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THOM YORKE – Anima

~ 2019 (XL Recordings) – Stil: Electronica ~


Ganz überraschend gelangte am 27. Juni 2019 das dritte Solo-Werk von Thom Yorke als Download an die Öffentlichkeit. Die umgehend georderte Vinyl-Version soll am 19. Juli ausgeliefert werden. Also begnügen wir uns einstweilen mit der digitalen Variante, die jedoch erst einmal nicht den Vinyl-only-Song ´(Ladies & Gentlemen, Thank You for Coming)´ enthält.

Die außergewöhnliche Stärke, die RADIOHEAD einst zu ihren besten Momenten verhalf, vermag Thom Yorke allerdings auch als Solo-Künstler derzeit nicht mehr zu entwickeln. Die spätestens mit ´Kid A´ begonnenen Electronica-Years von RADIOHEAD treten mit ´Anima´, das mit Langzeit-Produzent Nigel Godrich verwirklicht wurde, in ein neues Stadium. Yorke sandte Godrich seine unvollendeten Songideen, die dieser in Samples und Loops umsetzte. Zu diesen sang Yorke schließlich seinen Gesang über Angst und Dystopie ein. Der Einfluss des Elektronik-Vorreiters dieser Tage, FLYING LOTUS, ist dabei nicht zu überhören. Den Albumtitel lieh sich der britische Künstler von den Begriffen Animus und Anima aus der Analytischen Psychologie von Carl Gustav Jung. Die Vorgänge im Gehirn, während den Schlafperioden, und Bewusstseinsstörungen umreißen die Ausgestaltung von ´Anima´.

Der erste Traum zieht uns in den Strudel des Kohlendioxid-Muffs der Großstadt. ´Traffic´ – eine Dystopie über den Zustand der City: kein Wasser, aber Backsteinmauern und Freiheit – führte Yorke 2015 erstmals live auf. Mit der minimalistischen Techno-Musik dürfen wir in den Großstadtstraßen tanzen, abseits der Natur, gleichwohl in fingierter Freiheit. Der nächste Traum ´Last I Heard (…He Was Circling the Drain)´ beinhaltet ein Sample, das Yorke 2018 bei der „ISM Exposition Hexadome“ aufführte, ein Sample bis der Techno-Specht an die Holztür klopft. Alles fließt durch den Kanal, durch jede Rinne der Stadt, alles wird von dieser verschluckt, sogar „Menschen von der Größe von Ratten“. Yorke outet sich in den Träumen von ´I Am A Very Rude Person´, einem bereits im Dezember 2017 live aufgeführten Song, als Party- und Kunstzerstörer.

 

 

Sein Live-Debüt durfte das fiepende ´Not The News´ vor vier Jahren feiern und wurde als Appetizer für das neue Album genutzt. Sodann scheint der Stadtmensch von ´Twist´ vollends in den Wahnsinn getrieben zu werden, doch die Beats lockern sich und lassen die erste große Melodie hindurch. Wir durchschreiten das Jammertal – „It’s like weed“ – und baden in der Tristesse, klagen über die Sinnlosigkeit des Lebens von ´Dawn Chorus´. Zu diesen Highlights gesellt sich die flirrende Komposition ´The Axe´ hinzu, in der Yorke eines Tages den Maschinen mit der Axt begegnen wird, wenn sie nicht mit ihm kommunizieren sollten. Die letzten Traumsequenzen von ´Runwayaway´ wühlen zuerst im Fundus von LED ZEPPELIN, ehe sie sich zu einem Lullaby im Shuffle-Beat entpuppen: „That’s when you know, that’s when you don’t, who your real friends are.“ Traumdeuter bitte vortreten.

(7 Punkte)