
MINISTRY – With Sympathy
1983/2015 (Music On Vinyl) - Stil: New Wave/Synth Pop
Bevor MINISTRY die Hölle industrieller Maschinen entfesselte, bevor Al Jourgensen wie ein drogenvernebelter Mad-Max-Prophet durch das Industrial-Metal-Ödland marschierte, war alles ganz anders. Es war das Jahr 1983, die Haare toupiert, die Synthesizer auf Hochglanz poliert – und MINISTRY klangen wie die dunkle Vorband von DURAN DURAN auf einem schlechten LSD-Trip.
Ihr Debütalbum ´With Sympathy´ war ein kurioses Artefakt, ein Relikt aus einer Zeit, als Al Jourgensen noch seine Texte mit einem britischen Akzent vortrug, obwohl er aus Kuba stammte. Es ist jedoch nicht das musikalische Verbrechen, für das es der heutige Al Jourgensen hält, sondern ein charmant verkleideter Synthpop, der 1983 durchaus bereit war, die Tanzflächen zu erobern. Nur halt in Rehaugen und Röhrenhosen statt mit Patronengürtel und Stacheldrahtkrone.
Nachdem Al Jourgensen seine Frühzeit als Synthie-Romantiker tief im Giftschrank der Bandgeschichte vergraben hat – inklusive mehrfacher öffentlicher Distanzierung, einem angeblichen Ritualverbrennen der Masterbänder und mindestens 27 Interviews mit den Worten „This album is bulls**t“ –, holen wir es genau jetzt, über 40 Jahre später, mit Neugier wieder hervor.
Die Geburt eines Monsters – aber mit Eyeliner
Chicago, Anfang der 80er. In den Kellerclubs schweißt sich das Industrial-Underground-Puzzle langsam zusammen: “Wax Trax!” wird zur Zentrale des seltsam Elektronischen, Al Jourgensen – frischer Exil-Kubaner mit Gitarrenerfahrung und düsteren Ambitionen – hängt noch irgendwo zwischen THE CURE, KRAFTWERK und seinem eigenen Schatten fest.
1981 gründet er nach der Auflösung seiner Post Punk-Band SPECIAL AFFECT die Gruppe MINISTRY, ausgestattet mit einem ARP Omni-Synth, einem Drumcomputer und einer 4-Spur-Maschine. Mit einer Handvoll Demos landet er bei “Wax Trax!”. Jim Nash erkennt das Potenzial und veröffentlicht die 12’’-Single ´Cold Life´ / ´I’m Falling´. Diese wird zu einem kleinen Underground-Hit und ruft Clive Davis auf den Plan.
“Arista Records” winken mit einem fetten Plattenvertrag und einem Haufen falscher Versprechungen. MINISTRY sollen die nächsten JOY DIVISION werden. Oder wenigstens die amerikanische Antwort auf SOFT CELL oder auch HEAVEN 17 mit eingebautem Nebelgerät. In der Realität macht man sie zu THE HUMAN LEAGUE light. Und das Ergebnis ´With Sympathy´ klingt so britisch, dass selbst Morrissey im Queen’s English applaudiert hätte, wenn er gewusst hätte, dass Al Jourgensen eigentlich in Colorado zur Schule gegangen ist.
Ein Debüt wie ein Tanzkurs für Maschinen
Klanglich weht der kühle Synthie-Wind von Sheffield bis Boston, wo das Album aufgenommen wurde – bei “Syncro Sound”, unter den wachsamen Ohren von Vince Ely (PSYCHEDELIC FURS) und Ian Taylor. Wer hier den rauen, rostigen Maschinenlärm der späteren ´The Land Of Rape And Honey´ erwartet, wird von glitzernden Keyboardflächen und schmatzenden Drum-Sounds in die Arme genommen.
Al Jourgensen singt mit einem aufgesetzten britischen Akzent, als wäre er direkt neben Martin Gore zur Schule gegangen. ´Effigy (I’m Not An)´ eröffnet das Album mit einem fast goth-poppigen Understatement, das sich irgendwo zwischen BAUHAUS und BRONSKI BEAT bewegt. Wäre da nicht dieses durchschimmernde Funk-Verlangen, das spätestens bei ´I Wanted To Tell Her´ die Tanzfläche wie ein übermütiger DURAN DURAN-Bass entert.
Tanz den Synthpop, Al!
