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THIN LIZZY – 74-75 Nightlife / Fighting, limitierte 7 CD Box

1974/1975 / 2025 (Mercury) - Stil: Hard Rock

Die Erwartungen an dieses Boxset waren bei mir als fanatischer THIN LIZZY-Supporter dieses Mal nicht so wirklich groß und meine Vorfreude war deshalb etwas getrübt. Warum?

Nun, ´Fighting´ gehört zu meiner Top 3 bei den THIN LIZZY-Studioalben und ´Nightlife´, das erste Album der besten THIN LIZZY-Besetzung mit Brian Robertson und Scott Gorham, ist zumindest – bei allen kleineren Schwächen – notorisch unterschätzt. Aber nur 18 (eher ein paar weniger, siehe im Folgenden) noch unveröffentlichte Songs bei 7 CDs ist doch sehr mager und bestraft Alleskäufer und Die Hard-Sammler wie mich. BBC- und John Peel-Sessions, die schon mehrfach auf CD veröffentlicht wurden; die Live-Show von 1975, ein unheimlich wichtiges Zeitdokument, aber halt auch schon auf CD veröffentlicht, sind jetzt keine Argumente, die bei mir überschäumende Begeisterung ausgelöst haben.

Die Aussicht auf einen neuen Stereo-Mix von Richard Whittaker unter der Aufsicht von Gitarrist Scott Gorham, gemastert von Geoff Pesche in den Abbey Road Studios 2025, löste auch keine große Vorfreude aus. Das hatte bei mir – insbesondere im Falle ´Jailbreak´ – im letzten Jahr bei der genannten Box, vorsichtig gesagt, zu teilweisem Unverständnis geführt. Allerdings die Produktion des Akustik-Albums war eher von Achtsamkeit geprägt, so dass zumindest ein wenig Hoffnung da war, insbesondere weil bei ´Nightlife´ die Originalproduktion von Ron Nevison eher suboptimal war. Unser „Cocktail-Album“ und “Aufzugs-Musik” betitelte Scott Gorham immer das Album, was natürlich total übertrieben ist. Und Brian Robertson erzählte, wie Ron Nevision im Hochsommer mit Pelzmantel und Rolls Royce vorfuhr, sofort an die Studio-Bar ging, aber nicht so richtig etwas mit der Band anfangen konnte. Brian Robertson und Scott Gorham waren dazu absolute Neulinge im Studio, wobei insbesondere Brian Robertson eine so hohe musikalische Begabung mitbrachte, dass dies nicht besonders ins Gewicht viel. Auch Scott Gorham war, obwohl noch nicht lange vom Bass zur Gitarre umgestiegen, schon ein guter Musiker wie gleich der Opener ´She Knows´ beweist.

´Fighting´ war auch nicht optimal produziert, aber schon besser und klang wie THIN LIZZY dann zu ihren größten Zeiten von 1975-1978 klangen – einfach unschlagbar (wobei eigentlich natürlich alles von 1971-1983 unschlagbar ist).

Da blieb die Hoffnung auf schöne Fotos und Outtakes, die wirklich begeistern, wie auf der ´1976´-Box, wo vor allem einige Akustikversionen im letzten Jahr von großer Qualität waren. Nun, dass zugehörige Buch ist zwar nicht allzu dick, aber mit tollen Fotos und kurzen Stories gespickt, so dass diese Frage positiv beantwortet werden kann. Und zu allem anderen komme ich jetzt.

CD 1: ´Nightlife´ – New Stereo Mix 2025 / Original Mix:

Die Neuabmischung ist zum Beispiel bei ´Still In Love With You´ deutlich transparenter und “härter” abgemischt beim Bass und bei den Vocals mit mehr Hall. Der “Cocktail – Charakter” geht davon etwas verloren, aber auch ein wenig der sehr großen ursprünglichen Wärme, die die Platte auszeichnet. Trotzdem macht dieser Mix dieses Mal mehr Sinn als bei der ´1976´ Box letztes Jahr und ist eine brauchbare Alternative zum Ursprungssound. Es gibt wenig „Gimmicks“, bei ´Still In Love With You´ wurden zum Schluss ein paar Gesangsfetzen oder bei ´Philomena´ ein längerer Schlussakkord zugemischt. Bei ´Show Down´ sind die Chöre eher in den Hintergrund platziert worden. Ich werde selbstverständlich immer am Original festhalten, weil ich das seit 45 Jahren fest im Kopf habe und damit aufgewachsen bin und damit sozialisiert wurde. Aber insgesamt als Alternative okay.

