Livehaftig

KING DUDE, THE RUINS OF BEVERAST, (DOLCH), CARONTE

28.10.2017, Live Music Hall, Mörlenbach-Weiher


Lei | den | schaft, die; Substantiv, feminin. Bedeutung (u.a.): „große Begeisterung, ausgeprägte […] Neigung, Passion für etwas, […] für eine bestimmte Tätigkeit, der man sich mit Hingabe widmet“ (nach Duden.de). Emotional sehr starke Begeisterung für ein bestimmtes Thema, Hobby, eine Arbeit oder Aktion (Wikipedia).

Spi | ri | tu | a | li | tät, die; Substantiv, feminin. Bedeutung (u.a.): Geistigkeit; inneres Leben, geistiges Wesen (Duden.de). S. im spezifisch religiösen Sinn steht für die Vorstellung einer geistigen Verbindung zum Transzendenten, dem Jenseits oder der Unendlichkeit. S. (…beinhaltet…) zudem die bewusste Hinwendung und aktive Praktizierung einer als richtig angesehenen Religion oder Philosophie (Wikipedia).

Ein Abend. Vier Bands. Was sie unterscheidet: vier ganz verschiedene Musikrichtungen; ihre geographische Herkunft aus USA, Italien, Deutschland; die Art, sich dem Publikum offen zu präsentieren oder auf sowie abseits der Bühne anonym zu bleiben; sowie alles weitere, was Menschen zu Individuen macht.

Was sie verbindet: Alle vier haben einen einzigartigen Stil entwickelt, in dem sie ihre ureigene, exklusive Nische besetzen. Sie sind nicht mehr blutjung, haben sich, teils in extremen Bands, schon längst ausprobiert und schöpfen nun, was stilistische Wurzeln, Stimmung und Ästhetik angeht, zumeist aus dem Black Metal und Doom. Mit Ausnahme des Kollektivs CARONTE sind jeweils nur eine oder zwei Personen die Hauptprotagonisten, die Livebands bestehen dementsprechend aus musikalischen Söldnern.

Aber vor allem eint sie zweierlei: Alle werden angetrieben von absoluter, kompromissloser Leidenschaft für ihr Tun, und der dieser Leidenschaft zugrundeliegenden Spiritualität. Und daher sind alle, wie KING DUDE es zum Ende des Abends so trefflich formulieren wird, versammelt unter dem Banner einer Plattenfirma, die für höchste Qualität steht, für eine eigene Ästhetik, die ihre Veröffentlichungen zu Gesamtkunstwerken macht, und vor allem diese absolute Leidenschaft sowohl fordert als auch fördert: Ván Records. Labelboss Sven Dinninghoff – wie A. von Meilenwald Ex-NAGELFAR – hat dieses Tourpaket geschnürt und offenbar selbst soviel Spaß daran, seine Ausnahmebands gemeinsam erleben zu können, dass er sich heute höchstpersönlich ums Merchandise kümmert, was bei dem riesigen Andrang vor den Tischen auch durchaus Sinn macht. Die entspannt-gemütliche Live Music Hall ist nämlich bis auf eine Handvoll Karten ausverkauft, es steht sich daher sehr kuschelig, was die Intensität, den Sog der Auftritte jedoch nur fördert. Denn eines ist jedem hier klar: eine ekstatische Erfahrung steht bevor!

Doch der aufmerksame Leser wird sich nun fragen: Transzendenz und abseitige Rockmusik, wo soll bitte da der Zusammenhang sein? Nun, jede dieser Bands transportiert mit ihrer Musik, ihren Texten und ihren vor Publikum aufgeführten Ritualen ihre ureigene Spiritualität – niemals missionarisch, eher selbstbewusst-spielerisch, und gibt den Zuhörern damit die Freiheit, sich zu öffnen, auszuprobieren und auf körperlicher wie geistiger Ebene mitzugehen. Dies kann einen Sog bis hin zu ungekannten Bewusstseinszuständen auslösen, veritable Trancen einleiten und zu höchstem Glücksempfinden führen – wenn man sich darauf einlässt. Heute, mitten im mystischen Odenwald, in dieser Bandkonstellation, hat man auf jeden Fall die Chance, an einer, na, nennen wir es mal „Postmetallischen Vier-Elemente-Meditation“ in vier Stufen teilzunehmen. Dabei hilft es, die Augen zu schließen, auch leichtes Mitschwingen ist nützlich für den Einstieg, alles Weitere entsteht dann aus jedem selbst. Die Musik gibt die jeweilige Intensität vor. Es empfiehlt sich, zwischen den einzelnen Stufen mit isotonischen Getränken etwaige Flüssigkeitsverluste wieder auszugleichen. Und wer daran Gefallen gefunden hat, kann daheim mit den frisch erworbenen Tonträgern gleich weiterexperimentieren. Regelmäßige Übungsroutine ist dabei sinnvoll. Auch die Konzentration auf nur eine Stufe hilft schon bei der persönlichen spirituellen Weiterentwicklung. Und falls er oder sie weitere Nachhilfe benötigt – die nächste Tour steht schon in den Sternen…

