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WATCHTOWER – Energetic Disassembly (Original Mix)

1985/2025 (High Roller Records) - Stil: Technical Metal

Für den Urknall des technischen Metal waren WATCHTOWER verantwortlich. Ihre Debütplatte ´Energetic Disassembly´ aus dem Jahre 1985 war so dermaßen schnell und abgedreht, disharmonisch und unkonventionell, dass im Vergleich zu WATCHTOWER spätere Tech Metal-Schwergewichte wie junge Musikschüler klangen.

Als die Jungs von WATCHTOWER im Jahre 1982 in Austin, Texas, zusammenfanden waren sie noch Teenager, doch mit vereinten Kräften spielten sie eine mathematisch zusammengefügte Version des Thrash Metal, derweil die meisten anderen Formationen noch nicht einmal die einfachsten Thrash-Riffs sauber nachspielen konnten. Bassist Doug Keyser wollte ein ebenso lebensveränderndes Werk wie ´A Farewell To Kings´ erschaffen, Gitarrist Billy White der kommende hyperintuitive Saiten-Hexer werden, Sänger Jason McMaster wollte Geddy Lee mit dem Gift des Punk vermischen und Schlagzeuger Rick Colaluca seine jazzigen Fähigkeiten mit robotischer Präzision verquicken.

Während landauf landab ein texanisches Metal-Netzwerk seine ersten Spuren hinterließ, mit S.A. SLAYER, HELSTAR oder MILITIA an vorderster Front, feilten WATCHTOWER im stillen Austin an ihrer neuesten musikalischen Wissenschaft. Bald schon aber teilten sie sich im “Ritz” in Austin oder dem “Cameo Theatre” in San Antonio die Bühnenbretter in längst verschwundenen Clubs, in denen sich damals Metalheads und Freaks die Hände reichten. Es gab sogar Nächte, in denen sie einfach ihren eigenen Auftritt absolvierten und so schnell wie möglich das Equipment aus dem Club rauswuchteten, um sofort wieder vor der Bühne Bands wie CELTIC FROST, VOIVOD, ANTHRAX oder TROUBLE anzuschauen. Die Achtzigerjahre waren in Texas genauso wild wie die Musik. Genau der richtige Rahmen für eine Band wie WATCHTOWER, die durch die Decke schießen wollte.

Die Produktion ihres Debütalbums war schließlich das Resultat endloser Proben, wöchentlicher Kassetten-Recordings und unaufhörlicher Detailarbeit. Woche für Woche wurden Fragmente, Bruchstücke und Ideen neu seziert und zusammengesetzt, rückwärts gedacht, vorwärts gefühlt und seitlich verschoben – bis die Lieder endlich aufgenommen werden konnten.

Doch als es endlich soweit war, als ´Energetic Disassembly´ am 30. November 1985 das Licht der Öffentlichkeit erblickte, auf 3.000 LPs und 1.500 Kassetten, wurde jedem Hörer schlagartig klar, dass dies kein Debüt im herkömmlichen Sinne ist. Energetic Disassembly ist ein Manifest, das der Physik den Mittelfinger zeigt. Alle acht Kompositionen scheinen durch einen Teilchenbeschleuniger geschickt worden zu sein. Jedes Stück ist ein Labyrinth aus rasenden Taktwechseln und entfesselten Schlagzeugschlägen, eckigen Riffs und gnadenloser Instrumentenakrobatik, jazzigen Harmonien und veränderlichen Gesangslinien.

Mit kalt schneidender Genauigkeit setzt sich ´Violent Change´ in Bewegung. Die Breaks sind scharf wie Glassplitter. Das Riffing wirkt, als hätte man Thrash Metal und Jazzrock in einem Reaktor eingeschlossen. Jeder Taktwechsel ist dabei ein Kontrollverlust auf das Kommando. Die Gitarren kreisen wie Hubschrauber um ein brennendes Gebäude, und darunter vibriert der Bass wie unter Strom, weil er noch am Netz hängt. Das ist der perfekte Wahnsinn: “Violent Change”– die Erde knallt mit brutaler Naturgewalt los, wir fühlen uns wie Marionetten in einem apokalyptischen Zyklus, unsere Versuche, Einfluss zu nehmen, prallen ab wie Staubkörner auf einem kollabierenden Planeten – schreit Jason McMaster gegen die lärmende Maschinenwand in weiser Voraussicht an.

