PlattenkritikenPressfrisch

CHRISTIANE RÖSINGER – Lieder Ohne Leiden

~ 2017 (Staatsakt/Caroline/Universal) – Stil: Indie Pop ~


Mit ´Songs Of L. And Hate´ veröffentlichte CHRISTIANE RÖSINGER in 2010 ihr erstes Solo-Werk, das bis heute nichts von seiner zeitkritischen Aussagekraft und einnehmenden Brillanz verloren hat. Ein Klassiker. Leider benötigte sie sieben Jahren, um mit einem weiteren Werk vorstellig zu werden. In der Zwischenzeit schrieb sie Bücher (»Liebe wird oft überbewertet« sowie »Berlin-Baku«) und verfasste Essays sowie Kolumnen in diversen Zeitschriften.

Einst mit den LASSIE SINGERS und anschließend mit BRITTA in der Welt des Indie Pop bekannt geworden, sind ihre Lieder heute weit intimer und spiegeln ihre Gedanken im Sturm des Zeitgeists wieder. Komplett anders als DAGOBERT, der als Spiegelbild der Schlagerwelt exaltiert, mit Schalk im Nacken, durch die Welt stolziert, ist Christiane Rösinger die wahre Alternative zum Indie Pop, weilt sie leger mit einem spitzbübischen Lächeln am Kehraus des deutschen Alternative Pop. Da sitzt sie scheinbar allein im stillen Kämmerlein und besingt die von JA, PANIK-Sänger Andreas Spechtl abermals eingespielte Musik. Diesmal weitaus graziler und unaufdringlicher. Epigrammatisch treffen ihre Texte den wunden Punkt im Seelenleben, ob im persönlichen oder in dem der Gesellschaft.

Nicht gar so vorwurfsvoll wie im Finale des Vorgängers, in ´Kleines Lied zum Abschied´, begrüßt Christiane Rösinger heuer den Hörer sanft mit ´Ein kleines Lied zum Anfang´ zu ihrem kurzen, über 30-minütigen Comeback. Im Einklang mit den ersten beiden Strophen von Heinrich Heines Gedicht ´Katharina IX´ gibt sie sich zu Beginn lakonisch, prasseln immerhin die Worte Heines, dass sie wieder dichtet, auf ihre Melancholie ein, die diesmal von großem Lieben und weit größerem Leiden erzählen. Die zurückhaltende Instrumentierung mit Gitarre, Bass und Akkordeon von Andreas Spechtl begleitet den Gesang Christiane Rösingers, die keineswegs schelmisch in ´Lob der stumpfen Arbeit´ die Freude am Proben als verlogen ansieht und Selbstpromotion in sozialen Netzwerken gar verbieten mag. Ihren Verflossenen schickt sie zumindest mit den allerbesten, sarkastischsten Wünschen in die Wüste (´Schal´). In `Joy Of Ageing´ lobt die 56-jährige somit im passenden Moment ihr eigenes Alter, hat sie doch noch viele Jahre vor sich, ist clumsy und shy, sieht sich dennoch längst bei der Übergabe an die kommende Generation (´Was jetzt kommt´). Während ein Song wie ´Eigentumswohnung´ als Pop-Song auch den LASSIE SINGERS entsprungen sein könnte, und sie hierbei über die Mietsituation in deutschen Landen schimpft, bekommen sogar die Kinder zur Belohnung und eigenen Nervenschonung eine Eigentumswohnung, zeigt sich der Titelsong ´Lieder ohne Leiden´ im Sinne des Vorgängers als Anti-Pop-Hit. Udo Jürgens wünschte wenigstens Liebe ohne Leiden. Schließlich beendet ´Das gewölbte Tor´, eine musikalische Vertonung eines Briefs von Heinrich von Kleist aus der Barockstadt Würzburg, dieses Werk mit einem gänzlich anderen Gemüt als bei den restlichen Songs aus der Hauptstadt.

´Lieder Ohne Leiden´ sind Lieder für Menschen, die bereits länger ihren 30. Geburtstag hinter sich gelassen haben, die an das Leben der nachfolgenden Generation denken und an das der eigenen in der Gegenwart. Denn niemand muss sich zum Kitzel allzu verführerisch täglich das Ohr abschneiden, ist die Realität weitaus brutaler als die monatliche Splatter-Musik und die üblichen exzessiven Gewaltorgien-Filme. Lieder für Menschen mit Realitätssinn und Hoffnung.

(8,5 Punkte)

https://www.facebook.com/ChristianeRoesinger/