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MEGACE – Human Errors

1991/2025 (Golden Core/ZYX Music) - Stil: Tech Thrash/Prog Metal

MEGACE aus Hamburg – gegründet 1988 von Melanie Bock, Jörg Schrör und Michael Müller – wollten mehr als nur prügeln. Anfangs noch, beim ersten Demo ´The Sign Of The Ape´, 1988, in der rotzigen Raserei des Speed und Thrash Metal verwurzelt, entwickelte sich ihr Sound innerhalb weniger Jahre zu einem musikalischen Puzzle aus Struktur, Wahnsinn und Präzision. Mit dem zweiten Demo ´This Is The News´, 1990, öffneten sich MEGACE der Welt des Vertrackten, des Versetzten, des Vielsaitigen. Und sie hatten etwas, das niemand sonst hatte: Melanie Bock – eine Sängerin, die kreischen, singen, flüstern und brüllen konnte, ohne je künstlich oder gewollt zu wirken. Eine Naturgewalt mit Intelligenz.

Dann erschien das Debütalbum ´Human Errors´, 1991, ein dokumentierter Wahnsinnsausbruch auf höchstem Niveau. Alle Songs wirkten, als hätten sie ein Eigenleben. Die Gitarren von Schrör und „Dirty“ Möller fächerten Klanglandschaften auf und das Drumming von Carsten Bachorz zerschlug Takte, nur um sie in neuen Mustern wieder auferstehen zu lassen. Über allem schwebte Melanie Bock. Sie war keine typische Frontfrau. Keine Shouterin im Macho-Modus, keine Opernimitation, keine Zierde. Sie war Erzählerin und ein Orkan. Ihre Stimme pendelte zwischen Zorn, Ironie, Verzweiflung und Klarheit, zwischen Flüstern und Schreien, zwischen Innenwelt und Anklage. In Songs wie ´Let Me Explain´ oder ´No Brain / No Pain´ wurde sie zum Zentrum eines musikalischen Mahlstroms, der immer wieder zwischen Klarheit und Kontrollverlust oszilliert. “It wasn’t me!”, flehte sie – und man glaubte ihr oder fürchtete sich zumindest vor dem, was sie weiß.

Musikalisch ist das Album auch über 30 Jahre später immer noch ein Parforceritt durch ungerade Takte, abrupte Riffwechsel und rhythmische Verwirrspiele. MEGACE spielen nie vertrackt, weil sie es können, sondern weil es das Konzept verlangt. ´Human Errors´ dekonstruiert den Thrash, um ihn von innen heraus zu verändern. Die Einflüsse von und die Übereinstimmungen mit anderen Formationen sind vielfältig. Von der anderen Seite des Atlantiks WATCHTOWER und REALM, aus hiesigen Graden MEKONG DELTA, SKEPTIC SENSE, BATTLEFIELD, DEATHROW, TARGET, HOLY MOSES – und doch klingen MEGACE nie wie ein Klon. Zu kompromisslos ist ihr Stil. Die Gitarren jagen sich gegenseitig durch Spiralen und Abgründe, während Bassist Christian Wulff (†2023) und Drummer Carsten Bachorz das rhythmische Fundament legen.

Der Opener ´Something Incomprehensible´ lässt keinen Stein auf dem anderen. Innerhalb von dreieinhalb Minuten werden Orientierung, Sicherheit und klassische Songstrukturen geopfert – zugunsten eines fiebrigen Soundrauschs, der sich mit der Zeile “Screaming, crying, misgiving… can’t explain and define´ wie ein manischer Gedankenstrom über die Hörenden ergießt. Direkt darauf folgt ´Law Enforcement Agency´, ein brachialer Angriff auf Autoritätsgläubigkeit und institutionelle Macht. Wenn Melanie sanft singt “To stand on the top, his fondest wish´, bevor die Riffs losbrechen wie Flutwellen, dann ist das kein Widerspruch, sondern pure Inszenierung von Spannung.

