
NEAL MORSE – Never Been Down This Road
2025 (Radiant Records) - Stil: Rock
Neal Morse hat im Laufe seiner Karriere viele Wege beschritten, doch sein neues Album ´Never Been Down This Road´ klingt, als würde er noch einmal bei sich selbst ankommen. Statt orchestraler Prog-Epen oder weitläufiger Konzeptgeschichten ist hier ein sehr persönliches Werk entstanden, das den Songwriter zwar nicht nur mit Gitarre oder Klavier präsentiert, aber doch in seiner reinen Form zeigt.
Entstanden sind die Lieder in den frühen Morgenstunden, wenn die Welt noch ruhig ist und das Klavier zum Ort des Nachdenkens wird. Neal Morse folgt darin keinem Plan, sondern dem Augenblick, in dem sich Melodie und Gebet begegnen. Es ist ein Album, das nicht aus dem Kopf, sondern aus dem Herzen geboren wurde. Es ist getragen von Demut, Erinnerung und dem festen Glauben, dass jeder Weg, selbst der holprigste, ein Ziel hat.
Der Auftakt ´Leavin’ California´ trägt den Hörer mitten hinein in dieses Gefühl. Über sanft gezupften Gitarren erzählt Morse von verlorenen Tagen in Marina Del Rey, von gebrochenen Saiten und zerplatzten Träumen, von Nächten, in denen Gott näher schien als jeder Mensch. Der Song atmet Salzluft und Sonnenuntergang, das bittersüße Aroma von Abschied und Neuanfang. „I was never leavin’ California“, singt Morse – und man glaubt ihm, bis er in der letzten Strophe begreift, dass man manchmal gehen muss, um wirklich heimzukommen.
´New Man´ schließt sich als Bekenntnis an. Ein ruhiges Klavier, ein paar gezielte Streicher, und Morse erzählt mit entwaffnender Offenheit von Schuld, Vergebung und dem Wunder, dass aus Dunkelheit neues Licht entstehen kann. Es ist das Lied eines Mannes, der durch Feuer und Flut gegangen ist, ohne seine Zärtlichkeit zu verlieren.
Mit ´Reach Deep´ öffnet sich das Album in Richtung Fab Four und Classic Rock. Das Saxophon von Mark Leniger bläst die Melancholie hinaus in die Weite, während Morse mit warmem Timbre zu innerer Stärke und Aufbruch ruft. Die Zeilen wirken wie ein Gebet für alle, die irgendwo feststecken – direkt, aufrichtig, ohne Pathos.
´Open Up Again´ dagegen zieht sich in sich zurück. Zwischen unruhigem Klavierspiel und vorsichtigen Harmonien entsteht ein Moment der Stille, in dem der Sänger seine eigene Verwundbarkeit zulässt. Es ist, als würde er mit Gott ringen – nicht laut, sondern flüsternd, mit geschlossenen Augen. Der Song tastet sich vorwärts, jedes Wort klingt wie ein Schritt auf unsicherem Boden.
Im Zentrum des Albums steht der Titelsong ´Never Been Down This Road´, der in klassischer Morse-Manier langsam wächst, sich entfaltet, um am Ende in einem vollen Bandklang zu münden. Es ist der Punkt, an dem Rückblick und Aufbruch ineinander fallen. Morse singt von Wegen, die niemand zuvor gegangen ist, und von der leisen Gewissheit, dass gerade darin Segen liegt.
´The Most Important Person´ richtet den Blick dann nach innen, eine zarte Meditation über Präsenz und Hingabe, getragen von einem einfachen, fast spirituellen Groove. Morse formt daraus ein stilles Gespräch mit Gott, in dem kein Zweifel, sondern Vertrautheit herrscht.
´The Heart Always Knows´ bringt eine feminine Note ins Spiel. Julie Harrison und Amy Pippin verleihen dem Refrain eine sanfte Weite, während ein kurzes Saxophon-Solo über die Szenerie gleitet. Es ist ein Song über Verletzlichkeit, aber auch über die leise Kraft, die aus ihr erwächst.
Am Ende steht ´Breathe The Air´, eine Ballade voller Frieden. Das Klavier klingt wie Morgenlicht, die Melodie wie ein Gebet, das sich selbst beantwortet. Morse singt, als würde er die Luft, die er atmet, bewusst spüren – dankbar, frei, angekommen.
Neal Morse hat fast alles selbst eingespielt, und gerade dadurch trägt das Album eine tiefe Ruhe in sich. Nichts klingt überladen oder kalkuliert. ´Never Been Down This Road´ ist kein Werk für große Bühnen, sondern für späte Stunden, wenn das Herz noch einen Moment verweilen will. Es erzählt von Heimat und Aufbruch, von Schuld und Gnade, vom Zweifel und der stillen Freude, endlich angekommen zu sein. Ein ehrliches Album, das in seiner Zurückhaltung größer wirkt als manch orchestrales Werk davor – wie ein Gebet, das man nicht spricht, sondern lebt.
(8,5 Punkte)



