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WILDFIRE – Smokin

~ 1971/2019 (Outsider/Guerssen Records) – Stil: US Powerrock ~


Neue Musik kann ja schön sein und es gab 2019 mehr als genügend neue Platten aktueller Bands, die einen wirklich geflasht haben, aber wenn ich die Wahl hätte, würden wohl immer zuerst die Altvorderen drankommen, mit ihren teilweise legendären Machwerken. Aus heutiger Sicht betrachtet sind viele der seltensten und sagenumwobensten Alben nur aufgrund ihrer Seltenheit Inhaber eines legendären Rufs, aber manchmal bekommt man als Musikfan auch eine echte Perle zweitserviert. Ich denke da an Giganten wie STONEWALL, BOULDER DAMN, US Powerrock mit Songs, die einem das klangliche Himmelreich auf Erden schenken.

WILDFIRE spielen in der gleichen Liga. Neben fetten Hardrocknummern haben sie aber auch westküstliche, entspannt folkig rockende Stücke dabei, in denen es lediglich an exponierten Stellen zu Eruptionen der Gitarre kommt. Solch eine Nummer ist das zweite Stück des Albums, ´Down To Earth´, ein typisch nach 1969 klingender, manchmal von den Gesangsmelodien nachdenklich wirkender, dezent versponnener Song, der erst im Nachklang des Refrains ein wenig kräftiger wird. Das hippieske, entspannte Feeling der Zeit war eigentlich immer präsent und die Songs stammen wohl auch alle aus der Rockphase Ende der 60er, wo man sich eben noch ausprobierte, wo die dunklen Schatten schon über der bunten Hippiewelt lagen, wo der grimmige urbane Hardrock die folkig ländliche Leichtigkeit langsam zu überlagern begann.
Und so sind sie auch Ende der 60er aus der kalifornischen Szene heraus über Umwege nach Texas gekommen, wo sie mit ihrem Heavyrocksound in und um Austin, wo ohnehin eine großartige Musikkultur herrschte, für Furore sorgten.

Im legendären „Sonobeat Studio“, wo auch die gleichsam legendären MARIANI beheimatet waren, konnten sie dann die Stücke für das vorliegende Album eindonnern und als Demo LP, die in genau einem (!) Undergroundplattenladen in Südkalifornien (Ort wird nicht genannt) zum Kauf feilgeboten wurde. Das war 30 Jahre vor dem Internetversandhandelsboom und entsprechend hat sich das alles auf die Karriere der Band ausgewirkt. Den nerdischen 70s Rock-Fanatikern ist es zu verdanken, dass die Band zuerst als Legende, dann ab den 90ern in Bootlegformat und ab 2006 als Reissue über das kultige „Shadoks Label“ die Zeit überdauert und die Vergessenheit überlebt hat. Aber „Shadoks“-Platten sind 2019 ebenfalls schon so selten wie Goldstaub, also ist die Nachpressung über das „Outsider Label“ in Spanien, ein Unterlabel von „Guerssen Records“, eine Notwendigkeit. Man bedenke, von den ultrakultigen STONEWALL, die ich oben erwähnte, und die musikalisch ähnliche Pfade bewanderten, gibt es bisher einzig Bootlegs.

So, was hören wir hier nun auf der LP? Ebenso euphorische, wie auch kräftige Rocksongs mit jaulenden, brodelnden Gitarren und wuchtig grummelndem Bass, bei denen die Melodien von Gitarren und Gesang Dir direkt in die Seele fahren. Harter Rock der späten 60er war noch so. Zwar schon rauer vom Ton her, realistischer vom Feeling, nicht so versponnen und träumerisch wie die psychedelischen Bands. Die Engländer und Amis würden sagen „gritty“, was realistisch, ungeschminkt, grob, aber auch draufgängerisch bedeutet. BLACK SABBATH haben es im Februar 1970 perfekt umgesetzt, aber schon vorher gab es diese Musik, welche das harte urbane Leben da draußen in Klänge verpackte.

Die A-Seite hatte neben dem furiosen Einstieg ´Stars In The Sky´ für 1969, so fühlt es sich an, den typischen Stilmix zu bieten, zuweilen innerhalb der Songs. Melodische Geradlinigkeit, ehrliche, erdige Tonfolgen ohne große Schnörkel, aber voller Gefühl. Du siehst förmlich, wie sich die bunten Bilder von ländlichen Hippiekommunen und farbenfrohen Stadtvierteln der späten 60er auflösen und abgelöst werden von grauer Realität, kühler und nüchterner wirkenden Betonmauern, schmutzigeren Straßen, in deren düstereren Ecken sich das Leben immer irgendwie am Rande des Abgrunds oder schon darüber hinaus bewegt.

Einflüsse für die Musik sind vielseitig vertreten. Blues, Motown Soul, der frühe Funk ebenso wie Folk, Country, Rock’n’Roll der 50er und sein kräftigeres 60er Pendant. Natürlich alles verpackt in ein Klanggewand, das dem Album einen kompakten Ausdruck verleiht. Es gehört alles so zusammen, wie es hier zusammenkommt.