CD 2: Fighting – New Stereo Mix 2025 / Original Mix:

Bei ´Fighting´ sind aufgrund der Verfügbarkeit der Bänder nur vier Titel in einer neu gemasterten, abgemischten Version erhältlich. Nichts besonders Sensationelles. `Rosalie´ ist deutlich härter, ´Silver Dollar´ von den Instrumenten etwas klarer strukturiert.

CD 3: Nightlife Outtakes, B-sides, 7‘‘ edits:

Bis auf drei Songs ist alles schon auf der ´Nightlife´ Deluxe-Doppel-CD 2012 bzw. auf der ´Rock Legends´-Box 2020 veröffentlicht worden. Ich höre aber auf zu jammern, da diese recht teuren und längst vergriffenen Veröffentlichungen wahrscheinlich sowieso nur eine Minderheit im Besitz hat.

Die Demos mit Gary Moore, natürlich super wie ´Showdown´. Das ´Still In Love With You-Demo with Gary Moore´ ist für mich die beste Studio-Version des Titels. Ich bin ein absoluter Frankie Miller-Fanatiker, mochte seinen Beitrag zu ´Still In Love With You´ aber nie so wirklich, weil seine Reibeisen-Stimme meiner Meinung nach irgendwie nicht zu Philips Gesang passt. Aber der abwechselnde Gesang von Philip und Gary auf diesem Demo ist einfach großartig und ein Highlight der Outtakes. Man kann deutlich hören, wie der Song auf Garys alter Song-Idee ´Help Me See It Through´ basiert und die genialen Gitarrensoli, die später live von allen Gitarristen weiterentwickelt wurden, schon in ihrer ganzen Schönheit erhalten waren.

´It’s Only Money´ hat mit Gary einen ganz anderen Charakter. Leider sind die Aufnahmen mit Gary von nicht so guter Soundqualität. Weitere Höhepunkte: ´She Knows´, das zeigt, wie Brian und Scott von Anfang an bei ihrer Gitarrenarbeit schon harmonierten. ´Dear Heart´, das hier mit gedoppeltem Gesang von Philip großartig klingt. Auch ist die Soundqualität bei den Extended Versions und Outtakes wieder deutlich besser. ´Philomena – Alternate Version´ noch im Entstehungsprozess mit anderen Lyrics. Ich liebe diesen Song in allen Versionen. ´Still In Love With You – Rough Vocal Mix´: Frankie such nach “fucking beer and wine” und fällt besoffen vom Hocker. Na ja. Für einen Love-Song eher nicht passend.

CD 4: Fighting Outtakes, B-Sides, 7” Edits:

Aus meiner Sicht alles schon veröffentlicht. Aber ich werde hier nicht zum “Erbsenzähler”. Auch hier gibt es sehr gute Sachen, aber auch einzelne Instrumentalversionen. ´Try A Little Harder´. Das ist ein Song, der es nie auf ein Album geschafft hat, aber sehr, sehr stark ist. Und sehr melancholisch. Das gleiche gilt für das von Heimweh geprägte ´Leaving Town´ als Instrumental und in der langen, gesungenen Version. Die ´Spirit Slips Away – Extended Version Take 4´ ist essenziell. Wie der ganze, wenig bekannte Song. Ich habe eine große Liebe für diesen traurigen Song. Weitere Demoversionen vom versteckten Juwel ´For Those Who Love To Live´ oder dem Dauerbrenner ´Suicide´, aber auch vom irischen Helden-Epos ´Freedom Song´.

CD 5: Fighting / Night Life Mixes:

Dann geht es zur wichtigsten CD mit zwölf wirklich noch unveröffentlichten Songs (wie man insgesamt auf 18 kommt, weiß ich nicht, das ist mir jetzt zu anstrengend, danach zu suchen). Das instrumentale Klavierspiel von ´Frankie Carroll´ akzeptiere ich als kleinen Einstieg. Der ´Showdown – Alternate Take´ ist sehr interessant. ´Sha La La-Extended Take´ ist witzig, weil Philip in Brian Downeys großartiges Schlagzeugsolo hineinsingt. Die beiden Akustikversionen der All-Time-Klassiker ´Philomena´ und ´Wild One´ sind wunderschön. Das sind an sich zwei Songs mit so viel Substanz, dass auch die akustischen Versionen vor Emotion und Pathos strahlen. ´Rosalie´ ist in der “Extended version” schon härter als die Originalversion. Und dann eine weitere Version des faszinierenden ´Try A Little Harder´.

