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EARTH DRIVE – Helix Nebula

~ 2020 (Raging Planet) – Stil: Heavy Psychedelic Rock ~


Eigentlich ist es ja kein Geheimnis, dass die beim Hören von Musik verspürten Gefühle und geweckten Assoziationen zu einem nicht unbeträchtlichen Maß darüber entscheiden, wie man einen Song, eine Band, oder sogar eine ganze Musikrichtung beurteilt. Manchmal geht es sogar soweit, dass die musikalische Qualität des dargebotenen nur noch eine untergeordnete Rolle spielt. Damit will ich weiß Gott nicht behaupten, dass die Musik von EARTH DRIVE keine Qualität hätte, ganz im Gegenteil! Es ist vielmehr so, dass, obwohl die auf ´Helix Nebula´ dargebotene Musik eindeutig nicht in mein klassisches Beuteschema passt, sie es doch geschafft hat, mich bereits nach einem Durchlauf in ihren Bann zu ziehen. Dies hat vor allem mit der Atmosphäre zu tun, die der Gesang von Sara Antunes heraufbeschwört, welcher stellenweise in einem konstruktiven Kontrast zu der musikalischen Basis steht, welche die Instrumentalisten im Hintergrund legen. Der Begriff „Hintergrund“ muss im vorliegenden Fall allerdings sehr flexibel interpretiert werden, denn Schlagzeuger Sebastião Santo spielt sich bei manchen Stücken die sprichwörtliche Seele aus dem Leib (besonders auffällig bei ´Axial View´) und pfeift auf eine dezente Hintergrunduntermalung, wie sie diesem Instrument nur allzu häufig als Rolle zugewiesen wird. Auch der von Luis Silva bediente Bass schafft es vereinzelt, sich aus dem ihm üblicherweise zugeschriebenen Platz in der zweiten Reihe zu befreien und prominent in den Vordergrund zu treten. Für dieses Genre eher ungewöhnlich bleibt vielmehr die von Hermano Marques gespielte Gitarre zumeist dezent im Hintergrund und erfüllt als wertvolles Mitglied der Bandinstrumentierung songdienlich ihre Aufgabe. Ein paar kleine Soli hier, ein paar Riffs da, aber nichts ausuferndes oder gar aufdringlich dominantes.

