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TANGERINE DREAM – Rubycon

1975/2022 (UMC) - Stil: Electronic

Schwebend in einem Ozean aus Klängen, irgendwo zwischen Sternen und dem inneren Selbst – diese Klangreise verspricht ´Rubycon´, das sechste Album von TANGERINE DREAM, ein echtes Meisterwerk, entstanden aus der Kreativität von drei Talenten mit Synthesizern.

Die drei Traumreisenden waren Edgar Froese, Gründer und Gitarrist mit einer Vorliebe für das Kosmische, Christopher Franke, der Meister der Moog-Synthesizer, und Peter Baumann, der Klangkünstler, der aus Nichts etwas formt.

Diese drei Berliner saßen nicht einfach im Studio, sie haben sich mit ihren Maschinen unterhalten, als wären sie alte Freunde. Ihre Gespräche fanden in Richard Bransons “The Manor Studio” statt, wo das Album praktisch aus dem Nichts entstand.

Mit ´Phaedra´ hatten sie 1974 den ersten Schritt in eine neue Klangwelt unternommen. ´Rubycon´ war 1975 der nächste Sprung. Die Berliner Schule nahm Gestalt an: klare Strukturen und Sequenzen, aber immer noch mit einer ungebändigten Improvisation. Während ´Phaedra´ oft von Störungen lebte, ist ´Rubycon´ fokussierter, trotzdem bleibt es mystisch. Es bietet einen Klang, der wie Kommunikation aus einer anderen Welt klingt. Keine gewöhnlichen Melodien oder Refrains, nur Klänge, die sich entwickeln wie Gedanken im Halbschlaf.

Der erste Track ´Rubycon Part One´ – 17 Minuten pure Entstehung. Er beginnt mit Gongs und Tropfen in der Dunkelheit. Mellotron-Chöre erscheinen wie Geister, irgendwann wie Vogelgeschrei, ergänzt von Christopher Frankes Sequenzern. Plötzlich blubbern elektronische Klänge, als würde das Leben unter Wasser Gestalt annehmen. Da gibt es nichts, was einen festhält – nur Impulse aus der Stille. Und sobald du dich an die spacigen Klänge gewöhnt hast, ändert sich der Track. Wie ein Wesen, das sich in Echtzeit formt, entwickelt sich ´Part One´ weiter und pulsiert auf die Sonne zu.

Der zweite Teil ´Rubycon Part Two´ – tiefere Schatten und mehr Intensität. Er beginnt in einer sirenenhaften Stimmung, kurz vor einer psychischen Entladung. Schreiende Seelen, Piano-Melodien, rückwärts abgespielt, und Edgar Froeses verzerrte Gitarren ergänzen sich. Ein schneller und repetitiver Rhythmus, langsam drehen die Sequenzer auf, energischer und dringlicher. Man fühlt sich, als würde man durch die eigene Psyche tauchen – zwischen Furcht und Erleuchtung, samt Wellen- und Antriebsrauschen. Am Ende kommt alles im Licht zusammen, mit Flötenklängen und Synths, die wie Erinnerungen klingen. Es gibt kein echtes Finale – eher ein Erwachen.

Technisch ist ´Rubycon´ beeindruckend lebendig. Die Moogs, Mellotrons, ARPs und VCS3s klingen wie lebendige Wesen. Es zischt und brummt, wie eine Kraft, die von drei Musikern beschworen wird. Die Grenzen zwischen Geräusch und Musik verschwimmen. Die Grenzen von Anfang und Ende verschwimmen, es wird mehr und mehr zu einem Kreislauf. Es wirkt wie ein Bewusstseinserweiterer, ohne dass du dem Körper etwas zuführst. Alles ist Suggestion, alles ist Reise.

´Rubycon´ wirkt heute noch futuristisch. ´Phaedra´ ist vielleicht bekannter, aber ´Rubycon´ ist das tiefere Werk – das Album, das du hörst, wenn du alleine bist und dir die Decke wie ein Fenster in andere Welten erscheint. ´Rubycon´ ist ein Zustand, eine Art Meditation über Raum, Zeit und Klang. Alles fließt, alles vergeht, alles kommt zurück – wie ein Tropfen, der ins Wasser fällt und darin aufgeht. Der Moment für die Ewigkeit?

(Klassiker)

https://www.facebook.com/TANGERINEDREAM.OFFICIAL

 

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