Ein verschachtelter Aufbau. Alles ist schief, alles passt exakt. Ebenso die Soli. Alles drückt und drückt, im schizophrenen Riffmonster namens ´Asylum´. Psychotisch, kontrolliert, brillant. Die Stelle, bei der der Gesang dem Gitarrenriff Millisekunden genau folgt, scheint nicht von dieser Welt. Dazu die Lyrics, die einst wie das Tagebuch eines Paranoikers klingen, geschrieben in einem überbelichteten Raum: Wer das System infrage stellt, wird zum psychischen Feind erklärt. Wahnsinn als Waffe. Und doch bleibt Widerstand als einziger Ausweg aus dem Gefängnis der Ideale. – Ein musikalisches Kaleidoskop mit rostigen Kanten und vorausahnenden Worten.

Dann trifft ein thrashiger Aufbau auf episch überdrehte Solophrasen. ´Tyrants In Distress´ hämmert in beinahe eingängiger Weise, bis das außerirdische Solo den Spot entfacht. Der Refrain reißt alles auf. Ein Riff, das nach Freiheit schreit, aber in Ketten liegt. Man möchte mitbrüllen, weiß aber nicht, ob man das Mantra oder den Befehl erwischt hat. Der Text über Konformitätsdiktatur brennt wie Säure. Die Fall der Diktatoren bringt keine Erlösung, sondern rohes Chaos, als säße man mitten im Orkan der Gewalt. Die Rebellion kennt keine Sieger, nur zitternde Körper und brüllende Wut.

Kalter, paranoider Tech-Metal. Thrash Metal unter Steroiden, abermals zugänglich, dennoch zehn Schritte über dem Rest der Szene. Fortwährende elektrische Entladungen durchziehen ´Social Fears´, kein Moment zum Durchatmen. Das Schlagzeug wie Herzrhythmusstörungen, der Bass wie ein Argument gegen die Realität. Das Misstrauen wird zum Taktgeber. Hinter dem Deckmantel der Moral lauert Kontrolle – singt Jason McMaster prophetisch – Angst vor Wandel als Staat im Staat. Denn diese Maskerade verdeckt nur eine Tyrannei im Namen der Tugend.

Der Titeltrack. ´Energetic Disassembly´ – ein Manifest. Gitarrenläufe in 13/8, dann abrupt 9/8. Doug Keyser stiehlt hier allen die Show. Der Bass flackert und bebt, so dass das Stück zu einem seismischen Ereignis wird. Jeder Durchlauf verursacht einen neuen Einsturz im eigenen Kopf. Der atomare Overkill ist nur noch ein Knopfdruck entfernt, danach existieren keine Dimensionen mehr. Kein Song, ein nukleares Erdbeben, der Kopf zersplittert in Fakten und Staub.

´Argonne Forest´ ist eine Schlachtfeld-Komposition über den Ersten Weltkrieg. Gleichzeitig sphärisch und martialisch, was in der Regel kaum jemand hinkriegt. Hier tanzen Elefanten aus Stahl in einem Nebel aus Blut und Schlamm, Heldentum vernebelt von Kanonen und Schmerz. Obwohl thematisch düster, beinahe mit einer gewissen Melodik ausgestattet. Der Song riecht nach Gas, trägt Stimmen aus dem Untergang durch seine Riffs. Der Mittelteil klingt, als würden Soldatenstimmen aus dem Nebel rufen, es ist allerdings nur Hall, Tonart und Timing. Danach marschiert die Gitarre weiter, aber keiner folgt ihr.

Der absolute Peak. Beginnend mit einem fast lieblichen Bass-Riff, driftet ´Cimmerian Shadows´ in ein strukturelles schwarzes Loch. Chaos und Ordnung, simultan. Nach dreieinhalb Minuten zerreißen die Instrumente das Raumgefüge. Danach ist nichts mehr sicher. Der Song ist wie ein Blick in die Matrix, aber ohne Erlösung. Alles läuft parallel. Ein tsunamischer Hybrid aus Jazz, Tech und nihilistischem Wortgewitter. Kontrolliertes Kontrollverlust-Debakel. Es kollabiert das musikalische Raum-Zeit-Kontinuum und dennoch bleibt als Pulsschlag die Kontrolle.

