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CHAPEL OF DISEASE – … And As We Have Seen The Storm, We Have Embraced The Eye

~ 2018 (Ván Records/Soulfood) – Stil: Death / Metal ~


Für CHAPEL OF DISEASE steht 2018 die Durchbruchsproduktion an. Ihr drittes Werk ´…And As We Have Seen The Storm, We Have Embraced The Eye´ muss sich traditionell der Regel „Make it or break it“ unterwerfen. Für die Kölner dürfte es „Break it“ heißen. denn ihre Mischung aus Death Metal-Gesang und bunter, instrumentaler Retro-Darstellung steht so ziemlich allein auf weiter Flur. Die Gitarren bewegen sich eher im zeitgemäßen Retro-Rock, denn im schwarz-lackierten Death-Look.

Das Riff des Openers ´Void Of Words´ scheint aus der Westentasche von Slash gerutscht zu sein, verwandelt sich aber im Laufe des Geschehens in einen flirrenden Post Rock-Riesen. Auch der bravouröse Ausklang gemahnt vielmehr an eine heftige Jam-Session im Kreise von Vintage-Rockern und versprüht zuvor bereits MASTODON´sches Gebräu. Der siebenminütige, vermögen doch die Kompositionen selten unter dieser Laufzeit zum Abschluss zu gelangen, glorreiche Hit des Werkes ´Oblivious – Obnoxious – Defiant´ zeigt die einfache und schlüssige Formel von CHAPEL OF DISEASE auf: Der Death-Orkan wird von einem klassischen, blackened Thrash-Gewaltritt abgelöst. Noch direkter nutzt ´Song Of The Gods´ in seiner Explosionssekunde kurzerhand einen schlichten Metal-Kinnhaken. Zwar ist der Beginn in der Manier eines neuen Songs aus Fernost, von MONO, ausgefallen und breitet sich sodann über ein schlichtes Heavy Metal-Riff aus, dennoch schreit sich Sänger Laurent Teubl schließlich wahlweise wie Lemmy oder Cronos die Seele aus dem Leib. Selbst ´Null´ beweist, dass Thrash-Riffs in diesem Umfeld schlichtweg wirkungsvoller reindrücken. ´1.000 Different Paths´ nutzt hingegen die Gunst der Stunde des Dark Rock, ´The Sound Of Shallow Grey´ nur nebenbei im ausufernden Instrumentalgefecht, ehe wieder die Gefühlskette zwischen THE DEVIL´S BLOOD und SULPHUR AEON geschlossen wird.

Es wird in den letzten Jahren vermehrt angenommen, dass sich der Heavy Metal unnötigerweise in immer mehr Unterstilistiken zerfasert, doch CHAPEL OF DISEASE sind das beste Exemplar zur Vereinigung aller. Sofern es nicht am Gesang scheitern sollte, nimmt im Stadion auch der Schlangenlederstiefelträger, der diese schon trug als Retro aktuelle Mode war, den Echt- und nicht H&M-Kuttenträger unter den Arm, der diese seit den Zeiten der NWoBHM ungewaschen anhat, kuschelt sich an den Kapuzenpullover- und Cargohosenträger im verwaschenen CYNIC-Shirt, dem aufgrund der durchgehend im Vordergrund stehenden Instrumental-Abteilung die Kauleiste offen steht, und lehnt sich von Zeit zu Zeit, weiße Wolken in die Luft blasend, bei aller epischen Progressivität und Retrospektion im weiten Rund ganz entspannt rücklings zurück.

(9 Punkte)

Michael Haifl

 

 

Watch your life go round in circles, see it all go, watch it turn around…” – und so ist es glücklicherweise auch mit der allzu halsstarrigen Einteilung von Musik in abertausend Mikrogenres. Wieso fing man in den Achtzigern eigentlich damit an? Um sich untereinander abzusetzen vom Althergebrachten, von Stilrichtungen, die angeblich zu kommerziell geworden waren (was auch immer das bedeuten mag…), auf Business-Seite sicher auch zum Kundenfang per gleichgeschalteter Orientierung. Ein paar Jahre später war dann auf einmal „Crossover“ angesagt und damit schon wieder eine neue Schublade geöffnet…

