in unserer so zerrissenen, und doch mehr denn je aufeinander angewiesenen Gesellschaft und Zeit sehr gut. Sie kennen sich selbst und ihre Stärken besser, sind gereift, doch keineswegs gesättigt, und erst ganz am Anfang einer hoffentlich sehr langen und erfolgreichen Reise. Oder um es mit Leonard Cohen zu sagen: First they took all Europe, now they’ll take the world.

(9 Punkte)

 

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