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BLIND GARY DAVIS – Harlem Street Singer

1960/2024 (Bluesville/Acoustic Sounds Series) - Stil: Blues

Eine alte Holzveranda in Harlem, eine Zigarette im Mundwinkel und der Rauch hängt schwer in der Luft. An dieser Stelle beginnt die Geschichte von Blind Gary Davis.

Er wurde 1896 in South Carolina geboren und war von Geburt an blind. Anstatt mit den Augen, begann er die Welt mit seinen Fingern zu ertasten, meiner ständig wachsenden Fingerfertigkeit. Piedmont-Blues wurde sein Ding, so fein und gleichzeitig grob wie abgeriebene Lederjacken.

Er spielte auf der Straße, in der Kirche, als ginge es um sein Leben. Er wurde Reverend und predigte das Evangelium, aber nicht mit einem Goldkreuz um den Hals, sondern mit einer abgenutzten Gitarre. Wenn er sang, klang das, als ob er mit Gott und dem Teufel gleichzeitig redete. Die ganze Folk-Szene in New York, Dylan, Van Ronk und die anderen, labten sich an seinem Sound wie kleine Kinder.

Dann kam ´Harlem Street Singer´, in nur drei Stunden aufgenommen, mit Rudy Van Gelder am Mischpult, dem gleichen Typen, der auch für all die Jazzgrößen gearbeitet hat. Aber hier ging es nicht um Saxophone, sondern um den echten Geist. Zwölf Songs. Einfach einmal durchspielen, keine zweite Chance. Nur Blind Gary Davis, seine Gitarre und seine Seele.

Vom ersten Ton in ´Samson And Delilah´, biblische Gewalt ausstrahlend, bis zu ´Death Don’t Have No Mercy´ – ist das mehr als nur ein Album, das ist eine Offenbarung. Blind Gary Davis zieht dich in die tiefen Abgründe und zeigt dir, dass der Tod keine Alternativen hat – keine Erlösung, kein Trick, kein Entkommen. Und dann, wenn du denkst, du versinkst, bringt er dich mit ´Twelve Gates To The City´ wieder nach oben, jubelnd und voller Energie.

Vergiss pompöse Gospelproduktionen mit Chören und Schnickschnack. ´Harlem Street Singer´ ist ehrlich, dreckig und roh. Du hörst das Kreischen des Stuhls, das Rascheln der Finger und die Power in seiner Stimme, so wie es sein sollte. Es ist Musik, die dich wirklich zwingt, zuzuhören.

Mach dir einen starken Kaffee und steck dir noch eine Zigarette in den Mundwinkel. Denn ´Harlem Street Singer´ aus der „Bluesville Acoustic Sounds Series“ ist kein seelenloser Geldmacher wie viele anderen Neuauflagen, die heutzutage rauskommen. Das ist mehr als nur eine Wiederveröffentlichung. Das ist ein richtiges Denkmal. Wer sich das nicht holt, hat keinen Funken Blues im Blut.

Die Pressung zu 180g ist echtes, schwarzes Gold. Kein billiger Plastikmist, der nach ein paar Mal Spielen schon mies klingt. Gepresst bei “Quality Record Pressings”, denn die liefern noch echte Qualität. Du legst die Nadel auf und was aus den Boxen kommt, klingt, als säße Blind Gary Davis direkt neben dir auf einem klapprigen Stuhl auf der alten Holzveranda.

Die Hülle ist auch ein schönes Ding, dick und rau, so wie früher. Kein schickes Digitaldruckzeug – das sieht aus, als hättest du es 1960 in einem Plattenladen in Harlem gefunden. Rückseite mit den alten Notizen, vorne ein ernster Blind Gary Davis, der dich anstarrt, als wüsste er schon, was du angestellt hast.

Und das Mastering ist natürlich echt stark. Remastered von den Originalbändern, die wahrscheinlich in einem kühlen Raum geschlummert haben. Kein langweiliges, aufgepepptes Zeugs, sondern warm und lebendig. Wenn Blind Gary Davis’ Finger über die Saiten gleiten, hörst du das Holz sprechen.

Und wenn du ganz still bist, hörst du vielleicht noch das Echo von Reverend Gary Davis, irgendwo zwischen Himmel und Harlem, immer noch predigend mit seiner Gitarre.

Aktuell wird ´Harlem Street Singer´ in der neuen, von „Craft Recordings“ und „Acoustic Sounds“ aus der Taufe gehobenen „Bluesville Acoustic Sounds Series“ wiederveröffentlicht.

Das Vinyl, im komplett analogen AAA-Mastering durch Matthew Lutthans, erscheint samt Obi-Streifen für den Sammler in einer unglaublich großartigen Pressung.

 

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