Das Album beginnt mit einem wuchtigen Heavyrock, der allerdings sehr entspannt dahertrottet und bei aller brodelnder Intensität eine sehr optimistische Ausstrahlung besitzt. Ein paar düsterere Basslinien und Gitarrenläufe sorgen für Spannung zwischendurch. Leadgitarre singt schöne Melodiebögen über die Grundstrukturen. Das Schlagzeug groovt und wirbelt unablässlich daher, mal zurückhaltend, dann wieder mit voller Stärke. Das ist der 60s Hardrock, wie ihn die Band wahrscheinlich in ihren ersten Jahren gespielt hat. Im Mittelteil gibt es rhythmisch gesehen einen beschwörend tänzelnden Beat, darüber doppelte Leadgitarren, die sich gegenseitig anzuschreien scheinen. Dann wieder schöne melodische Läufe oder kräftiges Stampfen mit feurigen Soli, welche dem Song einen sehr dramatischen Ausdruck verleihen. Wildes, eruptives Flippen am Ende des Stückes und Stille. Es passt alles in die Zeit. Zurückhaltender ist der schon oben genannte zweite Song, ein grooviger Track mit balladesken Momenten und friedvoller Westcoastatmosphäre. Es gibt zwei verschiedene Strophenvarianten, aber keinen richtigen Refrain. Auch das war diese Zeit. Der Mittelteil ist kräftiger, hat schöne Gitarrenläufe. Ein schöner Song mit hippiesker Grundstimmung und doch einigen knarzigeren Augenblicken. Entspannt und atmosphärisch melodisch rockt auch ´Time Will Tell´ aus den Boxen, hat dieses lässige Westcoastfeeling und einen intensiveren Refrain mit psychedelischem Poprefrain. Könnte irgendwie auch von H.P. LOVECRAFT sein, einer tollen Psychedelic Band aus den 60ern.

Die B-Seite des Albums ist definitiv heavier gestaltet, gerade das abschließende zehneinhalb Minuten währende ´Quicksand´ saugt Dich förmlich auf. Endlos scheinende Leadgitarrenausbrüche, zuweilen von der wildesten Art, ein kontinuierliches Pulsieren der Rhythmen, entschlossen wirkende Gesangsmelodien, die nach wie vor die Lebensfreude der schwindenden Epoche zum Ausdruck bringen konnten, teilweise sogar mehrstimmig gesungen. Die Songs waren recht frei, verspielt, mit kleinen Breaks, Brücken und Einschüben. Die B-Seite beginnt mit ´Free´ und man denkt, jetzt wird es grimmig, aber auch hier gibt es wieder Passagen mit unverzerrten Gitarren und sanfte, folkrockige Strophen mit Westcoastfeeling. Ein schöner, kurzer Song, der aber perfekt die Qualität der Musik seiner Epoche zeigt. So ganz waren sich WILDFIRE nie über die Richtung einig, grantiger Hardrock oder entspannter Kaliforniensound, aber jeder Song hatte Charakter, Feeling und Ausdruck. Einzig der ganz übergroße Hit ist der Band nicht gelungen.

Tja, 1970 war dieses Album schon fast ein kleiner Anachronismus, wenngleich hier und da auch in den Psychepopnummern mit deutlichem 66er und 67er Feeling grimmiger rockende Parts zu finden sind, welche furiose Gitarrensoli offenbaren, wie im Ende von ´Time Will Tell´. Ich nenne dieses Album kein Protometal oder Hardrock-Album, sondern ein Rockalbum, durchaus für 1968 und 1969 frisch, 1970 durch die sich überschlagenden Entwicklungen dezent zurück. Qualitativ aber großartig. ´Don’t Look For Me´ ist auch solch ein Song, der den bluesigen Hardrock der späten 60er, groovige, soulige Ideen und jammige, hypnotische Parts vereint. Typisch für die damalige Zeit auch der Powerboogie mit wilden Leadgitarren, deren beschwörendes Heulen nicht enden will.

Vergleichen würde ich sie am Ende mit FIELDS und THE CORPORATION, zwei Rockbands der späten 60er, welche die Strukturen der Beatmusik längst hinter sich gelassen, aufgebrochen und mit vielen jammigen Elementen ausstaffiert hatten. Sie wissen zu fetzen, aber die ultimative Härte lassen sie für andere Bands. BUBBLE PUPPY und DEMIAN waren auch ähnlich. US Rock mit schönen Songs und guter Performance, der schon den Hardrock erkennen lässt, aber gerne noch bei der Melodik der Woodstockfreaks verweilt.

Wer jetzt nicht den Legenden glauben und ein ultimatives Protodoomalbum erwarten wollte, wird definitiv mit wunderschöner Musik belohnt. Für ein Original tausende von Dollars hinzulegen wäre Quatsch, wie bei FRESH BLUEBERRY PANCAKE, einer weiteren US Band, die zwischen allen Stühlen sitzend 1970 eine saurare Platte veröffentlichte. Eine frische Nachpressung lohnt sich aber ob der tollen Stücke immer für alle Fans von kräftigerem Rock der späten 60er.

(8 Punkte)

https://guerssenrecords.bandcamp.com/album/smokin