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HEINZ RUDOLF KUNZE – Angebot und Nachfrage

2025 (Meadow Lake/Believe) - Stil: Deutschrock / Rockpoesie

Nicht lange hat sich Heinz Rudolf Kunze in die Schatten seiner schreibenden Einsamkeit zurückgezogen, um dann mit voller Wucht und der ihm eigenen Sprachgewalt erneut in den Ring zu steigen. ´Angebot und Nachfrage´, das inzwischen 47. Album des Rockpoeten, ist kein stilles Alterswerk, sondern ein lauter Aufschrei, ein zartes Bekenntnis, ein flammender Kommentar und ein Lebensresümee in 16 Kapiteln plus Bonus. Wer dachte, Kunze würde sich im Spätherbst seiner Karriere nur noch in Balladen wiegen, der wird hier eines Besseren belehrt.

´Besuch mich Marie´ eröffnet die Platte wie ein Blick zurück in die eigene Biografie, so als hätte ´Dein ist mein ganzes Herz´ ein gereiftes Echo aus der Zukunft gefunden. Nostalgisch, aber nicht kitschig, eine Melodie voller Reife, die im Original als Bonus sogar in einem Duett mit Annett Louisan neu erblüht.

Danach hält Kunze weiterhin das Feuer hoch. ´Dann fängt die Liebe an´ ist eine Hymne auf die Beständigkeit einer Liebe, die jede Kohle aus dem Feuer holt, während ´Das was niemals war´ die stillen, ungesagten Möglichkeiten („Du hast ihn noch immer, den Blick einer Göttin, daran kann kein Fältchen was ändern.“) in einer tollen Melodie beschwört.

Doch Kunze wäre nicht Kunze, wenn er sich in der Romantik ausruhen würde. Mit ´Die Angst geht um´ zieht er das Eisen aus dem Feuer. Ein Song, so schwer, so metallisch, so nah am Hardrock gebaut, dass er fast wie ein wütender Faustschlag im Gesicht der Gegenwart wirkt. Hier brüllen Gitarren, hier treibt das Schlagzeug („Das ist längst nicht mehr demokratisch, das wird allmählich psychopathisch.“), hier wird der Zorn gegen das Duckmäusertum zum musikalischen Manifest („Und keiner will mehr aufrecht gehen. Für irgendetwas geradestehen.“). Ein einziges Wort – “Totargumenteschläger” –, das wie ein Sturm durchs Land zieht, stellt klar, warum Kunze einer der letzten großen Sprachzauberer dieser Republik ist.

´Du musst dich irren´ nimmt den politischen Diskurs mit vielen Funken Wahrheit aufs Korn (“Die Trotteltruppe im Regierungsviertel erscheint dir so entsetzlich wie die Pest.”) und erinnert daran, wie notwendig Selbstkorrektur ist, während ´Wir sind wir´ zum Bekenntnis an die freiheitliche Gesellschaft wird, ernst, klar und warnend. Kunze, der immer Haltung gezeigt hat, weiß, dass der Zustand unserer Gesellschaft alles andere als selbstverständlich ist.

Und dann die Liebeslieder, diese andere Seite seines Schaffens: ´Einen anderen Menschen lieben´ ist eine Ballade, die vom Klavier getragen und von einer poetischen Zeile gekrönt wird, die hängenbleibt wie Goldstaub in der Luft: “Es ist wie in der Luft nach Gold zu sieben, am Ende ist das Sieb voll Sonnenlicht.” Solche Sätze sind nicht geschrieben, sie sind gefunden, geschenkt, wie er selbst sagt – und genau darum so groß. Auch ´Was bin ich wert´ stellt existenzielle Fragen in die Welt, eingängig und doch von schwerem Gewicht, am Tag des jüngsten Gerichts.

Mit ´Ich bin tot´ wagt sich Kunze ins Morbide. Ein schwarzer Walzer, der in der Tradition eines Wiener Kaffeehauses steht, zynisch, traurig, wahr. Und bevor das Album sich schließt, erhebt ´Irgendwo´ den Anspruch auf Ewigkeit. Ein Song über Heimat, Herkunft, Identität, so persönlich, dass man den Atem anhält. Kunze, der Vertriebene, der Heimatlose, der aber in der Sprache seine Heimat findet. Eine Ballade, getragen von einer langen Hammond-Orgel, die sich zu einem monumentalen Outro steigert. Ein Song wie eine Lebensbeichte und vielleicht das Herzstück des Albums.

Doch dazwischen brennt das Album weiter: ´Jeder Tote, einer zu viel´ ist ein politisches Statement ohne naive Friedensromantik, ´Sie sind Migranten´ dagegen fast im Poprock-Gewand, fröhlich im Ton, ernst in der Botschaft. Ein Spiegelbild unserer Zeit, das zugleich Empathie und Kritik vereint.

Und während all dies passiert, spürt man den Funken, der Kunze antreibt. Er hat eine Band, die lebt, spielt wie eine Familie. Man hört die Nähe, man hört die Freude, man hört die Lust am Musizieren. Nichts klingt kalkuliert, alles klingt echt.

Am Ende schließt sich der Kreis mit ´Wozu hat man Kinder´. Eine letzte Frage, eine letzte Reflexion, die noch einmal Liebe und Verantwortung ineinanderfließen lässt. Keine Resignation, sondern ein Bekenntnis zum Weitergehen, zum Weitersagen, zum Weitersingen.

´Angebot und Nachfrage´ ist ein Lebenswerk im Miniaturformat, ein Kommentar zu unserer Zeit, ein poetisches Tagebuch, ein Manifest gegen das Verstummen. Heinz Rudolf Kunze bleibt, was er immer war: ein wütender, sensibler, hellsichtiger Künstler, der keine Angst davor hat, Klartext zu singen.

´Angebot und Nachfrage´ ist ein Werk, das bleibt. Ein Zeitdokument, das in seiner Wucht und Wahrhaftigkeit noch Jahre tragen wird.

(8,5 Punkte)

https://www.facebook.com/heinzrudolfkunze


Pic: Rene Gaens

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