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PAGAN ALTAR – Judgement Of The Dead

~ 1982/2019 (Temple of Mystery Records) – Stil: Heavy Doom ~


Wiederveröffentlichungen sind für Rezensenten in einigen Fällen eine schwierige Kiste. Wie rezensiert man eine „alte Platte“, die im Underground einen echten Legendenstatus erreicht hat? Ist sie derart bekannt, ist man womöglich nicht objektiv genug und spricht allein in den höchsten Tönen von dem erlesenen Werk. Muss in solch einem Falle überhaupt Objektivität gewährleistet sein und Contenance gewahrt werden?

Noch schwieriger ist es, wenn man oder frau das Material (sowie die gesamte Bandgeschichte) nicht kennt. Ist es peinlich, solches zugeben zu müssen? Ist es unangenehm, mit einer negativen Meinung allein auf weiter Flur zu stehen? Tritt man in einen saftigen Fettnapf, wenn die Musik nicht gefällt und diese Meinung rückhaltlos kundgetan wird, vor allem wenn es um echte Kultbands geht, wie im Falle von PAGAN ALTAR?

Begeben wir uns erst einmal auf die Spurensuche: Seit über 40 Jahren geistern die Briten mit ihrer Doom-Mischung, bestehend aus Seventies Rock, Okkult Rock und NWoBHM, durch den Underground. Dass die Band lange von einem Vater-Sohn-Gespann geführt wurde, und der Vater, Sänger Terry Jones, 2015 an Krebs verstorben ist, muss im Jahre 2019 ausdrücklich erwähnt werden, gerade weil sie ihr wahres Verwandtschaftsverhältnis in den Anfangsjahren nicht erhellten, und sich als Cousins ausgaben. ´Judgement Of The Dead´ wurde 1982 in den Pagan Studios in London während der Blütezeit der NWoBHM aufgenommen, und erschien im selben Jahr als einst übliche, schnöde Demo-Kassette, 1998 schließlich erstmals offiziell unter dem Titel ´Volume 1´.

Wenden wir uns von den reinen Fakten der Musik zu: Ein Album, das fast vierzig Jahre auf dem Buckel hat, klingt wie ein Album, das fast vierzig Jahre auf dem Buckel hat – roh und ungeschliffen. Es klingt auch in der abermaligen Veröffentlichung 2019 wie eine Aufnahme aus den Siebzigerjahren, live im Studio und ohne Overdubs aufgenommen, klanglich natürlich um Welten besser als so manche Hochglanzproduktion, weil jeder Ton Seele und Leben besitzt. Und diese Töne beherbergen für Menschen, die sich ihnen öffnen können, magische Momente.

 

 

Bei Erstkontakt mag sich ´Judgement Of The Dead´ erst einmal kompositorisch recht unspektakulär zeigen. Damals, zur Zeit der Entstehung, wirkte das Material sicher bahnbrechender, konnte jedoch 1982 keinen größeren Freundeskreis aufbauen, so dass PAGAN ALTAR über all die Jahre hinweg eine sträflichst übersehene Heavy Metal-Band waren. Infolge einer größeren Wahrnehmung zu Beginn des Jahrhunderts erlangten sie einen gewissen Kult-Status. ´Judgement Of The Dead´ bzw. die 1982er Kassetten-Variante ´Pagan Altar´ wurde in NWoBHM- und Okkult-Kreisen zum Heilen Gral erkoren.

Beschwörungsrituale in Mönchskutte oder Gesänge von Baumwollpflückern leiten die Bandhymne ´Pagan Altar´ (> ´From Beyond The Stars´) ein. Hier standen ganz klar BLACK SABBATH zu Ozzys Zeiten Pate. Die Verwandtschaft kommt stimmlich umgehend zum Tragen. Ehe in einen heftigeren Gangbetrieb umgeschaltet wird, jammert Terry Jones im Sündenpfuhl mit Ozzy. Die Gitarre begibt sich auf die Spur von Tony Iommi, doch bevor die zentnerschweren Riffs einsetzen, tönt diese quietschende, alles zerschneidende Gitarre fortwährend wie eine Türglocke – an der Pforte zur Hölle. 

´In The Wake Of Armadeus´ (> ´Behold Armadeus´) geht den gleichen Weg zwischen schleppend und treibend, und enthält die legendäre Textzeile „Legions of witches meeting on Candlemas eve“. Mein Sohn meint zu meiner Überraschung kurz im Vorbeigehen, dass die Gitarre wie ganz alte RIOT klänge. Diese erschallt tatsächlich dermaßen auf dem Seventies-Trip, dass sogar Rory Gallagher ins Bild prescht, denn der Blues ist des Teufels Wurzelkraft. Der Titelsong (> ´Judgement Of The Dead´) beginnt mit Orgel, flötendende Tastenklänge im Wind, erneut in diesem schleppenden BLACK SABBATH-Beat und ist der erste epische Siebenminüter.

Surrend begründet die Beschwörung von ´Black Mass´ (> ´The Age Of Satan´) den Anfang der Rückseite einer natürlich auch als Gatefold-Vinyl erscheinenden Wiederveröffentlichung und teilt heftig seine Hostien aus. Der Song passt wie das nachfolgende ´Night Rider´, das vielleicht zu schlicht auf die Jammerträne des Doom drückt und gegenüber dem restlichen Songmaterial abfällt, in dieses Schema. Das kurze Akustikgitarrenschmankerl ´The Dance Of The Banshee´ zupft sich als Erinnerung an ´Black Mountain Side´ von LED ZEPPELIN ins Ohr. Wenn danach ´Reincarnation´ (> ´All Over The World´) mit seinen breiten Soli und nicht immer klar verständlichen Gesangsvorträgen innerhalb von annähernd neun Minuten unsere Entdeckungsreise beschließt, endet ein zwar sperriges, aber episches und überzeugendes Werk.

Im Vergleich zu anderen Bands aus jenen Tagen, klingen PAGAN ALTAR mehr nach Dreck und Garage, was die ganze Angelegenheit noch ein wenig sympathischer macht. Die Produktion ist kein Over-Top-Hochglanz-Produkt, Satan bewahre. Als Makel muss die Abmischung angesehen werden, geht der Gesang, insbesondere auf der zweiten Seite, oftmals in den Instrumentalausbrüchen unter.

Vielerorts ist zu lesen, dass PAGAN ALTAR stilistisch ein Teil der NWoBHM waren. Denn wer in jenen Tagen aus England kam, wurde in den Topf der NWoBHM geworfen, selbst Spandexhosenträger wie DEF LEPPARD. Wenn jedoch neben der Birmingham-Gang noch ein Vorbild zu suchen wäre, kommen eher BUDGIE als DIAMOND HEAD oder IRON MAIDEN in den Sinn. PAGAN ALTAR leben – Hand in Hand – freilich prächtig mit NWoBHM-Kapellen wie WITCHFINDER GENERAL oder entfernt ANGEL WITCH.

Ganz gleich, ob als Faszination für jedermann der Okkult Rock oder Heavy Doom von PAGAN ALTAR hervorsticht, die B-Seite von ´Judgement Of The Dead´ kann nicht mit den am Klassiker-Status kratzenden Songs der A-Seite mithalten, gleichwohl ist es in seiner Gesamtheit ein legendäres Werk.

(8,5 Punkte)

Mario Wolski / Michael Haifl

 

 

Das zweite Album ´Lords Of Hypocrisy´ aus 2004 wird parallel ebenfalls wiederveröffenlicht.


(VÖ: 17.4.2019)