
Wenn eine Band wie SPOCK’S BEARD nach sieben Jahren Stille ein neues Studioalbum ankündigt, entsteht automatisch diese seltene Mischung aus Erwartung, Skepsis und leiser Ehrfurcht. Zu oft schon schien der Weg dieser Ausnahmeformation an Wendepunkten vorbeizuschrammen, die eigentlich das Ende hätten markieren können. Doch man hat sich über drei Jahrzehnte daran gewöhnen müssen, dass SPOCK’S BEARD stets dann am stärksten sind, wenn alles dagegen spricht. ´The Archaeoptimist´ macht dieses Prinzip nun erneut greifbar. Es ist kein nostalgischer Rückgriff, keine müde Erinnerung, sondern ein selbstbewusstes Wiedererwachen – durchdrungen von der Energie jener Anfangstage, gleichzeitig getragen von der Reife einer Band, die längst weiß, was sie kann und wohin sie will.
Dass dieses Album in weiten Teilen die Handschrift von Ryo Okumoto trägt, erstaunlich intensiv verwoben mit den Ideen des Co-Komponisten Michael Whiteman, prägt den Charakter des Werkes auf eine Weise, die man dem Bandkollektiv fast nicht zugetraut hätte. Ryo Okumoto agiert nicht nur als Motor der Komposition, sondern als architektonische Kraft. Seine Tastenlinien sind nicht schmückendes Ornament, sondern tragendes Material, das sich um die markanten Gitarrenfiguren von Alan Morse, die souveräne Stimme von Ted Leonard und das pulsierende Bassfundament von Dave Meros legt. In dieser Konstellation entfaltet sich eine Spannung, die zwischen klassischem Progressive Rock, moderner Offenheit und jener unverkennbaren Verspieltheit liegt, die SPOCK’S BEARD seit jeher auszeichnet.
Mit Nick Potters am Schlagzeug hat die Band einen Musiker gefunden, der nicht nur spieltechnisch jeder Erwartungshaltung standhält, sondern der dieses Album mit einer erstaunlichen Selbstverständlichkeit pulsieren lässt. Sein Timing ist präzise, sein Zugriff kraftvoll, aber nicht überladen; seine musikalische Intuition wirkt so vertraut der Band, dass man kaum glauben möchte, dass dies sein Studioeinstand ist. Seine Fähigkeit, Rhythmus und Gesang zugleich zu beherrschen, verschiebt zusätzlich die Balance innerhalb der Gruppe und öffnet Räume, die man auf früheren Alben so klar nicht gespürt hat.

Was sofort auffällt, ist die konsequente narrative Dichte des Albums. Stücke wie ´Invisible´ oder ´Electric Monk´ knüpfen zu Beginn an jene dramaturgische Eleganz an, die man aus den frühen Werken der Band kennt, ohne in Zitaten zu erstarren. Der Zyklus um ´Afourthoughts´ gelingt besonders überzeugend, weil er bewusst an die Tradition der „Thoughts“-Reihe anbindet, diese jedoch nicht kopiert, sondern neu ausbalanciert. Die vokalen Verflechtungen wirken kontrollierter, weniger verspielt als in früheren Jahrzehnten, gleichzeitig aber so markant phrasiert, dass die Verbindung zur eigenen Historie gewahrt bleibt. Hier wird deutlich, wie sehr SPOCK’S BEARD in diesem Album nicht nur auf das Erreichte zurückblicken, sondern es wie durch ein Brennglas neu fokussieren.
´St. Jerome In The Wilderness´ treibt diese Entwicklung weiter voran. Das Stück verschiebt sich in fein gezeichneten Schichten zwischen kontemplativer Ruhe und aufgewühlter Dynamik, und es ist gerade die Balance dieser Gegensätze, die den Kern des Albums ausmacht. Alan Morse zeigt hier erneut, wie filigran und gleichzeitig charakterstark sein Spiel geblieben ist.
Im monumentalen Titelstück ´The Archaeoptimist´ schließlich bündelt sich über 20 Minuten alles, was diese Band ausmacht: epische Linien, harmonische Verschiebungen, erzählerische Stärke, eine packende rhythmische Architektur und ein bemerkenswerter dramaturgischer Aufbau, der trotz seiner Länge nie an Fokus verliert. SPOCK’S BEARD verweben hier eine Vielschichtigkeit, die aus mehreren musikalischen Leben zu stammen scheint, und doch klingt jeder Abschnitt wie selbstverständlich Teil eines einzigen, weit gespannten Bogens.
Der Abschluss ´Next Step´ führt über die letzten 10 Minuten alles zusammen. Dabei strahlt das Album jene Zuversicht aus, die nur entsteht, wenn eine Band auf eine Weise zu sich selbst findet, die weder an Rückschau noch an Erneuerungszwang gebunden ist. Stattdessen wirken die letzten Minuten wie der natürliche Schwung nach einer langen, intensiven Reise – voller Klarheit, voller Wärme, getragen von einer beeindruckenden kompositorischen Souveränität.
´The Archaeoptimist´ ist weit mehr als ein später Eintrag in einer ohnehin außergewöhnlichen Diskografie. Es ist ein Werk, das die Identität von SPOCK’S BEARD mit einer Ruhe und Selbstkenntnis neu beleuchtet, wie man sie nur von Bands erlebt, die sowohl ihr Erbe als auch ihre Gegenwart mit derselben Sorgfalt pflegen. Dieses Album zeigt eine Formation, die nicht versucht, ihrer eigenen Vergangenheit nachzueifern, sondern die in ihr eine Grundlage erkennt, von der aus Neues entstehen kann.
Ein reifes, kraftvolles, eindringliches Statement – und vielleicht das überzeugendste Zeichen seit Langem, dass SPOCK’S BEARD genau dort angekommen sind, wo sie heute sein sollten.
(8,5 Punkte)
https://www.facebook.com/spocksbeard
(VÖ: 21.11.2025)