Mit ´Repetitions Of Human Errors´ erreicht das Album seinen ideologischen Kern. Fehler, die sich wiederholen, Kreisläufe, aus denen es kein Entkommen gibt. Musikalisch wie textlich spiegelt der Song eine Gesellschaft, die aus ihren Irrtümern nichts lernt. Alles wiederholt sich. Aber nie gleich. Riffs kehren zurück, doch sie sind verschoben, entstellt, verändert. Und über allem schwebt die Frage: Wie entkommt man einem System, das sich selbst immunisiert hat?

´Let Me Explain´ ist dann das emotionale Epizentrum, ein sechsminütiger Koloss, in dem sich Schuld, Verleugnung und Angst zu einem verzweifelten Geständnis verdichten. Doch keine Antwort ist endgültig, der Song gleicht einer Wanderung durch einen zerbrochenen Spiegel. Zum Abschluss der Seite A folgt mit ´Save Your Dignity´ eine melancholische Wucht, getragen von einem sich windenden Basslauf und Gesangslinien, die zwischen Trotz und Zerbrechlichkeit schweben. MEGACE zeigen hier ihre vielleicht menschlichste Seite, verletzlich, zweifelnd und aufrecht.

´No Brain / No Pain´ ist die bittere Satire des Albums als Ohrwurm. Jetzt zu Beginn der B-Seite als Abgesang auf die Selbstaufgabe zugunsten der Funktionstüchtigkeit. “Empty heads and empty hearts”, der Refrain bohrt ein wie ein rostiger Bohrer zu einer schroffen und hektischen Musik. ´Discord´ setzt anfangs auf leise Töne, ohne an Schärfe zu verlieren. Ein innerer Monolog, eine Orientierungslosigkeit, die gerade durch ihre Ruhe verstört. “Give a fuckin’ shit on what people say”, ist der einzige klare Ausweg, der angeboten wird. Doch selbst der wirkt nicht wie eine Lösung, sondern wie ein Fluchtimpuls.

Den regulären Abschluss macht ´Monofaces´, der ultimative Abgesang auf Individualität und Empathie. “It doesn’t count what you feel, what you wish – it’s not your function!” , diese Zeile ist nicht metaphorisch gemeint, sie ist eine Diagnose. Und MEGACE liefern den Soundtrack zu einer Gesellschaft, die ihre Menschen funktionalisiert hat. Kein Trost, kein Licht. Nur Musik, die den Schmerz benennt, ohne ihn zu lindern.

Der Re-Release im Jahr 2025 ist daher weit mehr als ein nostalgischer Blick zurück. Die Neuauflage wurde frisch gemastert, wobei CD und LP jeweils ein eigenes Mastering erhalten haben. Während die CD-Version zusätzlich die unveröffentlichten AAARRG-Demos von 1989 enthält – aufgenommen unter der Ägide von Ralph Hubert -, punktet die LP durch ein eigenständiges Klangbild mit analoger Wärme sowie dem ehemaligen Only-CD/MC-Bonustrack ´Better To Forget´. Der LP-Einleger bringt zudem endlich Licht ins Dunkel, mit Songtexten und raren Fotos.

´Human Errors´ ist kein Klassiker, weil es viele kennen. Es ist ein Klassiker, weil es etwas sagt, was andere Alben nicht einmal denken. Es ist eine Waffe aus Klang, ein Denkmal gegen Stumpfheit und Anpassung. In einer Zeit, in der Metal sich oft zwischen Reanimationsritualen des Altbewährten, seelenloser Virtuosität und der Teilnahme am ideologischen Fluss der Zeit verliert, wirkt MEGACE wie ein Mahnruf. Thrash war nie genug. Und Musik darf nie bequem sein.

´Human Errors´ ist ein Denkmal des progressiven Widerstands, musikalisch wie geistig. Es ist ein Album, das weh tut, weil es die Wahrheit kennt.

https://www.facebook.com/MegaceHamburg/

 

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