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SANCTUARY – The Year The Sun Died

~ 2014 (Century Media) – Stil: Thrash-/Power-Metal ~


Mit ‚Refuge Denied‘ platzierten sich SANCTUARY aus Seattle 1987 stilistisch geschickt zwischen SAVATAGE und KING DIAMOND, ihre Lehrmeister JUDAS PRIEST niemals verleugnend. ‚Into The Mirror Black‘, der zwei Jahre später erschienene Nachfolger, errang mit seinen verschachtelten, melancholisch gefärbten Songs bald Klassikerstatus im kreativ noch nicht ausgereizten Metal der späten Achtziger. Leider war der ‚Mirror‘ auch schon der (einstweilige) Schwanengesang für SANCTUARY, wie sich 1991 herausstellen sollte. Nach einem Richtungsstreit mit ihrer Plattenfirma Epic zerbrach die Band, Gitarrist und Mitgründer Lenny Rutledge verbot Sänger Warrel Dane, unter dem SANCTUARY-Banner weiterzumachen. Wenig später waren NEVERMORE geboren, die immerhin bis 2011 durchhielten und sieben starke bis überragende Studioalben ablieferten.

Für Fans der ersten Stunde waren NEVERMORE trotz aller Klasse indes nie mehr als eine Ersatzdroge. Umso lauter war der Jubelschrei der Internet-Gemeinde, als Meister Dane 2010 ein neues SANCTUARY-Album ankündigte. Der Zoff mit Rutlege sei längst beigelegt, man sei „very excited“ und so weiter und so bla bla…

Vier Jahre später liegt das Album tatsächlich vor. Und ums vorweg zu nehmen: Das Teil kann richtig was. Natürlich darf man ‚The Year The Sun Died‘ nicht mit den oben genannten Klassikern vergleichen, schon gar nicht mit dem jugendlich wilden ‚Refuge Denied‘. Den Fehler, sich allzu sehr nach den Nostalgikern zu richten und ein uninspiriertes Selbstplagiat abzuliefern, wie es METALLICA mit ‚Death Magnetic‘ gemacht haben, begehen SANCTUARY zum Glück nicht. ‚The Year The Sun Died‘ ist ein Vierteljahrhundert nach ‚Into The Mirror Black‘ ein künstlerisch relevantes Metal-Album mit reifen Songs und gewohnt tiefgründigen Texten geworden. Mehr konnten nur Phantasten erwarten.

Zoomen wir heran an die Songs:

‚Arise And Purify‘ überfällt den Hörer ohne Vorspiel. Doublebass, thrashige Riffs, schnörkelloser Refrain – kein Hammer, aber ein effektiver Reinzieher, der auch von NEVERMORE stammen könnte.

‚Let The Serpent Follow Me‘ erinnert mit seinen Powerriffs eingangs an neuere TESTAMENT, der ruhige Refrain und Warrels beschwörender Gesang heben die Nummer auf das Top-Niveau seines 2008er-Soloalbum ‚Praises To The War Machine‘.

Der erste richtige Knaller nennt sich ‚Exitium (Anthem Of The Living)‘. Diese (selbsterklärte) Hymne, eine wunderbar vielschichtige Midtempo-Komposition mit majestätischem Refrain, hat Ronny Bittner neulich im Rock Hard treffend mit ‚Evolution 169‘ vom NEVERMORE-Überwerk ‚Dead Heart In A Dead World‘ verglichen – nicht ganz so überirdisch schön wie diese Gott-Nummer zwar, aber ein todsicherer Hit für Metal-Gourmets.

Eher unspektakulär kommt ‚Question Existence Fading‘ daher. Getragen von zwei simplen, aber nicht banalen Riffs, zeigen SANCTUARY hier erneut die Reife ihres Songwritings. Das Leadbreak nach knapp zweieinhalb Minuten lässt die Temperatur absinken, Warrels Sprechgesang lehrt dem Gothic-Nachwuchs das Fürchten. Chapeau!

Nun ist es Zeit für die obligatorische Halbballade. ‚I Am Low‘ ist handwerklich zweifellos gelungen, mit jedem Hören treten allerdings die Parallelen zu METALLICAs bester Ballade ‚Fade To Black‘ deutlicher hervor. Struktur, Harmonien – abgekupfert auf hohem Niveau.

Bei ‚Frozen‘ dürfen Rutledge und sein Gitarrenkollege Brad Hull wieder die Thrashkeule schwingen. Der Härtegrad bleibt indes deutlich unter vergleichbaren NEVERMORE-Stücken, wo Jeff Loomis nicht selten in Techno-Death-Regionen vordrang. Der Refrain ist einmal mehr absolute weltklasse. Mit diesem Melodiengespür sind unter der sterbenden Sonne nur wenige gesegnet.

‚One Final Day (Sworn To Belive)‘ kombiniert hartes Riffing mit Westerngitarren. Rutledge & Co. huldigen dem unheiligen St. Tritonus, dass es eine schwarze Freude ist. Wieder ein Hit.

Das folgende ‚The World Is Wired‘ haben SANCTUARY erstmals auf dem 2012er Wacken-Festival vorgestellt. „Time Waits For No Man“, singt Warrel (mit vermutlich leicht verächtlichem Grinsen), ehe der straighte Powerriffer in eine Doom-Nummer umschlägt. Kein wirkliches Highlight unterm Kopfhörer, aber live ein sicherer Abräumer.

‚The Dying Age‘ ist das ungewöhnlichste Stück der Scheibe. Balancierend auf Lennys sinistren Dreiklängen liefert Warrel abermals den Beweis, dass er zu den größten Metal-Sängern überhaupt gehört. Dunkle Magie in Form eines diamantharten Popsongs. Devin Townsend lässt grüßen.

‚Ad Vitam Aeternam‘ leitet mit Trauermarsch-Anklängen das episch angelegte Titelstück ein. Die düsteren Riffs korrespondieren perfekt mit dem Coverartwork von Großmeister Travis Smith. Und Warrel klingt hoffnungsvoll wie eh und je: „We’ve Reached The Final Days…“ Ein grandioser Abschluss einer wirklich starken Scheibe.

SANCTUARY haben geliefert. Amen.

P.S.: Die Special-Edition des Albums enthält als Bonus eine Coverversion des 1968er-DOORS-Klassikers ‚Waiting For The Sun‘, die bei Erstellung dieses Reviews allerdings noch nicht vorlag. Angesichts der durchwegs gelungenen NEVERMORE-Cover (zuletzt mit ‚Crystal Ship‘ ebenfalls ein DOORS-Werk) halten sich die Sorgen allerdings in Grenzen.

(8,5 Punkte)