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SHEARWATER – The Great Awakening

~ 2022 (Poliborus Cargo) – Stil: Rock ~


Hoffnung und Zuversicht sind die Schlüsselworte, die SHEARWATER-Vordenker Jonathan Meiburg fünf Jahre lang gefehlt haben. Nach zehn Jahren und sechs Alben, Tourneen durch die USA und Europa, wurde die Band aus Austin, Texas, von ihm auf Eis gelegt. Viel zu schwer glühten Kopf und Glieder in diesen merkwürdigen Zeiten.

Jonathan Meiburg schrieb in der Zwischenzeit als studierter Ornithologe ein Sachbuch über seltsame Greifvögel aus Südamerika („A Most Remarkable Creature“), ließ für das öffentliche Radio „WNYC“ David Bowies Berlin-Trilogie auferstehen, veröffentlichte mehrere Instrumentalalben und baute mit dem Produzenten/Toningenieur Dan Duszynski und der Sängerin Emily Cross die Gruppe LOMA auf, um zwei dunkle Werkschauen aufzunehmen.

 

 

Erst 2020 verbarrikadierte sich der mittlerweile 44-jährige in einem alten Wohnmobil in der Nähe von Dan Duszynskis Studio, um die vergangenen Jahre Revue passieren zu lassen und vor allem um SHEARWATER wieder aufzuwecken. Er hatte die Hoffnung scheinbar wiedergefunden. Zwei Jahre werkelte er mit Dan Duszynski an ´The Great Awakening´ und holte auch Sängerin Emily Cross von LOMA sowie die Keyboarderin/Arrangeurin Emily Lee und Schlagzeuger Josh Halpern aus alten SHEARWATER-Tagen zum Projekt „Großes Erwachen“.

Und so tönt ´The Great Awakening´ wie ein eindringlicher Reisebericht über die Schönheit sowie die Abscheu des Lebens und den damit einhergehenden Freudentaumel sowie Kummer. Die Kompsitionen sind geheimnisumwitterte und minimalistisch aufgestellte Selbstbeobachtungen.

 

 

Aus der Schönheit der Schmucklosigkeit bricht ´Highgate´ zur Eröffnung auch zeitweilig heraus („Here comes your heart attack. Starless and bible black.“), während im Anschluss ´No Reason´ den rhythmischen Vorgaben von Percussions und Jazzbesen in aller Flüchtigkeit folgt („That’s no reason to cry.“).

Verwirbelter im Tonanschlag und direkter in der Rhythmik steigt der Gesang zu ´Xenarthran´ himmlisch frohlockend in die Höhen („The question is how can you fool the mind.“). Das bedrohliche Einschlagen auf das Dschungel-Blech bestimmt sodann ´Laguna Seca´ („Walk into traffic or settle down.“). Demgegenüber leuchtet ´Everyone You Touch´ vom ersten Ton an in all seiner Strahlkraft, die kurzerhand sinfonisch aufbegehrt.

´Empty Orchestra´ brennt in aller Stärke des sanften Synth-Pop, ohne Pop zu sein („What have you done? What have you learned?“). Lang haltende Klaviertasten setzen die Grundlage für die nächste slomo Geschwindigkeit von ´Milkweed´, die sich gleichwohl in einem grellen Sirenenton auflöst. Nicht weniger Fragezeichen hinterlässt ´Detritivore´ („Where do you come from and where do you go.“), derweil ´Aqaba´ samt Klavier die Schwerelosigkeit der Sinfonie und ´There Goes The Sun´ die Ruhelosigkeit der Natur erkundet. Minimale Töne begleiten abermals ´Wind Is Love´, ehe ein behutsamer Sturm der gesammelten Streichertonfolgen erschallt („Start now.“).

Jonathan Meiburg ist mit SHEARWATER ein emotional tiefschürfendes und unvergleichbares, ergreifendes und aufwühlendes, traumwandlerisch sicher auf der Klaviatur der Gefühle spielendes Bravourstück gelungen.

(9 Punkte)

https://www.facebook.com/ShearwaterBand

https://shearwater.bandcamp.com/album/the-great-awakening-2022