
NEPTUNIAN MAXIMALISM – Le Sacre Du Soleil Invaincu
2025 (I Voidhanger Records) - Stil: Psychedelic Ritual/Avantgarde
Mit ´Le Sacre Du Soleil Invaincu´ erreicht das belgische Kollektiv NEPTUNIAN MAXIMALISM einen Punkt, an dem Größe hörbar wird. Denn dieses Werk ist kein Album im herkömmlichen Sinne, sondern eine rituelle, eine zeitlich ausgedehnte Handlung, die sich dem schnellen Zugriff ebenso entzieht wie der beiläufigen Rezeption. Über anderthalb Stunden entfaltet sich eine wirkungsvolle, spirituelle musikalische Reise.
´Le Sacre Du Soleil Invaincu´ wurde live in der Kirche St. John’s on Bethnal Green in London aufgenommen. Das Ergebnis ist ein konzentrierter Klangraum, in dem sich Struktur und Improvisation nicht gegenüberstehen, sondern gegenseitig bedingen. Die Musik folgt einer Dramaturgie, die eher an liturgische Abläufe erinnert als an klassische Songformen. Das Werk gliedert sich in drei, je dreißigminütige Bögen, die von der Dämmerung bis zum Morgengrauen reichen.
Das Kapitel ´At Dusk´ eröffnet das Ritual mit einer langsamen, gewichtigen Klangentwicklung, in der metallische Gitarrenflächen wie tektonische Platten gegeneinander driften und ein Fundament aus erdiger Wucht und droneartiger Schwere bilden. Unter dieser Oberfläche beginnen subtile Spannungen zu arbeiten, Rhythmen schälen sich wie aus dem Nebel, als würde das Ritual seine eigene Sprache entwickeln. Im Abschnitt ´Vilambit Laya Alaap´ entfalten sich die ersten dröhnenden Gitarren, unterstützt von hallenden Percussion und tiefem Bass, während sich die indisch inspirierten Motive wie eine langsame Welle darüberlegen. Abschnitt ´Unisson Composition´ verstärkt diesen Effekt, die Instrumente verschränken sich zu einer hypnotischen Textur, die Körper und Geist zugleich einnimmt, bevor ´Dream Chord´ das erste Kapitel mit einem fast schwebenden Ausklang beschließt.
Mit dem zweiten Kapitel ´Arcana XX : The Fury Ov Judgement Horns´ steigern NEPTUNIAN MAXIMALISM die Intensität noch weiter. Im Teilstück ´Alaap On Surbahar´ tritt die tiefe, resonante Bass-Sitar in den Vordergrund und bringt eine meditative, beinahe sakrale Ruhe, die durch ´Drut Laya, Chaotic Polyphonic Taan Combinations´ in wogende, polyphone Hektik übergeht. Hier kollidieren Sitar, Surbahar, verzerrte Gitarren und treibende Percussion in kontrolliertem Chaos. Das nächste Teilstück ´Madhyalaya DCCLXXII´ bringt dann die allmähliche Entfaltung in harmonische Spannung zurück, eine berauschende Mischung aus Krautrock-artigen Flächen, Doom-artiger Schwere und improvisatorischem Free-Jazz, die das Kapitel zu einem zwingenden Höhepunkt führt.
Das abschließende Kapitel ´At Dawn´ öffnet die Klangräume, die zuvor verdichtet und gesättigt waren. Im Abschnitt ´Vilambit Laya Alaap´ erklingen die Gitarren nun luftiger, psychedelische Melodien brechen wie erste Lichtstrahlen durch, während Cazalets rituelle Gesänge sparsam, aber prägnant gesetzt werden. Das Teilstück ´Rite D’Ovairture & Badhat Unisson´ steigert die Spannung in feierlicher Dramatik, bevor ´Layakari In Offer To The Cosmic Serpent´ mit getragenen Percussion- und Windinstrumenten das Ritual in eine schwebende, epische Ekstase überführt, die den Zuhörer weit über die letzte Note hinaus begleitet.
Jeder Abschnitt des Albums zeigt NEPTUNIAN MAXIMALISMs Fähigkeit, Drone, Doom, psychedelische Rockelemente und indische Raga-Traditionen zu verschmelzen, ohne die Kontrolle zu verlieren. Die Musik bleibt emotional zwingend und stimulierend, ein majestätisches, spirituelles Erlebnis, das sich langsam entfaltet und lange nachwirkt.
NEPTUNIAN MAXIMALISM ist seit jeher das visionäre Projekt von Guillaume Cazalet, der hier nicht als dominierender Solist, sondern als ordnende Instanz eines Kollektivs agiert. Bemerkenswert ist nämlich die klangliche Ausarbeitung dieses Mammutwerks. Die Produktion, betreut von Guillaume Cazalet selbst und veredelt durch James Plotkin, bewahrt trotz der massiven Dynamik eine außergewöhnliche Transparenz. Jeder Ton besitzt Raum. Nichts wirkt überfrachtet. Selbst in den dichtesten Passagen bleibt die Musik greifbar und lebendig. Dieses Album ist kein Ereignis für den Moment, sondern ein Werk, zu dem man zurückkehrt, weil es sich nicht erschöpft.
NEPTUNIAN MAXIMALISM gelingt etwas Seltenes, etwas Großes, das alle Liebhaber avantgardistischer Doom- und Drone-Freuden anbeten werden.
(9 Punkte)



