
BRIAN WILSON – Live At The Roxy Theatre
2000/2025 (Oglio Records) - Stil: Pop, Rock
Als Brian Wilson im April 2000 das “Roxy Theatre” auf dem Sunset Strip betrat, wirkte es, als würde ein Mann das Halbdunkel einer langen Nacht hinter sich lassen. Die zwei Abende im legendären Saal waren mehr als bloße Konzerte. Sie fühlten sich an wie das leise Wiedererwachen einer Stimme, der man nicht mehr zugetraut hatte, jemals wieder in diesem Licht zu stehen. Die nun zum 25. Jubiläum erschienene Neuauflage von ´Live At The Roxy Theatre´ hebt diesen Moment mit neuer Klarheit an die Oberfläche – und verleiht ihm, wenige Monate nach Brian Wilsons Tod, eine berührende zusätzliche Dimension.
Die Aufnahme zeigt einen Künstler, der weit mehr als nur sein legendäres Repertoire verwaltet. Brian Wilson, flankiert von einer zehnköpfigen Band, darunter zentrale Mitglieder der WONDERMINTS wie Darian Sahanaja, Probyn Gregory und Nick Walusko, wirkt zugleich verletzlich sowie konzentriert und von einer leisen Freude getragen, die man in seinen schwierigen Jahren kaum noch erwartet hätte. Dass er sich auf diese Musiker verlassen konnte, hört man in jeder Sekunde. Die mehrstimmigen Harmonien steigen mühelos in jene schimmernden Regionen, die die BEACH BOYS einst definierten, während die feingliedrige Instrumentierung selbst komplexe Arrangements wie ´Pet Sounds´ oder ´Let’s Go Away For A While´ mit erstaunlicher Leichtigkeit trägt.

Beeindruckend ist die Präzision, mit der die Aufnahmen die Atmosphäre jener beiden Abende rekonstruieren. Sie wirken heute wie ein akustisches Zeugnis darüber, wie Brian Wilson Schritt für Schritt zu sich selbst zurückfand. Man hört, wie er mit jedem Song ein Stück Kontrolle, Sicherheit und Mut zurückerobert. Schon der Übergang von ´The Little Girl I Once Knew´ zu ´This Whole World´ zeigt diese innere Bewegung. Er beginnt fast verhalten, doch sobald die mehrstimmigen Harmonien seines Ensembles greifen, öffnet sich der Raum – und Brian Wilson stellt die Weichen für einen Abend, der wie eine Wiedergeburt klingt.
Faszinierend ist, wie sich die Energie in den Arrangements entfaltet. Die von Darian Sahanaja geformten Keyboardflächen, der federnde Bass von Bob Lizik, die glasklaren Falsettlinien von Jeffrey Foskett und die kammermusikalische Farbenfülle, die Probyn Gregory mit Trompete, Baritonhorn und Theremin setzt, lassen Brian Wilsons Musik in einer klanglichen Qualität erscheinen, die in den BEACH BOYS-Jahren oft nur als Ideal im Kopf des Komponisten existierte. Diese Besetzung schenkt ihm ein orchestrales Rückgrat, das nie überladen wirkt, sondern ihm jene Leichtigkeit ermöglicht, die man so lange vermisst hatte.
Besonders spürbar wird das bei den emotionalen Schlüsselmomenten des Abends. ´In My Room´ trägt die ganze Schwere seiner Biografie, doch Brian Wilson formuliert sie mit einer berührenden Klarheit, die weit über Nostalgie hinausgeht. Seine Stimme, leicht verhangen, aber ernsthaft und absolut gegenwärtig, setzt sich gegen die filigranen Hintergrundstimmen wie ein stilles Gebet. In ´Surfer Girl´ blitzt die Unschuld der frühen 60er auf, doch das Arrangement ist reifer, wärmer, beinahe pastoral – ein Rückblick, der mehr weiß, als er sagt.
Zur eigentlichen Offenbarung wird jedoch die Art, wie Brian Wilson mit seinem Publikum umgeht. Die kleinen Zwischenbemerkungen, sein trockener Humor, das fast kindliche Erstaunen darüber, überhaupt an diesem Punkt zu stehen, verleihen der Aufnahme eine Menschlichkeit, die man in vielen späteren Live-Dokumenten vergeblich sucht. Wenn er das Publikum zu ´Help Me, Rhonda´ animiert und im selben Atemzug seine Unsicherheit charmant überspielt, entsteht eine Nähe, die in ihrer Offenheit nahezu einzigartig ist. Hier steht kein Pop-Mythos, sondern ein Künstler, der überlebt hat – und das spürbar in jeder Note.
