Lebensverlängernde WerkeMeilensteine

TESTAMENT – The Legacy

1987/2021 (Music On Vinyl/Atlantic) - Stil: Thrash Metal

´The Legacy´ von TESTAMENT erschien für die erste Welle des Thrash Metal im Jahre 1987 einige Jahre zu spät. Alle Thrash-Urgesteine hatten ihre Debüt-Alben veröffentlicht. Selbst die wegweisenden Fabelwerke wie ´Bonded By Blood´ (1985), ´Master Of Puppets´ (1986), ´Peace Sells…Who’s Bying (1986) und ´Reign In Blood´ (1986) waren schon in die Heldengalerie eingereiht. Dennoch wurde das Debüt von TESTAMENT noch ein Meilenstein der Bay Area-Thrash-Szene. Denn ´The Legacy´ war ein echtes musikalisches Vermächtnis, da es die rohe Energie früher Thrash-Aufnahmen mit melodischem Feinsinn und technischer Finesse vereinte. Und es ist bis heute schlichtweg ein unantastbarer Klassiker.

Ursprünglich 1983 in der Bay Area von Gitarrist Eric Peterson und seinem Cousin Derrick Ramirez unter dem Namen LEGACY gegründet – und mit Steve “Zetro” Souza am Mikrofon – mussten sich die Kalifornier vor der Vertragsunterzeichnung bei “Megaforce Records” im Jahre 1986 umbenennen und nach einem neuen Sänger umsehen. Den neuen Namen soll ihnen Billy Milano von S.O.D. vorgeschlagen haben, den neuen Sänger soll Steve Souza empfohlen haben. Und mit dem Einstieg von Chuck Billy als neuen Sänger vollzogen TESTAMENT den entscheidenden Wechsel in ihrer Entwicklung. Chuck Billy machte sich umgehend alle vorhandenen Kompositionen zu eigen, auch die unter dem Eindruck seines Vorgängers entstandenen, und wurde im Laufe der Jahre zur absoluten Ikone des Genres. Seine glanzvolle Vorstellung auf ´The Legacy´ darf als seine stärkste Gesangsleistung überhaupt angesehen werden. Nie wieder klang er so hungrig und so roh, nie wieder voll des jugendlichen Wahnsinns, so wild und so aggressiv, sowie nie wieder mit solch gelegentlich kreischenden High-Pitched-Screams.

Daneben entfachte das Duo Skolnick & Peterson einen einmaligen Gitarrenzauber. Alex Skolnick spielte im Alter von 18 Jahren fast um sein Leben. Seine Soli waren technisch brillant und songdienlich zugleich, mit einer melodischen Raffinesse und einem technischen Anspruch ausgestattet. Lieder wie ´Over The Wall´, ´Burnt Offerings´ und das epische ´Apocalyptic City´ bezeugten sein Ausnahmetalent. Derweil entfachte Eric Peterson auf der Rhythmusgitarre ein präzises Riffgewitter, düster und kompromisslos. Gemeinsam zündeten sie jegliche Aggressionsbestrebungen, hielten sich allerdings mit bloßen Machtdemonstrationen zurück, vermieden chaotisches Gefrickel und brillierten stets nachvollziehbar. Denn als musikalisches Gespann gehörten sie zu den besten Gitarren-Duos des Thrash Metal.

Die Rhythmus-Sektion wurde dabei oft unterschätzt und vergessen. Greg Christians Bass war auch in der Tat etwas zu leise gemischt, so dass sein metallischer Ibanez-Sound nur selten hervorblitzte, obwohl er in der Tiefe der Produktion spürbar war. Schlagzeuger Louie Clemente war nie der technisch versierteste seiner Zunft, doch auf ´The Legacy´ spielte er schnell, mit voller Energie und mit maximaler Hingabe.

Der Sound ergab sich natürlich noch aus einer echten Achtzigerjahre-Produktion, war leicht vernebelt und leicht hallend. Doch dieser rohe und wuchtige, leicht geisterhafte Kathedralen-Klang vermachte ´The Legacy´ diese besondere Atmosphäre.

Die echte Besonderheit an ´The Legacy´ ist allerdings der Balanceakt zwischen brutaler Geschwindigkeit und melodischem Songwriting. ´First Strike Is Deadly´ oder ´C.O.T.L.O.D.´ knallen mit einer massiven Intensität, während ´Alone In The Dark´ und ´The Haunting´ fast schon eine okkult anmutende, düstere Stimmung preisgeben.