 

Stufe 1, ERDE: Lockermachen, Ankommen, Zentrieren, Erden

Ganz pünktlich geht es auch schon los, und CARONTE wuchern gleich zu Beginn mit ihren Pfunden: ‚ABRAXAS‘, der Hit des aktuellen Albums ‚Yoni‘ (Review siehe hier), leidet zwar zuerst noch unter diffusen Soundproblemen, was sich glücklicherweise jedoch schon bald für den gesamten Abend ändern wird, der Mischer zaubert der großartigen Hausanlage einen adäquat basslastigen, trotzdem raumgreifend knackigen Sound auf den Leib. Die Italiener sind erst heute zur Tour dazu gestoßen, haben sich für ihr heutiges Ritual ausgiebig mit einheimischem Kräuterlikör fit gemacht, was sie jedoch keineswegs daran hindert, gleich mal eine kraftvoll-erdige, stonerwürzige Duftmarke zu setzen. Die Bones-Brüder sind absolute Frontschweine und müssen für den vollen Genuss ihres tiefergelegten, kolossalen und trotzdem vielfältigen, melodischen und lebendig-mitreißenden Stoner/Doom einfach live genossen werden.

 

Oberschamane Dorian croont sich mit seiner Ausnahmestimme durch ein diesmal sehr düsteres, eher getragenes Set, Bassisten ergötzen sich an Henrys nicht mehr tieferstimmbarem Instrument und Spiel, und Tony tanzt mit seiner Gitte einen intimen, privaten Tanz. Schwergewichte aller Etappen der bisherigen Bandkarriere kommen zur Aufführung, man sehe der zum einen krückenbewehrten, zum anderen bei Auftritten des Parma-Quartetts sowieso vorderhirngedämpften Chronistin nach, dass diesmal keine kompletten Playlists wiedergegeben werden können, als Highlights sind mir ´Invocation To Paimon‘, ´Temple Of Eagles`, und ´The Moonchild‘ sowie alles weitere von `Yoni` in Erinnerung geblieben. Auf jeden Fall konnten die Crowley-Jünger heute einige neue Eleven rekrutieren. Wahnsinn, im Dezember kommen sie schon wieder zu uns auf Tour, und wer sie dann verpasst, dem ist wirklich nicht mehr zu helfen…!

 


Stufe 2, WASSER: In die Tiefe Gehen

Nach kurzer Umbaupause wird es nochmals dunkler im Saal, (DOLCH) stehen wie üblich als Schattenrisse auf der in blaues Licht getauchten Bühne, für ‚Das Auge‘ ist kaum etwas geboten, aber darum geht es jetzt auch gar nicht. Einzig die Musik und ihr Erleben zählt, Publikum wie Band tauchen tief in den gleichzeitig üppigen und reduzierten Klangkosmos der Hamburger ein, werden umschmeichelt von elfengleichem wie abgeklärtem Gesang, harschen Gitarrenausbrüchen, kühlen Ambientsounds, repetitiven Klangcollagen und zurückgenommenen Electronica. Die Begleitung durch eine vollständige Band erschafft einen ungewohnt vollen Klang, gerade Bass und Schlagzeug bringen mächtig Volumen, Frische und Lebendigkeit in die Lieder, und pushen damit auch die etwas spröderen, unzugänglicheren Songs wie `The River` und `Siren` vom neuen Album `III – Songs Of Happiness, Words Of Praise` (Review siehe hier) mit einem deutlichen Drive nach vorne. All dies kulminiert schließlich in einer schwungvollen. annährend 45er-Version von ´An den Mond´, auch `Licht` wird mit Disco-artigem Uptempo aufgeführt, was beiden Songs eine ganz neuen Magie verleiht. Vervollständigt wird ein genauso kraftvoller wie meditativer Auftritt durch `Bahrelied` und – natürlich – `Riding With The King`. Nur sehr langsam komme ich wieder zurück ins Hier und Jetzt – ganz große Kunst!

 

 

Stufe 3, LUFT: Praktizieren des Dharma

Dafür, dass RUINS OF BEVERAST das lupenreine Ein-Mann-Projekt von Alexander von Meilenwald sind, stehen nun eine ganze Menge Leute auf der Bühne, und die braucht es auch, um diese Komplexität, Vielschichtigkeit und Tiefe live umzusetzen. Auch hier ist die Bühne stets nur rot oder blau beleuchtet, die Akteure sind bestenfalls schattenhaft auszumachen.
Es geht los, und wie ein Sog zieht `Exuvia‘, der schamanische Beschwörungsritus am Beginn der neuen Scheibe (Review siehe hier), das Fußvolk in seinen Bann. Beginnend mit einer mystischen Naturgeisterbeschwörung am Feuer setzt sich das Monumentalstück fort mit einem verhallten Riff aus nur vier Tönen, dann führt die (DOLCH)-Frontfrau begleitet von nebelig-rauschenden Tribalklängen und dem stets eine Hauptrolle spielenden Schlagzeug die Anrufung fort, bis schließlich Meilenwald mit sehr rauem Gesang dazu stoßt, einer Anrufung gleich, und ein endlos wiederholtes elektronisches Terzmotiv zu ekstatischer Trance einlädt. An den Gitarren ergänzen sich der Meister und Michael Zech (SECRETS OF THE MOON) wie blind eingespielt.