Dass ´God Only Knows´ in diesem Kontext zu einem der stillsten Höhepunkte wird, überrascht kaum. Die Aufnahme wirkt weniger wie der Vortrag eines Klassikers, sondern eher wie ein stiller Dank – an das Publikum, an die Musik, vielleicht an das Leben selbst. Für einen Moment scheint der Raum den Atem anzuhalten. Die Band schafft ein harmonisches Geflecht, das Brian Wilson wie eine warme Schale trägt, und seine Stimme legt sich darüber wie ein dünnes, unerschütterliches Licht.
Mit ´Good Vibrations´ kehrt er schließlich in jene Sphäre zurück, in der Brian Wilsons Genie am deutlichsten leuchtet. Das Arrangement ist wuchtig und zugleich federnd, technisch brillant, aber voller menschlicher Wärme. Diese Version trägt den Charakter seiner zweiten Karrierephase in sich: weniger perfekt, aber im Ausdruck unvergleichlich wahrhaftig.
Bemerkenswert sind auch die selteneren Stücke, die Brian Wilson an diesen Abenden mit fast scheuer Entschlossenheit präsentiert. ´The First Time´ und ´This Isn’t Love´ – zwei Lieder zwischen autobiografischer Offenheit und melodischer Feinzeichnung – gewinnen live eine Unmittelbarkeit, die man auf Studioaufnahmen kaum findet. Auch ´Back Home´, eine jener im BEACH BOYS-Kosmos oft übersehenen Miniaturen, öffnet sich in einer berührenden Wärme und zeigt, wie viel Hingabe seine Band selbst in die leisen Momente legt.

Die Jubiläumsausgabe erweitert das ursprüngliche Album um zahlreiche, über Jahre verstreute Tour-Aufnahmen und schafft so ein Panorama dieser späten Karrierephase. Die ergänzenden Live-Dokumente zeichnen ein Bild von einem Künstler, der nach dem “Roxy”-Abend nicht nur weitermachte, sondern wuchs. Songs wie ´Soul Searchin´ oder ´Southern California´ lassen erkennen, wie sehr Brian Wilson darauf bedacht war, seiner späten Stimme – brüchig, aber innig – neue Räume zu öffnen. Man spürt einen Mann, der seinen eigenen Kanon nicht verwaltet, sondern mit neuem Leben auflädt.
Klanglich zeigt sich die neue Edition in bestechender Schärfe und Wärme. Das sorgfältige Remastering lässt sowohl die filigrane Harmoniearchitektur als auch die kraftvollen Tutti-Passagen plastisch hervortreten und unterstreicht, wie souverän Brian Wilson auch im Jahr 2000 noch über sein musikalisches Universum gebot. Dass das Werk nun erstmals auf Vinyl erscheint, verleiht diesem Jubiläum zusätzliches Gewicht. Die präsentierte Fassung – üppig, klangstark und um neue Einsichten bereichert – schafft ein geschlossenes Hörbild, das der historischen Bedeutung des Albums voll gerecht wird.
Im Rückblick erscheint ´Live At The Roxy Theatre´ als der leise, aber entschlossene Beginn von Brian Wilsons zweitem Leben als Bühnenkünstler. Und nun, da wir seine Stimme nur noch über Aufnahmen hören können, gewinnt diese Edition eine unerwartete Strahlkraft. Sie erinnert daran, wie viel Mut nötig war, um nach all den Kämpfen zurückzukehren – und wie viel Schönheit entstehen kann, wenn ein Musiker, dessen Werk die Popmusik über Jahrzehnte geprägt hat, noch einmal Vertrauen in sich selbst findet.
Diese “25th Anniversary Edition” ist daher weit mehr als eine Wiederveröffentlichung. Sie ist ein stiller Triumph, ein spätes Aufblühen – und vielleicht die schönste Einladung, Brian Wilson nicht nur als Architekt eines Jahrhundertsounds, sondern als zutiefst menschlichen Künstler neu zu begreifen.
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