´Effigy (I’m Not An)´ startet wie der traurig blickende Bruder von ´Tainted Love´, nur mit mehr Pathos und weniger Chart-Ambition. Könnte auch ein PET SHOP BOYS-B-Seitentrack auf Absinth sein. ´Revenge´ klingt wie eine Schlägerei auf dem Dancefloor, mit Poloshirt und Kaschmirschal. Eingängig und trotzig zugleich, für alle, die beim Tanzen auch gern passiv-aggressiv sind.
Der heimliche Hit ist allerdings ´I Wanted To Tell Her´. Gaststar Shay Jones singt, als wolle sie sich von Chaka Khan adoptieren lassen, Al croont dazu wie ein hyperemotionaler Roboter mit Herzklappenfehler. Funky as hell. Und zu gut, um es bewusst zu übergehen. Die Single, die MINISTRY fast zum One-Hit-Wonder gemacht hätte, heißt ´Work For Love´ und tönt wie Flashdance auf 45 Umdrehungen. Irgendwo da draußen tanzt ein Aerobic-Lehrer im Glitzerbody immer noch dazu.
Eine verlorene B-Seite von Prince, wenn Prince sich mal mit Gary Numan betrunken hätte, möchte ´Here We Go´ sein, zwar pompöser als nötig, aber reizvoll. Schräger, und gruseliger, wird es mit ´What He Say´. Die Synthesizer gurgeln, Al gurgelt mit. Experiment gelungen, aber irgendwie fast schon wie TALKING HEADS im Spiegelkabinett.
Dann wird es melancholisch und fast tränenreich, Al singt mit fester Überzeugung ´Say You’re Sorry´. Die Telefonzelle läuft schon mit Tränen über, so dass der folgende Herzschmerz in Moll zum richtigen Zeitpunkt kommt. Doch singt Al ´Should Have Known Better´ allen Ernstes oder ist es Teil des “Arista”-Kompromisses? Der Abschluss ´She’s Got A Cause´ ist zumindest wie ein Tritt in die Tür zur dunkleren MINISTRY-Zukunft. Es blitzt eine gewisse Brutalität auf – verpackt in Seide.
Dieses Album wollte keiner …
Al Jourgensen will bis heute nichts mehr mit diesem Album zu tun haben. Verständlicherweise, da ihm “Arista” den Stylisten, den Produzenten und die Texte aufs Auge drückten. Die Frisur war zu hoch, die Kontrolle zu niedrig, und der Produzent zu sehr am Dancefloor orientiert.
Doch ´With Sympathy´ ist viel mehr als ein vergessen machen wollender Fehltritt. Es ist ein Dokument einer Zeit, als selbst Industrial-Pioniere noch tanzen lernen mussten – in Pluderhosen und Netzhemden.
Zwischen dem ganzen Glanz, Glitter und der New Wave-Gefallsucht brodelt bei genauem Hinhören schon die kommende Wut. Dieses Album ist der Moment, bevor der Pakt mit dem Maschinen-Teufel geschlossen wurde – der Synthpop-Vorglüher für ein Jahrzehnt des Lärms.
… aber es ist verdammt gut.
´With Sympathy´ klingt wie MINISTRY in einem Paralleluniversum, in dem DEPECHE MODE zu viel Funk gehört haben und Al Jourgensen seine dunkle Seite noch unter Kajal versteckt. Wer MINISTRY nur als lärmende Stahlfabrik kennt, wird hier die poppig schillernde Vorstufe entdecken – mit Humor, Groove und genug Herzblut, um sich zu fragen, warum Al Jourgensen das alles so sehr hasst.
´With Sympathy´ ist das Debüt, das MINISTRY nie wollten – und das du gehört haben solltest.
PS: Die “Music On Vinyl”-Wiederveröffentlichung aus dem Jahr 2015 liefert ´With Sympathy´ auf 180g schwerem Vinyl. Und so sauber, dass man beinahe Angst hat, den Plattenteller mit bloßen Händen zu berühren. Die Pressung ist flach wie Al’s damalige Ponyfrisur und so ruhig wie ein “Wax-Trax!”-Keller nach 4 Uhr morgens. Kein Knistern, kein Knacken, nur pure 80er-Synth-Glätte. Sogar analoge Wärme will man verorten. Ob die Masterbänder jedoch wirklich von der digitalen Guillotine verschont blieben, ist nicht ganz sicher, aber es klingt nach Original, nicht nach Digital auf Langspielplatte.