Was als konzertiertes Ergebnis aus den Boxen schallt, ist zugleich betörend und herausfordernd, einlullend und provozierend, simpel und doch unheimlich komplex…und zumindest für mich völlig unerwartet. Musikalisch passt das gehörte durchaus in die von der Band (dem Label?) selbst ausgewählte Schublade Heavy Psychedelic Rock, wobei auch hier die Begriffe Heavy und Rock flexibel gehandhabt werden. Es ist aber vor allem Saras Stimme, die der Musik von EARTH DRIVE eine besondere Note verleiht und sie aus dem Ozean von Myriaden anderer Bands, die sich in diesen musikalischen Gewässern tummeln, hervorhebt. Es ist dabei gar nicht mal so, dass sie ihre Stimme besonders ausreizen oder kunstvoll in den Vordergrund setzen würde, obwohl sie dazu durchaus in der Lage wäre, wie sie es beispielsweise im Titelstück ´Helix Nebula´ andeutet. Vielmehr setzt sie diese, und das ist kein Widerspruch, sehr variantenreich ein und schafft es damit, eine große Bandbreite an Gefühlen zu vermitteln. Zugegebenermaßen bewegen sich diese Gefühle synästhetisch gesprochen zumeist im Bereich der Grautöne und vermitteln überwiegend Melancholie, Einsamkeit, Sehnsucht, Trauer und auch ein wenig Weltschmerz. Letzteres mag der Band in den Genen liegen, denn schließlich formierten sich die Portugiesen EARTH DRIVE 2007 in Montijo, einer östlich vor den Toren Lissabons liegenden Kleinstadt, die allgemein als Stadt des Fado bekannt ist. Dieser portugiesische Musikstil, der seit 2011 auf der Liste des immateriellen Weltkulturerbes der UNESCO steht, bedeutet übersetzt „Schicksal“ und handelt zumeist von der „Saudade“, was tatsächlich mit Weltschmerz übersetzt werden kann.
Das klingt jetzt aber alles viel schlimmer als es ist, denn obwohl teilweise durchaus doomige Elemente in der Musik von EARTH DRIVE auszumachen sind, man höre sich nur mal den Beginn von ´Dharma Throne´ an, ist nicht alles in ihrer Musik tieftraurig. Es gibt rockig grungige Klänge wie z.B. in ´Axial View´, psychedelisch sphärische Ausflüge wie in ´Helix Nebula´, verträumte Melodien wie in ´Spectra´ oder tonnenschwere Riffs wie zu Beginn von ´Science Of Pranayama´, die jeder ausgewachsenen Stonerband zur Ehre gereichen würden. Sara haucht dabei wahlweise verführerisch ins Mikrofon, wie z.B. zu Beginn von ‚Spectra´, oder entführt den Hörer in eine intergalaktische Reise fernab unseres Sonnensystems und jenseits unserer Galaxie. Mitunter nimmt das Verführerische in ihrer Stimme in Kombination mit der hypnotischen Wirkung der Musik, insbesondere im Stück ´Dharma Throne´, sogar bedrohliche Züge an, als ob eine höhere Macht den Hörer in einen Abgrund immerwährender Finsternis ziehen wollte. Die über alles thronende Erhabenheit ihrer Stimme hat aber zugleich auch eine beherrschende, allmächtige und allwissende Komponente, der man sich nur allzu gerne hingibt, als wäre sie höchstpersönlich der ´Space God´, welcher im letzten Titel besungen wird. Diese fast schon religiös zu nennende Sogwirkung ihres Gesanges manifestiert sich förmlich als schwebendes, allzeit bedrohliches „Auge Gottes“ über dem Hörer, was auch im Albumtitel zum Ausdruck kommt. ´Helix Nebula´ ist nämlich der Name des erdnächsten Planetarischen Nebel, der aufgrund seines Aussehens auch als „Auge Gottes“ bekannt ist und möglicherweise heißt ja deswegen auch das Intro zum Titelstück ´Cosmic Eye´.

Wer offen für neue musikalische Erfahrungen und bereit dazu ist, seinen Geist auch unkontrolliert durch Raum und Zeit mäandern zu lassen, der sollte sich die Zeit nehmen, in die zwölf Stücke dieses Werkes reinzuhören. Lässt man die kurzen instrumentalen oder quasi-instrumentalen Interludien bei dieser Zählung unberücksichtigt, die teils meditativ, teils spacig, bei ´Amazon´ einsame Wildwestromantik verbreiten oder wie im Fall von ´Phantalien´ ein sphärisches Klangexperiment beinhalten, handelt es sich lediglich noch um sechs vollwertige Stücke. Dennoch sind diese kurzen, musikalischen Übergänge nicht überflüssig, denn sie haben die Aufgabe, den Kopf vom letzten Höreindruck zu befreien und diesen auf das nächste Stück vorzubereiten, damit dieses völlig unbelastet vom Vorgänger auf den Hörer einwirken kann. Also die gleiche Funktion, die ein Schluck Wasser zwischen dem Genuß zweier unterschiedlicher Single Malts hat.

Nach der EP ´Known By The Ancients´mit fünf Stücken, die seit Dezember 2014 in Eigenregie über ihre Bandcamp-Seite vertrieben wird, der EP ´Planet Mantra´ vom Oktober 2015 und ihrem Debüt ´Stellar Drone´ vom Juni 2017, erscheint nun am 13. März 2020 das Album ´Helix Nebula´ wie bereits die vorangegangene EP und das Debüt über das Portugiesische Label „Raging Planet“ und wird auf LP, als Digipak und auch Digital erhältlich sein.

Von mir bekommt diese neue Hörerfahrung fette

8,5 Punkte


EARTH DRIVE sind:
Luis Silva – Bass
Sebastião Santos – Drums
Sara Antunes – Vocals
Hermano Marques – Vocals und Gitarre


(VÖ: 13.03.2020)