Zum Abschluss trifft in ´Meltdown´ die Atomunfall-Thematik auf zerstörerisches Riffing. Der Song, ein Rückgriff auf ihren Beitrag zur “Cottage Cheese From The Lips Of Death”-Kompilation, wirkt retrospektiv fast gewöhnlich, aber nur, weil der Rest des Albums alles verschiebt, was „gewöhnlich“ mal war. Ein radioaktiver Katalysator für das, was noch kommen sollte. Dieses finale Inferno lässt nichts auslaufen – ein technischer Fehler und die Apokalypse rollt an, eine menschengemachte Katastrophe, aber längst nicht mehr kontrollierbar – es sprengt einfach die Tür ins Nicht-Zurück und hinterlässt ein Flimmern im Gehörgang. Danach Stille. Aber keine Erlösung.

Die Reaktionen auf die Veröffentlichung von ´Energetic Disassembly´ waren gespalten. WATCHTOWER waren schlichtweg zu komplex für die Metal-Puristen und zu brutal für die Prog-Fanatiker. Wer sie verstand, tat dies allerdings mit Haut und Hirn, so dass sich seither um das Album eine Art heilige Kult gebildet hat. Bootlegs, Vinyl-Rips, die rare “Zombo”-Pressung, später das CD-Reissue auf “Monster Records”, jede Version war ein Versprechen, dass Musik mehr sein kann als Noten, Stimme und Takt.

Doch der nukleare Dominoeffekt erfasste alsbald nicht nur Chuck Schuldiner (DEATH), der das Werk als einen der Katalysatoren für sein Album ´Human´ aus dem Jahre 1991 bezeichnete, auch Mike Portnoy, Devin Townsend, Jeff Waters, SIEGES EVEN, SPIRAL ARCHITECT, CYNIC, ATHEIST bekannten sich zur WATCHTOWER-Schule.

Denn wer ´Energetic Disassembly´ als Prisma versteht, um sich darin zu verlieren und seine Tiefe zu begreifen – wer es als mathematische Gleichung versteht, die nicht gelöst, sondern erlebt wird – wer Metal als Kunstform begreift, als Ort, an dem Intelligenz, Emotion und Technik kollidieren, wird in ´Energetic Disassembly´ eine Offenbarung erleben.

(Jahrhundertwerk)

“High Roller Records” veröffentlicht die 40‑jährige Jubiläumsausgabe von ´Energetic Disassembly´ im “Original Mix”, d.h. diese Version verwendet den ursprünglichen analogen Mix, wie er 1985 veröffentlicht wurde. Dieser authentische Sound wurde von Patrick W. Engel bei “Temple of Disharmony” neu gemastert.

Die “Original Mix”-Ausgabe mit silberner Heißfolienprägung ist limitiert auf insgesamt 750 Exemplare (350 Stück 180g black, 300 Stück silver & 100 Stück silver/ black galaxy effect Vinyl), samt Inserts mit Fotos und Lyriks, Poster und A5-Fotokarte.

Parallel zum “Original Mix” erscheint auch eine “Re‑Mix“‑Edition mit neuem Mix und Bonus-Tracks. Doch der „Original Mix“-Release verzichtet explizit auf Zusatzmaterial, um allein das originale, rohe, unverfälschte Klangbild der Erstveröffentlichung zu erhalten. Denn Audio‑Puristen freuen sich über den originalen Mix aus 1985, nur neu gemastert, somit alt im Charakter, aber frisch im Sound. Die historische Authentizität wird gewahrt wie sie 1985 gemeint war.

´Energetic Disassembly´ im “Original Mix” bleibt klanglich originalgetreu und ist perfekt für Nostalgiker und Sammler. Wer den ursprünglichen Klang in bestmöglicher Vinylauflage sucht, greift zu ´Energetic Disassembly´ im “Original Mix”.

(Jahrhundertwerk im Original-Sound)

01 Violent Change (Original Mix)
02 Asylum (Original Mix)
03 Tyrants in Distress (Original Mix)
04 Social Fears (Original Mix)
05 Energetic Disassembly (Original Mix)
06 Argonne Forest (Original Mix)
07 Cimmerian Shadows (Original Mix)
08 Meltdown (Original Mix)

Jason McMaster – vocals
Billy White – guitar
Doug Keyser – bass
Rick Colaluca – drums

https://www.facebook.com/OfficialWatchTower

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