Der Opener und künftige Live-Favorit ´Over The Wall´ explodiert sogleich in ein Hochgeschwindigkeits-Riff, das sowohl EXODUS als auch METALLICA gleichzeitig Ehre macht. In diesem Meisterklassen-Thrash auf hohem Tempo stechen Chuck Billys aggressive Shouts sowie Alex Skolnicks filigranes Solo heraus. Dem schließt sich der Banger ´The Haunting´ mit seiner unheimlichen Atmosphäre und geisterhaften Klanglandschaft an, die die Gitarren mit Delay und Reverb entwerfen. Währenddessen schwankt Chuck Billys Stimme zwischen Aggression und Okkult sowie die Band zwischen düster und heavy, ohne durchgehend aufs Tempo zu setzen.

Dann führt ein klassisches Gitarrenintro direkt in ein finsteres Riffgewitter von orientalischem Klange. Der Oberklassiker ´Burnt Offerings´ stößt in die totale Eskalation, samt schwarzer Magie und Alex Skolnicks Weltklasse-Solo. Auch ´Raging Waters´ stürmt mit brachialer Power, in einer Mischung aus Gewalt und Technik, in einem Trash-Galopp mit Chuck Billys aggressiver Performance. Alles nieder reißt jeodch innerhalb von zwei Minuten der klassische Speed-Thrasher ´C.O.T.L.O.D. (Curse Of The Legions Of Death)´. Der Song ist schon vorbei, bevor man ein- und ausgeatmet hat: kurz, schnell und kompromisslos. Gerade noch rechtzeitig für die damalige Zeit: mystisch, gewalttätig und übertrieben. Dem will der Hochgeschwindigkeitsklassiker ´First Strike Is Deadly´ nicht nachstehen, natürlich einfach gehalten und beinahe punkig.

Der Oberklassiker ´Do Or Die´ begeistert mit glänzenden Leads und einem unwahrscheinlich mitreißenden Drang, der songwritingtechnisch auf Augenhöhe mit den Großen steht. Noch melodischer wird nach seinem ikonischen Intro der vorletzte Song ´Alone In The Dark´. Ihm gelingt es bei den Leitgedanken Isolation, Wahnsinn und Verzweiflung sowohl eingängig als auch bedrohlich zu wirken. Und Chuck Billys Stimme bringt das auf den Punkt. Den krönenden Abschluss bildet das explosive Epos ´Apocalyptic City´, mit seinem Intro, seinem Aufbau und seiner Steigerung in den puren Thrash-Wahnsinn sowie natürlich Alex Skolnicks Ausnahme-Solo.

´The Legacy´ ist TESTAMENT in Reinform, ungeschliffen, melodisch, brutal und intelligent komponiert. Jeder Song ein Treffer, jedes Riff ein Manifest, jede Note ein Stück Geschichte. Daher sind Einordnungen oftmals irreführend und die Zuordnung von ´The Legacy´ zur zweiten Welle des Thrash Metal mehr als trügerisch, da TESTAMENT der Konkurrenz aus der ersten Welle in Sachen Aggression, Präzision und in puncto Melodie absolut ebenbürtig waren. Gleichwohl erschien ´The Legacy´ noch früh genug, um als Maßstab zu gelten, als unangefochtener Thrash-Klassiker. Und unterstützt durch die Rotation des Videos zu ´Over The Wall´ auf “MTVs Headbangers Ball” und Tourneen mit Größen wie ANTHRAX, MEGADETH und SLAYER katapultierten sich TESTAMENT mit ´The Legacy´ an die Spitze der Thrash-Bewegung.

Lange wurde ´The Legacy´ von schwachen Pressungen und einem unausgewogenen Mix ausgebremst – jetzt sorgt “Music On Vinyl” für Gerechtigkeit. Die 2021er-Ausgabe hebt den Sound des Debütalbums endlich auf das Niveau, das diese Thrash-Granate verdient.

Die Klangbühne wirkt breiter und definierter, die Balance zwischen Gitarren, Bass und Vocals ist stimmiger denn je. Das Album klingt dadurch auch nicht wie eine moderne Produktion, aber endlich wie ein gut gemischtes Werk seiner Zeit. Es wirkt wie ein stilles Remaster ohne seinen Charakter zu verfälschen. Das Ergebnis ist eine Pressung, die jede CD und frühere LP-Version übertrifft.

Auch physisch lässt “Music On Vinyl” keine Wünsche offen. Das 180g-Vinyl ist absolut plan, das Presswerk liefert makellose Qualität, und Oberflächenrauschen ist praktisch nicht vorhanden. ´The Legacy´ klang noch nie so sauber, druckvoll und lebendig. Wer bisher zögerte, weil frühere Versionen enttäuschten, sollte jetzt zugreifen. Diese Ausgabe ist klanglich das definitive Statement zu einem der stärksten Thrash-Debüts überhaupt.

(Klassiker)

https://www.facebook.com/testamentlegions

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