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CLOUDS – Once Upon A Time – The Collection

1969/2025 (Chrysalis Records/Proper-Bertus) - Stil: Prog Rock

Es war einmal eine Band, die mit fliegender Orgel, aber ohne Leadgitarre, den Grundstein für das legte, was später als Progressive Rock zur Blüte reifen sollte. CLOUDS wurden in Edinburgh Mitte der Sechzigerjahre gegründet, begannen ihren Weg noch unter dem Namen 1-2-3, und zogen wie ein wilder, experimentierfreudiger, klassisch geschulter und doch rockig roher Sturm in den Londoner “Marquee Club” ein. Für ihren Sound schwebte ihnen keine dominante E-Gitarre, sondern eine Hammond-Orgel als zentrales Ausdrucksmittel vor. Virtuos gespielt, mit improvisatorischem Feuer und jazziger Freiheit, war dies ein revolutionärer Ansatz, der sie von vielen Zeitgenossen abhob.

Es ist dieser fast mystische Ursprung aus dem das Box-Set ´Once Upon A Time – The Collection´ seine Strahlkraft bezieht. Diese liebevoll restaurierte 3-CD-Box enthält die komplette offizielle Diskografie der Band: ´The Clouds Scrapbook´ (1969), ´Up Above Our Heads´ (1970) und ´Watercolour Days´ (1971). Ergänzt wird sie durch nicht weniger als 23 bislang unveröffentlichte Stücke sowie ein prachtvoll gestaltetes 24-seitiges Booklet mit Essays der Bandmitglieder Billy Ritchie, Ian Ellis und Harry Hughes.

CLOUDS waren echte Pioniere, deren Geschichte oft im Schatten größerer Namen wie EMERSON, LAKE & PALMER, YES oder JETHRO TULL erzählt wurde, obwohl sie stilistisch häufig voraus waren. Billy Ritchie war der erste Rock-Keyboarder, der seine Orgel nicht nur als Begleitinstrument verstand, sondern sie ins Rampenlicht rückte. Eine Rolle, die sonst Gitarristen vorbehalten war. Dass CLOUDS dabei fast vollständig auf eine elektrische Gitarre verzichteten, machte sie umso bemerkenswerter. Nur gelegentlich wurde eine Akustikgitarre sparsam als klangliches Element integriert, jedoch nie solistisch, nie vordergründig. Keith Emerson und Rick Wakeman standen noch im Publikum, als CLOUDS bereits Bach-Zitate in Pop-Hits schraubten und mit Jazz-Phrasierungen experimentierten. Selbst ein junger David Bowie schrieb in einem Zeitungsartikel begeistert über sie. Und doch blieb der große Durchbruch aus. Nicht etwa, weil es an Qualität mangelte, sondern weil die Welt noch nicht bereit war.

´The Clouds Scrapbook´ (1969), das Debütalbum, wirkt wie eine geordnete Explosion. Ein Kaleidoskop aus psychedelischem Pop, Barock-Einschüben und dem noch ungeformten, aber deutlich spürbaren Geist des Prog Rock. Songs wie ´Waiter, There’s Something In My Soup´, ´Old Man´ oder ´The Carpenter´ strotzen vor britischem Esprit, Charme und Arrangierkunst. In der Rückschau wirkt das Album wie eine Blaupause für spätere Klassiker des Genres. Es zeigt eine Band, die noch staunend auf ihre Möglichkeiten blickt und sie dabei voll ausschöpft.

Nur ein Jahr später erscheint ´Up Above Our Heads´ (1970), ursprünglich ausschließlich in den USA veröffentlicht, und schlägt eine deutlich rauere, energischere Gangart ein. Statt der barocken Klangarchitektur stehen Groove, Drive und Live-Energie im Vordergrund. Die Band klingt ungeschliffener, freier, vielleicht kompromissloser. Die Songs wirken erdiger, manchmal fast soulig, mit deutlich mehr rhythmischer Wucht. Ein faszinierender Kontrast zum präzise gearbeiteten Debüt, der den ungebändigten Kern der Band offenlegt.

Mit ´Watercolour Days´ (1971), ihrem dritten und letzten Album, zeigen sich CLOUDS schließlich in voller Reife. Hier verbinden sich musikalischer Anspruch und emotionale Tiefe zu einem Werk, das bis heute berührt. Der Titelsong oder ´Leavin’´ sind melancholische Miniaturen, getragen von Billy Ritchies fein ziselierter Orgel und Ian Ellis’ warmer, verletzlicher Stimme. Man meint, in den Tönen bereits das nahende Ende herauszuhören, nicht als Resignation, sondern als bittersüße Akzeptanz. Die Songstrukturen sind fließender, weniger fragmentiert, fast sinfonisch. Ein Abschied in Würde und Schönheit.

Und dann sind da noch 23 bisher unveröffentlichte Stücke – Demos, B-Seiten, Raritäten –, die nicht bloß Anhängsel sind, sondern das musikalische Porträt der Band vollenden. Sie zeigen CLOUDS beim Experimentieren, beim Überwinden formaler Grenzen, beim Suchen nach Ausdruck. Manche Skizzen muten roh an, andere sind voll ausgeformte Kleinode.

Das begleitende Booklet ist gefüllt mit bislang unveröffentlichten Fotos, Erinnerungen und Anekdoten der Bandmitglieder selbst. Es bringt die Geschichte dieser unterschätzten Pioniere auf Augenhöhe mit ihren legendären Zeitgenossen. Dass diese Aufarbeitung über das einst von ihnen mitgeprägte Label “Chrysalis Records” erscheint, rundet das Ganze ab.

´Once Upon A Time – The Collection´ ist eine längst überfällige Verneigung vor einer Band, die nie laut war, aber dafür umso nachhaltiger wirkte. Für Liebhaber des frühen Prog Rock und der britischen Musikszene ist dieses Set ein kostbarer Schatz.


(VÖ: 29.08.2025)

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