
TANGERINE DREAM – From Virgin To Quantum Years: Coventry Cathedral 22
2025 (Kscope/Edel) - Stil: Electronic, Berlin School, Ambient, Progressive
In der kühlen, weiten Akustik der Kathedrale von Coventry schimmert sie wieder auf, die kosmische Signatur von TANGERINE DREAM. Fast fünfzig Jahre nach ihrem ersten, längst legendären Konzert an diesem Ort kehrte das deutsche Elektronik-Trio 2022 dorthin zurück. Drei Jahre später liegt diese Rückkehr endlich in voller Pracht vor, als opulentes Live-Werk ´From Virgin To Quantum Years: Coventry Cathedral 22´. Ein Konzert wie ein Dimensionssprung, zurück in die “Virgin”-Ära der Siebzigerjahre von TANGERINE DREAM, hinein in die kristalline Gegenwart der “Quantum Years”, durchzogen von einem Strom aus Klangpartikeln, der die Zeit auflöst.
Thorsten Quaeschning, seit dem Tod von Edgar Froese 2015 der spirituelle Hüter des TANGERINE DREAM-Feuers, lenkt die Sequenzermaschinen wie einen Flug durchs All. Paul Frick schichtet präzise rhythmische Raster in die Tiefe, während Hoshiko Yamane mit ihrer Violine wie ein Lichtstrahl durch die digitalen Nebel schneidet. Und als sphärischer Gast schwebt Steve Rothery (MARILLION) mit seiner Gitarre durch die Hallen, streut glitzernde Sternenstaub-Akkorde zwischen die modulierten Moog-Wellen.
Der Auftakt ´Stratosfear´ gleitet wie ein magnetischer Sonnenwind durch das Kirchenschiff, weniger rau als 1976, dafür eleganter und glatter. Mit ´Betrayal (Sorcerer Theme)´ steigen zäh fließende Synth-Schlangen aus der Tiefe, und plötzlich pulst wieder diese cineastische Dunkelheit durch das Gemäuer. Dann schwenkt das Trio nach vorn. ´Continuum´ und ´Raum´ sind wie gleißende Hyperloops aus ihren “Quantum Years”, kühl und doch voll innerer Glut.
´The Dream Is Always The Same´ und ´Love On A Real Train´ öffnen nostalgische Portale in die Achtzigerjahre, samt flirrenden Melodien, die wie flüssiges Licht durch die gotischen Bögen tanzen. Hoshiko Yamanes Violine schmiegt sich dabei an die Sequenzer wie Nebel an Säulen. ´Choronzon´ und ´You’re Always On Time´ bohren sich anschließend wie funkelnde Geschosse ins Raum-Zeit-Gefüge, pulsierend und von kristallener Klarheit.
Auf dem zweiten Silberling schieben sich neue Horizonte ins Blickfeld. ´Los Santos City Map´ mit seinem urbanen Beat zwischen Neon und Nachtregen, dann die schwebende Erinnerung an ´Tangram´, das schillernde ´Portico´, das sich nahtlos in ´Ricochet´ ergießt. ´White Eagle´ steigt als schimmernde Synth-Orgel auf, ´Phaedra´ dagegen rollt wie ein glühender Planet heran, langsam und bedrohlich. Und wenn Steve Rothery bei ´Kiew Mission´ seine Gitarre in die digitalen Flächen hineinfließen lässt, verschmelzen zwei Welten: analoges Atmen und elektronische Unendlichkeit. ´Cloudburst Flight´ schließlich entfaltet sich mit ihm zu einer gläsernen Hymne – ein Moment, in dem die Zeit stillsteht.
Der dritte Silberling gehört allein den „Coventry Cathedral 22 Sessions“ – frei schwebende Klangskulpturen, mal fragil wie gefrorener Atem, mal wie glühende Sonneneruptionen. In ´Session Pt. 04´ bricht Steve Rotherys Gitarre plötzlich auf, wie ein Komet, der durch die Hallen stürzt. Danach nur noch das Nachglühen der Maschinen und ein leises ´Closing Words´, ein Dank, ein Echo, ein letztes Flimmern.
´From Virgin To Quantum Years: Coventry Cathedral 22´ ist kein simples Nostalgiekonzert, sondern eine Zeitmaschine, die die DNA von TANGERINE DREAM neu verknüpft. Sie vereint die rohe Improvisationslust der „Virgin“-Jahre in den 70s/80s mit der kontrollierten Präzision der „Quantum Years“ seit 2015. Die Berliner Schule lebt hier weiter, doch mit der geschmeidigen Eleganz einer Zukunft, die nie ganz greifbar sein wird. Dieses Konzert ist ein bewusstes Ritual. Dort, wo Edgar Froese, Peter Baumann und Christopher Franke 1974 Geschichte schrieben, lassen Thorsten Quaeschning, Hoshiko Yamane und Paul Frick Vergangenheit und Gegenwart gemeinsam in den Kosmos aufsteigen.