CD 6: BBC Sessions / John Peel Sessions / Bob Harris Session / Live In Concert 1974:

Alles schon veröffentlicht und alles sehr empfehlenswert, wenn es noch nicht im Besitz der Hörerin / des Hörers ist. Gerade die sechs Live-Aufnahmen von 1974 zeigen die Band auch schon im großartigen Entwicklungsprozess zu Beginn des besten Line-ups. ´Rock And Roll With You´ ist dabei eine Live-Rarität. ´Still In Love With You´ schon von Brian und Scott gitarrentechnisch stark adaptiert.

CD 7: Derby College Of Technology 21st November 1975:

Noch essenzieller auf jeden Fall dieses großartige Konzert vom November 1975. Das zeigt die Weiterentwicklung der Band innerhalb eines Jahres. Die Band strotzt vor Selbstbewusstsein und war auf dem Sprung zu ´Jailbreak´ und dabei, jede andere Band auf der Welt in Grund und Boden zu spielen. Die CD wurde 2008 unter dem Titel ´UK Tour 75´ in Europa und Japan veröffentlicht und ich habe sie im Besitz. Allerdings schon länger nicht mehr angehört. Und die 15 Songs sind absolut großartig. Es sind viele Perlen wie ´Wild One´, ´For Those Who Love To Live´ oder ´Showdown´ vertreten, die später nicht mehr im Live-Set waren. Bei ´Showdown´ glühen die Gitarren und Scott und Brian duellieren sich. Gerade Brian Robertson – ohne die überragende Leistung von Scott Gorham schmälern zu wollen – brannte. Er hatte sich innerhalb von einem Jahr vom schüchternen 18jährigen Teenager zur coolen Sau an der Gitarre weiterentwickelt. “Don’t Mess With The Kid” – wie Philip Lynott bei seiner Vorstellung auf dem Album sagt. Das war wörtlich zu nehmen – zumindest für jeden Gitarristen, der 1975 meinte, er wäre der beste.

Weitere Höhepunkte: Das 9,5-minütige ´Still In Love With You´ und vor allem gegen Schluss: die geballte musikalische Power beim Doppelpack der für Live-Auftritte von Philip zur Konversation mit dem Publikum geschriebenen ´Baby Drives Me Crazy´ und ´Me And The Boys´. Dazu die frühe, interessante Version von ´Cowboy-Song´: “This is a new number, this one – yet untitled… Hier unter dem Banner: ´Cowboy Song (Derby Blues)´ noch im Entwicklungsprozess. Eine Heavy-Version von ´Little Darling´, ursprünglich mit Gary Moore eingespielt, bei der Brian Robertson absolut explodiert und selbst Garys Gitarrenkünste verblassen lässt. Eine kleine Jam-Session zum Schluss zeigt, dass die Band auch zum Improvisieren bereit war, spätestens bei den Aufnahmen 1976 und 1977 für ´Live And Dangerous´ spielte man aber dann meist sehr kompakt.

Fazit:

1) Nun, natürlich hat mich das Boxset, trotz der eingangs genannten Bedenken, begeistert und verzaubert, als ich es endlich in der Hand hielt. Für THIN LIZZY-Die Hard-Supporter ein Pflichtkauf.

2) Wer schon einiges an den Bonus-Songs hat, darf überlegen, ob er sich noch weitere CDs zulegen will.

3) Wer gar ´Nightlife´ und ´Fighting´ nicht kennt, darf auf jeden Fall zugreifen, wenn die Liebe zum Vinyl nicht größer ist (da gibt es immer noch die starken 2020 Wiederveröffentlichungen in 180 Gramm oder auch gebrauchte Originale im Internet-Handel).

Die bisherigen Boxsets wurden alle zu Raritäten und sind nur noch für viel Geld zu haben. Ob das hier auch geschieht, ist abzuwarten. Mal sehen, ob es aus Teilen wieder eine Verwertung für den “Record Store Day” gibt.

(Absoluter Klassiker)

https://www.facebook.com/thinlizzyofficial

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