Sphärisch, beängstigend, schwebend, faszinierend, bedrohlich – ein Trip durch die allumfassende, mächtige Natur als wie auch die Unterwelt in einem selbst. Die befremdlich-beklemmende Stimmung wird schließlich durch hoffnungsvollen Klargesang zuerst aufgelöst, dann jedoch mit Opernmotiven und dissonanten Riffs erneut verstörende Spannung aufgebaut, um letztlich den Kreis mit der Rückkehr zu den Eingangsmotiven zu schließen. Chapeau! Das war auf Konserve bereits fesselnd, hat live dargeboten aber nochmal eine ganz andere Klasse! Diesen fünfzehnminütigen, perfekten schwarzen Brocken aus Black Metal-Versatzstücken, Doom-Atmosphäre und meditativer Zurückgenommenheit werde ich später mit in den Schlaf nehmen und immer wieder akustisch regurgitieren – was für ein Einstieg! Ja, es gab noch eine Handvoll weiterer Stücke (wie das endlich einmal live aufgeführte, geshoutet-geknüppelte ´God’s Ensanguined Bestiaries` oder das atmosphärische `Malefica‘) zu erleben in der restlichen Dreiviertelstunde, eines abgründiger und komplexer als das andere, aber zur Ausnahmeklasse dieser Band, die meisterhaft mit Tempo und Gefühlen spielt wie wenige sonst, ist bereits alles gesagt worden. Dieser Auftritt hinterlässt uns geläutert und ein paar Zentimeter über dem Boden schwebend.

 

Stufe 4, FEUER: Katharsis

Wieder zurück an der Oberfläche, im Licht, kann man die neuen Akteure auf der Bühne endlich auch mal vollständig erkennen. KING DUDE hat sich mit einer beeindruckend-coolen Bassistin, einem äußerst spritzigen jungen Schlagzeuger sowie einem Allroundtalent an den Keyboards, der zweiten Gitarre und dem Chorgesang verstärkt, und wie bei den Vorgängern heute Abend kommt auch hier die vollständige Bandbesetzung den Dark Folk- und düsteren Bluesrock-Songs sehr zugute, macht sie klanglich voller, dynamischer und noch packender.

T J Cowgill erzählt uns traurige bis tragische Geschichten vom Hadern, Lieben, Kämpfen, (Ver-)Zweifeln und immer wieder vom Sterben: ´I Wanna Die At 69′, Death Won’t Take Me`, ´Deal With The Devil‘ lassen wenig Fröhlichkeit aufkommen, der KING durchlebt die wenigen Höhen und vielen Tiefen seiner emotional mitreißenden Stücke mit Gefühlsausbrüchen, Ironie, Distanz und Verletzlichkeit gleichzeitig. Er ist ein Songwriter, der allein mit seiner ausdrucksvollen Mimik und einer enorm umfangreichen und noch mehr variablen Stimme das komplette Gefühlsspektrum rüberbringen kann, er schmeichelt, leidet, bittet, faucht, flüstert und schreit um sein Leben, trotzdem wird es niemals ganz hoffnungslos, es muss und wird immer weitergehen.

Da ist wahnsinnig viel explosive Spannung und Energie auf der Bühne, Drummer August, den es oft nicht auf seinem Hocker hält, bringt den zukunftsgewandten Aspekt der Lieder mit seinem unbekümmert-kraftvollem Spiel besonders gut zum Ausdruck, die ganze Band ist hörbar aufeinander eingespielt und tritt als Einheit auf, die Glanzstücken wie dem ramonesken `Holy Christos`, ‚Jesus In The Courtyard‘, ‚Swedish Boys‘ oder ‚Silver Crucifix‘ rockig-schweißgetränkt Leben einhaucht.

Das Publikum geht mit und fordert mehr, doch irgendwann ist auch der stimmungsvollste Abend herum, und wir müssen diesmal ins Bett ohne dass Luzifer sein Licht auf uns hatte scheinen lassen – doch das macht gar nichts, schöne Nachklänge und Träume wird jeder einzelne Konzertbesucher ganz sicher auch so mitgenommen haben. Der Zuschauer fühlt sich nach der heutigen, ganzheitlichen Erfahrung wie neugeboren, und wird in dunklen Winternächten noch sehr, sehr lange schwärmerisch von diesem Erlebnis zehren.

 


(Pics: Stefan Ferner und U.Violet)