
LORD VIGO – Walk The Shadows
2025 (High Roller Records) – Stil: LORD VIGO / Epic Independent Metal Wave Rock
Alles neu macht der Mai, oder? Die mythischen Männer aus den östlichen Karpaten Landstuhls machen auch 2025 genau das, was sie am Besten können: Sie überraschen mit Kreativität, ohne ihre Identität zu verlieren.
Was eigentlich “nur” als digitales Geschenk zum 10-Jährigen für die öbeyende Gefolgschaft geplant und nicht einmal sicher unter dem Bandnamen verbreitet werden sollte, hat sich glücklicherweise zum einem weiteren Highlight des Bandkatalogs entwickelt.
LORD VIGO springen dabei nicht auf die nächste Underground-Sonderfahrt in Richtung UNTO IDLE OTHERS HANDS auf, sie greifen bisher nicht genutzte Songs aus ihrer BEAUTYFUL DEAD-Zeit auf, in der sie sich schon längst im Postpunk, Wave und Dark Rock auslebten.
Die Herzen der Brüder Vinz & Volguus und ihrem Saitensidekick Tony wurden ihnen nicht etwa von den SISTERS OF MERCY entrissen, nein – sie schlugen und schlagen seit jeher für Heavy Metal, sodass damals bereits THE BEAUTYFUL DEAD epische Parts mit elegischen Gitarren beinhaltete und es sich nun wiederum um ein astreines LORD VIGO Album handelt, welches sich eben nur noch abwechslungsreicher und stilübergreifender präsentiert.
Noch schwant dem True Metaller nichts Böses, als sich die Nadel tänzelnd durch ´A Morbid Realm´ bewegt; das stimmungsvoll-bombastischste aller Intros, welches man sich nur wünschen kann. Es sei denn, man hängt immer noch an dem einstigen vermeintlichen Qualitätsaufdruck veralteter Coveraussagen wie „auf dieser Platte wurden keine Keyboards benutzt.“ HA! Und tschüss.
Ivos Drums und Zuuls Bass geben die neue Marschrichtung vor, die Gitarren von Volguus und Tony spielen eine ihrer unverkennbaren elegischen Melodien und über allem thront Vinz’ unvergleichlich leidende Stimme. Eigentlich alles beim Alten. Und doch schon irgendwie wieder reifer, runder, perfekter, melodischer, mystischer… und universeller.
Der Titelsong ´Walk The Shadows´ ist eine dieser Hymnen, die Freunde aus allen Richtungen emotionaler Schwärze zusammenbringt und das zugehörige Video zeigt trotz Studiodreigestirn eine mittlerweile live zusammengewachsene Band, die obendrein noch eine Hommage an den unvergessenen David Lynch (1946-1925) auf “Zelluloid” verewigt hat.
Direkt einen mutigen Schritt weiter. Keine Angst, kommt nur mit. ´Through A Glass Darkly´ vermag meine ungeschickten Worte in Musik zu pressen. Von Anfang an wird durch den Postpunk-/Darkwave-Rhythmus klar, daß LORD VIGO die sakrale Bedeutung der Schwestern der Gnade für die Musikszenen Independent/Gothic als auch Metal verinnerlicht haben. Da wird aus einem anfänglichen Postpunk-Tanzflächenreisser eine mächtige Epiknummer im Refrain, die sich in dein Hirn frisst und du sofort überlegst, wie du live dazu bangen wirst.
Zaghaft hört der True Metaller weiter, denn auch in den 80ern mochte er diese Klänge eigentlich schon, durfte es jedoch nie zugeben. Willkommen in der Gegenwart. Seid ihr selbst. Schwimmt euch frei. Gebt zu, wenn euch was gefällt.
Auch wenn der vermeintlich erhobene Zeigefinger ´We Shall Not´ zu sagen scheint, wird gerade dieses federleichte, sphärische Stück sämtliche Kehlen zum Mitgrölen bringen. Mehr 80er geht kaum noch, der Solopart zwinkert fast schon dem Oldfield’schen Gitarrenspiel zu. Verdammte Axt, wie kriege ich dieses ´We Shall Not´-Mantra wieder aus der Rübe?
