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OOMPH! – Ritual

~ 2019 (Napalm Records) – Stil: Oomph! ~


ACHTUNG: Für dieses Werk sollte man mindestens 18 Jahre alt und sehr gefestigt sein. Wer die täglichen Nachrichten nicht erträgt, sollte das Album weiträumig umfahren. Alle anderen treten bitte mutig ein in ein Panoptikum des alltäglichen Wahnsinns, den uns Crap, Dero und Flux brettgitarrenhart in die Fresse hauen.

„In einer Welt, in der man nur noch lebt, damit man täglich roboten geht, ist die größte Aufregung, die es noch gibt…“…die neue OOMPH! (frei nach DIE TOTEN HOSEN, 1988).

Gleich zu Beginn schon mittendrin statt nur dabei. Kompromisslos wie auch die Band recke ich gemeinsam mit dem hartmetallischen Anti-Kriegs – Openingtrack ‚Tausend Mann und ein Befehl‘ den ausgestreckten, verlängerten Mittelfinger gen alle Kriegstreiber, Pseudopolitiker, Religionsextremisten, Duckmäuser und Wellenreiter. Für euch, liebe übertriebenen Patrioten:

Seit tausend Tagen schon an vorderster Front
Mit leeren Augen starrt er zum Horizont
Noch jeder der mit Stolz ins Feld wollte zieh’n
Hat später sterbend nach der Mutter geschrien

Und in ihrer urypischen Manier marschieren OOMPH! weiter mit ‚Achtung! Achtung!‘ und den ausgefeilten Mitsingrefrains, die mittlerweile ihr Markenzeichen sind und live eben ohne wenn und aber funktionieren. Dero hält dir weiterhin den gesellschaftlichen Spiegel mit seinen knallharten Texten vor deine beschämten Augen und dieser Kontrast zur Kommerzialität eben dieser Melodien und wiederum – analog zu den Texten – dem stahlharten Riffing verdeutlicht weiterhin die Ausnahmestellung einer Band, die das Ei UND das Huhn für Bands wie RAMMSTEIN, EISBRECHER und die ganze neue deutsche Heldenschar war, ist und immer sein wird.

Totgesagte leben länger
Denn sie kämpfen bis zum Schluss
Totgeglaubte kommen wieder
Aus dem Grab wie Lazarus
Zeig mir noch ein letztes Mal
Den Weg ins dunkle Paradies
Fütter‘ meine unstillbare Gier
Das Tier in mir

‚Trümmerkinder‘ fahren gnadenlos weiter in diesem Panzer von Album, das auf einem gleichbleibenden Niveau einfach alles plattwalzt. Zum rein körperlichen Luftholen wandert der Blick auf das sinkende Schiff ‚Europa‘ – ihr werdet’s schon ahnen – textlich gibt es keine Ruhepause für das sich ständig zermarternde Hirn. Auch ‚Im Namen des Vaters‘ rasen wir todesmutig immer weiter und erleben auf aufwühlende Weise ‚Das Schweigen der Lämmer‘, stellvertretend für alle missbrauchten Seelen, die ihre körperlichen und seelischen Schmerzen alleine ertragen müssen, während Gott zuschaut, oder vielleicht auch nicht.

Niemand kannte ihre Stimme, denn sie sprach nie
Doch im Inneren brannte sie
Diese Stille war das Schlimme, denn sie schlief nie
Schon seit Jahren dachte sie
Ist es wirklich Gottes Wille, dass ich blute
Wenn der Schäfer bei mir war
Und bedeutet Gottes Stille, dass er zusieht
Wenn der Schäfer flüstert…
… es wird dunkel, Ich verlier mich in dir

Seinen verstörenden Höhepunkt (und auch der Stein des Anstoßes vieler politisch ultrakorrekter Zeitgenossen, die immer noch auf die zarte Liebesballade ohne Zunge warten) erlebt der Abgesang auf die Menschheit mit dem Tourette-Song ‚TRRR-FCKN-HTLR‘, praktisch die Tagesschau der letzten Jahre zum Quadrat. Eine perfekte Hymne mit unglaublichem Refrain ist ‚Der Phönix aus der Asche‘ – mein Anspieltipp und persönlicher Favorit, nicht nur wegen dem greifbaren positiven Licht am Ende des zerfallenden Tunnels der Erdengesellschaft.

 

 

Nachdem uns die musikalischen Weltzerstörer (oder -Retter?) aufgefordert haben: ‚Lass‘ die Beute Frei‘, wird das Opfer zum Täter, wenn die nach Liebe Suchende zu Riffs und Pianoklängen einfach nur ‚Seine Seele‘ im wahrsten Sinne des Wortes sehen will und meine innere dunkle Seite endlich aufatmet ob der politisch unkorrekten Gerechtigkeit, die sie sich selbst auf grausame Weise holt.

Sie wollte seine Seele seh’n
Sie wollte seh’n, wo seine Liebe wohnt
Sie wollte seine Seele seh’n
Sie wollte seh’n, ob sich die Liebe lohnt
Sie wollte einmal nur sein Herz berühr’n
Und endlich seine Grausamkeit versteh’n

Nun würde ich gerne zufrieden innehalten, wie nach einem erlösenden Rachefilm, doch zumindest auf Vinyl drehen ‚In der Stille der Nacht‘ die Bonustracks unaufhaltsam weiter über einen totgesagten ‚Lazarus‘, der noch einmal zu den traditionellen Brettgitarren die Faust in den Himmel reißt und einen Arschtritt Mut verteilt, bis zum ‚TRRR-FCKN-HTLR‘ EBM-Remix von LORD OF THE LOST, welcher dann eher was für Fans ist oder diejenigen, die sich von OOMPH! spätestens nach dem zweiten Album ‚Sperm‘ 1994 abgewandt haben und dieses eh nicht anhören werden.

Wollt ihr eure Kinder retten
Dann füttert sie mit Schlaftabletten
Dass keines eurer Kinder sieht
Wie eure Welt in Schutt und Asche liegt

Nichts für schwache Nerven, nichts für „heile Welt und harmlos ein bisschen fremdgehen“ – ihr Chartlemminge – auch wenn sich prima dazu mitsingen lässt, analog zu unseren eingangs erwähnten Düsseldorfer Punks, die genauso mit den ewigen „Ausverkauf!“ – Rufen zu kämpfen hatten. Doch ich glaube, das geht ihnen mittlerweile sowas am Rektum vorbei, wie es auch bei meinen lauten Braun-Schweigern (Wortwitz!) der Fall sein sollte.

Ein lyrisch äußerst unangenehmes Album, welches aber genau in Worte fasst, von welchen unsozialen Zuständen und Entwicklungen wir ständig umgeben sind. Ein Werk, welches unser Planet verdient hat und auch ganz nötig braucht!

(9 unbarmherzige, doch energiegeladene Punkte)

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