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THE RETICENT – Please

2025 (Generation Prog) - Stil: Emotional Dark Progressive Metal

Es gibt Platten, die laufen ein paar Runden, sind nett, rund und sauber. Und dann gibt es ´Please´. Diese Scheibe legt sich auf dich wie ein Klotz am Bein, also zu keiner Sekunde ein Leichtgewicht. Denn Chris Hathcock verarbeitet auf ´Please´ alles, was ihm in den letzten Jahren mental begegnet ist. Und zu jedem Zeitpunkt von ´Please´ spürst du, dass er alles ernst meint. Er spielt, singt, schreit und produziert, wahrscheinlich geht er den Ablauf auch nachts noch einmal durch.

´Intake´ heißt die kurze Eröffnung, als würde eine nüchterne Stimme Gedanken über dein eigenes Leben vorlesen. Es geht um Suizid, direkt, ohne Schleier. Und plötzlich ist man mitten im Geschehen – ohne Vorwarnung, mitten in einem Thema, das die meisten lieber meiden.

Dann folgt ´The Concealment (Those Who Don’t Want To Wake)´ mit Gitarre, Drums und Stimme. Alles bleibt in Bewegung, alles unter Spannung. Jemand kämpft gegen sich selbst, fortwährend – und du hörst das. Das sind innere Kämpfe. Da kommt Panik auf. Und dann dieser Moment der Stille. Kein Sound, keine Erklärung. Nur Herzklopfen, Raum, Dunkelheit. Doch plötzlich kracht es wieder, als müsste die Musik sich selbst retten.

´The Night River (Those Who Can’t Rest)´ ist Rastlosigkeit pur. Die Gitarren flackern, die Drums peitschen, die Gedanken rasen. Es herrscht Schlaflosigkeit, aber mit Strom auf der Leitung. Man spürt, wie sich das Hirn selbst verfolgt – kein Ende, kein Anfang, nur unaufhörliche Bewegung.

´Diagnosis 1´ wirkt wie ein kalter Schnitt. Eine sachliche Stimme, womöglich zu sachlich. Das macht es umso schlimmer, weil man plötzlich spürt, dass hinter diesen Worten ein Mensch steht, der eigentlich Hilfe braucht.

Und dann bricht alles los. ´The Bed Of Wasps (Those Consumed With Panic)´ – ein Titel, der nicht lügt. Das ist Panik in Reinform. Gitarren wie Insekten, Drums wie Herzrasen – und Chris Hathcock mitten im Strudel. Das ist vielleicht gar kein Song, sondern eher ein Zustand. Das ist Angst in Attacken. Man will weghören, aber man bleibt. Man muss.

Mit ´The Scorn (Those Who Don’t Understand)´ schleicht sich langsam die Wut an – klüger, als sie klingt. Diese Welt, die psychische Krankheiten belächelt, bekommt hier ihre Standpauke. Die Musik schiebt, stolpert, fällt, trifft auf Unverständnis, steht wieder auf. In der Mitte ein hypnotischer Moment, fast friedlich, aber nicht ganz. Als würde der Zorn kurz durchatmen, bevor er wieder aufsteht.

Dann ´The Riptide (Those Without Hope)´. Kein Schlagzeug, keine Wucht. Nur Gitarren, äußerst leise, und eine Stimme, die fast vergeht. Und jeder, der zuhört, versteht es jetzt. Das ist das, was bleibt, wenn gar nichts mehr bleibt. Hoffnungslosigkeit. Traurig, ja. Aber irgendwie schön.

´The Chance (Those Who Let Go)´ schwebt noch einmal kurz über dem Boden. Vorsichtig, wie jemand, der sich verabschiedet, ohne es auszusprechen. Der Entschluss ist gefasst. Und dann kommt ´Discharge´. Keine Explosion, kein Finale. Einfach das Ende. So klingt Leere.

´Please´ ist ein Schwergewicht. Kein Trostpflaster, keine leichte Materie – ehrlich, direkt, menschlich. Chris Hathcock schreibt, spielt, schreit, weil er muss. Und genau deshalb trifft er den wunden Punkt. THE RETICENT zelebrieren hier kein Metal-Album, sondern ein Leben. In Tönen, in Schüben, in Momenten, die wehtun. Wer ´Please´ hört, geht nicht unberührt weiter – vielleicht ein bisschen stiller, vielleicht ein bisschen klarer – aber sicher nicht unberührt.

(8,5 Punkte)

https://www.facebook.com/thereticentmusic


(VÖ: 13.11.2025)

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