Dann isses soweit. Totale Masturbation. Es geht doch noch mehr 80er, denn der Geist von RUSH tritt mit ´Killing Hearts And Endless Nights´ aus dem Schatten. Als ob die Kanadier damals bei einem London-Urlaub in der Tube einen der besten Underground-Wave-Songs geschrieben hätten. Sowas von perfekter Hommage an eine der bedeutendsten Bands aller Zeiten in eigener Handschrift statt tumbem Cover habe ich noch nie gehört.
Wo ist jetzt aber der Metal, fragt mein truer Kumpel schon wieder. Obacht geben, länger leben. Der Metal ist hier überall. Metal hat LORD VIGO geprägt. Nun prägen LORD VIGO den Metal. Denn er ist mehr als eine Geschwindigkeit, ein Rhythmus, eine Anzahl von Riffs und eine Art zu screamen. Metal ist ein Gefühl, welches diese Songs durchfliesst wie die Macht den Jedi. Ansonsten hätten Bands wie SARACEN, SACRED BLADE, VAUXDVIHL oder andere niemals Kultstatus in Metalkreisen erreicht.
´Servant Of The Dark´ hebt sich somit nicht als typisches LORD VIGO „fist-in-the-air“ Stück heraus, sondern verschmilzt in seiner Art perfekt mit den anderen Stücken, die genau das sind, was auf dem Album draufsteht.
Das mutigste und auch schönste Experiment dieser grenzenlosen Vielseitigkeit ist zweifelos ´The Triumph Of The Killing Heart´, welches in einem anderen Zeitalter eines anderen Paralleluniversums mal den Arbeitstitel ´Gaylord´ trug. Yes, Fockers. Hier geht’s um wahre Schönheit, Akzeptanz und ein Fitzelchen Humor.
Na, wer ist jetzt noch dabei von euch süssen Struwwelpeter:innen? Alle? Dann gibt es wohl doch noch Hoffnung für den Planeten. Und zur Belohnung folgen die letzten 12 Minuten von einer der 10 wichtigsten Scheiben des aktuellen Jahrtausends:
Für das Grande Finale müsst ihr jetzt aber die Füsse stillhalten. Manche träumen von einer Reise zu den ´Seven Moonz Of Xercez´, andere finden sich im Universum von DEAD CAN DANCE wieder.
Wiederum Anderen wird schlagartig bewusst, daß all’ diese Songs zu THE BEAUTYFUL DEAD Zeiten mit dem Mastermind von THE END OF MUSIC, MURDER SHE WROTE & CAPTAIN WESTIBLE AND THE ORCHESTRA D’AMOUR – Axel Westrich – entstanden sind und man erinnert sich glücksselig an epische Longtracks wie ´A Voice From Eternity´, ´Palmyra´, ´Egypt´ oder die ´Diva Trilogy´.
In dieser Tradition steht das beschwörende ´El Hakim´ mit einem stetigen Spannungsaufbau, der letztendlich in die geliebte LORD VIGO-Hymnenhaftigkeit mündet und den Kreis schliesst.
Hier ist sie also: die aktuelle Vision der Vergangenheit, in der verschiedene Genres zum Sound der kommenden Zeitalter verschmelzen und genau das ist es, was LORD VIGO und ihre Liebe zu Sci-Fi in der zeitgenössischen Metalszene ausmachen: Die Musik der Zukunft schon heute. Ohne Plastik. Nachhaltig aus Holz und Edelmetall, garniert mit stimmungsdienlichen Soundteppichen und kontrollierten Einsprengseln aus der Digitalwelt. Mensch und Maschine. Human Emotion first. Einmalig und unnerreicht.
Auf jeglicher globalen als auch universellen Skala musikalischen Verständnisses als auch purer emotionaler Euphorie ergibt das Höchstpunktzahl.