Aber wie immer kommt es irgendwann zu einer Gegenbewegung, und in den letzten Jahren hat sich diese gerade im nationalen Untergrund scheinbar aus einer inneren Notwendigkeit formiert – bestehend aus Bands des extremen Sektors, die sich gerade dadurch auszeichnen, dass sie sich in keine Kategorie einordnen lassen, sondern Genregrenzen auflösen, ja geradezu sprengen und vorher fast undenkbares miteinander verweben. Will ich die interessantesten davon verorten, fallen mir vor allem zwei Metropolen ein: Leipzig und Köln. CHAPEL OF DISEASE entspringen dem zweiten Schmelztiegel, und werden dort auch gegen Jahresende in einer gemeinsamen Releaseshow mit SULPHUR AEON ihre neue Scheibe vorstellen.

Grenzen überschreiten – nun, da denkt man gleich an ganz große Schritte, viel Rauch, Epik und Bombast. Doch das Gegenteil ist hier der Fall. Natürlich bricht ´… And As We Have Seen The Storm, We Have Embraced The Eye´ beim ersten Hören wie ein Kaventsmann über einem zusammen – wir reden hier schließlich von Death Metal. Doch von ihren old school-geprägten Anfängen bis heute haben COD mit der ihnen eigenen Bedachtsam- und Bescheidenheit einen sehr weiten Weg zurückgelegt, und sind, wie es sich schon auf ´The Mysterious Ways Of Repetitive Art´ andeutete, nun problemlos in der Lage, klassische Rockklänge aus der Wende der 60er zu den 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts in das allem Struktur und Rhythmik gebende todesbeleierne Grundgerüst derart kunstfertig und spielerisch (sic!) zu verweben, dass wir Hörer innerhalb nur eines Songs eine faszinierende und hypnotische Virtual Reality-Reise durch 50 Jahre Rockgeschichte und wieder zurück erleben können.
So mächtig diese Platte daherkommt, so feinsinnig und tiefschürfend ist sie gleichermaßen. Ihre Grundstimmung mag fragend, melancholisch bis resignativ sein, wovon auch die Lyrics erzählen:

We are oblivious
And obnoxious
Yet defiant

doch sie wird getragen von DEM Instrument des Rock: die jubelnden, in dieser Zeit kann man auch gerne mal lobpreisenden Gitarren sagen, sind der Dreh- und Angelpunkt der Platte, das Auge des Orkans, und was die Gebrüder Teubl damit anstellen ist geradezu stellar: solo oder im Duett gespielt, sich mit den Leads abwechselnd, schweifend, suchend und doch mit nur einem Lick wieder mitten in den Song zurückkehrend, dominieren sie die weiträumigen, doch niemals langweiligen Stücke.

Und wie muss man sich all das nun musikalisch vorstellen? Nehmen wir gleich mal den Opener ´Void Of Words´ heran, könnte man sehr flapsig sagen: im ersten Proberaum von WISHBONE ASH treffen sich Lemmy (nach einer besonders harten Nacht) und Mark Knopfler zum Jammen, und werden dort von PESTILENCE und TRIBULATION überrascht, die gerade das Programm für die gemeinsame Chuck Schuldiner-Tribute-Tour mit DESTRÖYER 666 einstudieren wollen. Zum Warmwerden spielt man ein paar Rory Gallagher-Blues-Standards, beginnt zu improvisieren, wird jedoch von Mastermind Laurent Teubl immer wieder sanft zurück in die Spur, in den Song gebracht. Jeder Akteur darf zeigen, was ihn aus- und besonders macht, die Stimmung wechselt ständig zwischen hart und zart, ja lyrisch, aus dem mittleren Tempo wird immer wieder ausgebrochen, doch alles unter der Prämisse, ausschließlich dem Song zu dienen. Deren Writing ist fast durchgängig so dermaßen anspruchsvoll und komplex, dass es schwer ist, hier einzelne Stücke herauszuheben. Dieses Meisterwerk muss in seiner Gesamtheit genossen werden, und dann erschließen sich dem feinsinnigen Connaisseur neue Klangsphären, jenseits allem bisher gekannten.

The grains of dirt I do count
And pillars of time I will mount
Yes these pillars
These pillars I ascend

 

Chapeau! Wenn das die Zukunft des Metal ist, lege ich die Kopfhörer noch lange nicht beiseite.

(9,5 Punkte)

U.Violet

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