
THE RAY BROWN TRIO – Soular Energy
1985/2024 (Analogue Productions) - Stil: Jazz
Wenn man ´Soular Energy´ auflegt – egal, ob als seltene “Concord”-Pressung, als japanisches Sammlerstück oder in der neuesten, liebevoll aufpolierten 45rpm-Audiophilen-Edition – dann legt man einen großen Moment der Musikgeschichte auf. Eingefangen in einem kleinen Studio in San Francisco, ohne Proben, aber mit Herz und Seele, entstand anno 1984 wahre Magie zwischen drei Musikern.
Ray Brown, der Pulsgeber, war kein gewöhnlicher Bassist. Er war der Bass und hat von den 1940ern bis in die frühen 2000er den Ton angegeben. Er spielte mit Charlie Parker, Oscar Peterson, Ella Fitzgerald (die er auch heiratete) und unzähligen anderen Legenden. Aber auf ´Soular Energy´ ist er der Leader, das groovende Rückgrat der Musik.
Gene Harris, der Pianist, der Gospel-Soul-Groover, begann seine Karriere als Soul-Jazz-Wunderkind bei THE THREE SOUNDS, ehe ihn Ray Brown aus der Versenkung ins Licht zurückholte. Und er kam zurück, mit Wucht, mit Eleganz, mit Läufen, die Gospel, Blues und Bop verschmelzen. Und Gerryck King, das Uhrwerk, spielte präzise, geschmackvoll und ohne Show. Er spielte nicht laut, aber energisch. Er war genau das, was ein Trio brauchte, eine lässige Autorität. Und er war jemand, der zuhören konnte.
Das Programm für ´Soular Energy´ bestand überwiegend aus Standards des kollektiven Gedächtnis des Jazz: ´Exactly Like You´, ´Teach Me Tonight´ oder ´Cry Me A River´. Lieder, die Ray Brown und Gene Harris in- und auswendig kannten, aber nie zusammen gespielt hatten. Doch genau das machte den Reiz aus. Keine Probe. Keine Routine. Nur Spielfreude. Im Studio ausgesucht, im Moment erarbeitet, aufgenommen, solange es sich richtig anfühlte. Dazu noch einen, am Vortag geschriebenen Song, ´Mistreated But Undefeated Blues´. Die pure Spontanität, eingefangen auf Band.
´Exactly Like You´, ´Cry Me A River´, ´Teach Me Tonight´ und ´Sweet Georgia Brown´ – das könnte doch tatsächlich das Repertoire von Hotelbars sein, möchte man mutmaßen. Aber nicht hier. Dieses Trio holt aus jedem Standard den Kern, reißt die Hülle der Routine ab und nimmt auf seine ureigene Art die Kompositionen auf. Nichts klingt abgestanden oder bemüht.
Bereits der Auftakt klingt äußerst lebendig. Eigentlich gar nicht vorgesehen, aber von Ray Brown im Studio vorgeschlagen, ist ´Exactly Like You´ eine sonnig swingende Angelegenheit mit einem Solo, das fließt, als wäre es seit Jahren gereift. Melancholisch, aber ohne Pathos entfaltet sich hernach ´Cry Me A River´, ein fast schwebendes Zusammenspiel, das Gene Harris mit lyrischer Klarheit führt. Ein Song, bei dem jeder Ton genau weiß, wohin er will.
Auch bei ´Teach Me Tonight´ gibt es kein im Vorfeld besprochenes Arrangement. Ray Brown schlägt den Song vor und im gleichen Moment formt die Band seine Durchführung. Ein lässiges und vertrautes Spiel, wie ein Dialog alter Kameraden. Die Geschwindigkeit des gewöhnlich aufgedrehten ´Take The A Train´ kehrt jedoch das Trio bewusst um. Der “A-Train” fährt langsam, mit schwerem Groove, fast schon funky durch die Straßen von Harlem wie durch aufgeweichten Sommerasphalt.
Der am Vorabend von Ray Brown noch auf einen Zettel geschriebene Song ´Mistreated But Undefeated Blues´ klingt spontan, roh und ehrlich. Zur Verstärkung stoßen Red Holloway am Tenorsaxofon, mit rauem, stählernen Ton, und die viel zu früh verstorbene Emily Remler an der Gitarre, mit klaren und feinfühligen Linien, einmalig hinzu. Somit ist das Lied ein seltener Moment von Quintett-Kraft auf einem ansonsten kammermusikalisch fokussierten Album.
Zart und reduziert wird es bei ´That’s All´, einem beinahe privaten Zwiegespräch zwischen Bass und Klavier. Ein von Musikern vorgetragener Song, die sich zuhören. Töne, die sich Platz lassen, sich einander anvertrauen. Die Pausen sprechen hier mit. Den für Gene Harris unbekannten Song ´Easy Does It´ muss Ray Brown im Anschluss erst vorsingen. Doch der Titel hält, was er verspricht. Es entsteht ein lässiger, entspannter Swing, der nichts beweisen will. Selbst der Groove des ewigen Gute-Laune-Songs ´Sweet Georgia Brown´ ist zum Schluss unheimlich ansteckend. Es ist der Moment, in dem Jazz nicht analysiert, sondern nur noch gefeiert wird.
Die Aufnahmen in den “Coast Recorders” von San Francisco im Jahr 1984 gehen ohne Tricks über die Bühne, nur Mikrofone, die festhalten, was im Raum geschieht. Und man wähnt sich in diesem Raum. Die Nähe zu den Instrumenten, das tiefe Knurren von Browns Bass, das metallische Klirren der Becken, die hölzernen Anschläge von Harris – das ist akustisches Storytelling. Und mit dem 2024er Reissue von “Analogue Productions” wird die Studiotür noch einmal einen Spalt geöffnet. Man befindet sich wieder in dem Aufnahmeraum. Denn diese Neuauflage, zwei Scheiben, 180g schwer, auf 45 Umdrehungen geschnitten, direkt von den originalen Mastertapes durch Kevin Gray im “Cohearent Audio Studio”, bringt mehr Tiefe und Klarheit, sie lässt die Musik freier atmen.
Diese Musik ist kein Produkt. Sie ist ein Erlebnis. Und die 2024er Wiederveröffentlichung von “Analogue Productions” gibt diesem besonderen Moment das passende Gewand: zwei Scheiben, gepresst bei “Quality Record Pressings”, wo Gary Salstrom persönlich Hand an die Lackplatten legt, und verpackt in ein neu gestaltetes Gatefold-Cover von Stoughton Printing im klassischen “Old Style Tip-On”. Diese Edition lässt dich nicht nur hören, sondern auch fühlen, was gespielt wurde.
Wer dieses Album noch nicht kennt, hat ein Kapitel echter Trio-Kunst verpasst. Keine verkopfte Free-Jazz-Akrobatik, kein aufgeblasenes Bebop-Gewitter. Sondern echte Wärme, echte Energie – eben ´Soular Energy´.
Es ist die Art von Musik, bei der man sich einen Scotch einschenkt, das Licht dimmt und sich daran erinnert, dass Musik nicht perfekt sein muss, um unter die Haut zu gehen. Sie muss nur echt sein. Und das ist diese Platte in jeder Rille.
https://www.facebook.com/analogueproductions
https://www.facebook.com/AcousticSoundsInc