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CYNIC – Kindly Bent To Free Us

2014 (Seasons Of Mist) – Stil: Progressive Rock/Metal


Hitverdächtige Kompositionen hat man mit CYNIC bislang eher nicht in Verbindung gebracht. Gut, ‚Veil Of Maya‘ vielleicht; die Eröffnungsnummer des ’93er-Meisterdebüts wollte schon nach erstmaligem Hören nicht mehr raus aus dem Schädel. Ansonsten standen die aus Florida nach Los Angeles übergesiedelten Edeltechniker eher für jazzig-verfrickelte Kost, als für Ohrenschmeichelnd-Eingängiges – auch auf dem vielbejubelten Comeback ‚Traced In Air‘ (2007) und der härtetechnisch zurückgenommenen 2011er ‚Carbon Based Anatomy‘-EP.

Drei Jahre später jetzt also der nächste Streich. Wer sich einen schnellen Zugang verschaffen will, dem sei ‚The Lions’s Roar‘ ans Ohr gelegt. 4:34 Minuten Einklang zwischen Herz und Hirn, ein federleichter Traum zwischen brustlösenden OCEAN MACHINE, mittleren PORCUPINE TREE und THE PINEAPPLE THIEF. Luft, Sonne & Lebensfreude – made by CYNIC.

Freilich, der Osterhase ist nicht der Nikolaus; auch das Christkind lässt noch neun Monate auf sich warten. Trotzdem wage ich zu behaupten, dass ‚The Lion’s Roar‘ am Ende des (Prog)-Jahres zu den Medaillengewinnern in den einschlägigen Magazinen gehören wird. Das umschließende Album vermutlich auch. Nie klangen CYNIC konzentrierter und überzeugender als auf ‚Kindly Bent To Free Us‘. Erwachsen, befreit von Selbstzwängen haben die Amis die große Kunst geschafft, den Frickel-Faktor in eine sozialverträgliche Form zu gießen ohne ihre musikalische DNA zu verleugnen.

Jedem der sechs neuen Songs ist die neue Art des Selbstbewusstseins anzumerken. Das Gurgeln und Krächzen haben CYNIC glücklicherweise eingemottet, auch der Vocoder bleibt weitgehend außen vor. Paul Masvidals an Steven Wilson erinnernde Trance-Vocals bieten auch so genügend Variationsmöglichkeiten, um den Hörer nicht zu langweilen. Instrumental sind der singende Gitarrist und seine „Rhythmaniacs“ Sean Reinert (Drums) und Sean Malone (Bass) ohnehin längst auf RUSH-Niveau anzusiedeln. Ganz so songdienlich wie bei den Überirdischen aus Toronto geht’s auf ‚Kindly Bent To Free Us‘ indes (noch) nicht zur Sache.

Halten wir’s kompakt. Durchhänger sucht man auf der Scheibe vergebens. Das eröffnende, unterschwellig treibende ‚True Hallucination Speak‘ nimmt schon nach 1:40 Minuten mit einem hypnotischen Refrain gefangen, ‚The Lion’s Roar‘ ist der erwähnte Hit mit Tiefgang. Im Solopart des spacigen ‚Infinite Shapes‘ imitiert Masvidal mit seiner Gitarre Walgesänge, ‚Moon Heart Sun Head‘ beackert Weltmusik-Gefilde, ‚Gitanjali‘ und ‚Holy Fallout‘ schließlich rufen dank eindeutiger Metal-Verankerung Erinnerungen an WATCHTOWER und ANACRUSIS hervor, ehe das sanfte ‚Endlessly Bountiful‘ den Weg zurück zum Ausgang ebnet. Nach viel zu kurzen 42 Minuten ist das Vergnügen vorbei. Kurz durchgeatmet…

…und schon wieder ‚Play‘ gedrückt.

(9 Punkte)