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CHARLIE MINGUS – Blues & Roots

~ 1960/2023 (Analogue Productions/Atlantic 75 Series) – Stil: Jazz ~


Der US-amerikanische Jazz-Musiker Charles Mingus studierte beim Solobassisten der New Yorker Philharmonie und erlangte schnell die Reputation eines Bass-Wunderkindes. Eigentlich hatte er sich bei der lebensentscheidenden Auswahl eines Instruments in das Cello verliebt, doch im Jazz war dieses nicht von Belang und in der klassischen Musik eine Karriere aufgrund seiner Ethnie ausgeschlossen.

Der aus dem Santa Cruz County in Arizona stammende Musiker tourte beizeiten mit Louis Armstrong, spielte mit Duke Ellington und mit Charlie Parker, ehe er sein eigenes Label gründete und mit großen Ensembles seine eigenen Visionen erforschte.

Der Kontrabassist, Pianist und Bandleader Charlie Mingus ging als einer der größten Jazzmusiker sowie der Autor und Kompositeur Charlie Mingus als einer der größten Komponisten in die Geschichte ein.

Innerhalb von zehn Jahren nahm er über 30 Studioalben auf, von denen ihm das 1956er Werk ´Pithecanthropus Erectus´ zum Durchbruch verhalf. Gefolgt vom 1957er ´The Clown´, ersann er in jenen Tagen ein Meisterwerk nach dem anderen. Vor allem ´Mingus Ah Um´ aus dem Jahre 1959, ´Charles Mingus Presents Charles Mingus´ aus 1960, ´The Black Saint And The Sinner Lady´ aus 1963 sowie ´Mingus Mingus Mingus Mingus Mingus´ aus 1964 sind dabei unbedingt zu erwähnen.

Ein weiteres Ausnahmewerk erschien 1960 unter dem Titel ´Blues & Roots´. Da dieses zu den großen Scheiben der Jazz-Geschichte zu zählen ist, erscheint es derzeit zum 75-jährigen Jubiläum von „Atlantic Records“ wieder auf Vinyl.

Dem haben sich „Analogue Productions“ angeschlossen und veröffentlichen die Scheibe ihrerseits auf einem 180g schweren Doppel-Vinyl mit 45 rpm, natürlich gepresst bei „Quality Record Pressings“, vom Original-Masterband von Kevin Gray gemastert, in einem wunderbar dicken Tip-on Gatefold Double-Pocket Jacket.

Die bekannte Zusammenarbeit von „Acoustic Sounds“, „Analogue Productions“ und „Quality Record Pressings“ führt zu diesem legendären Sound, der die Pressung besser als jede andere zuvor klingen lässt und den Zuhörer unverfälscht und authentisch scheinbar direkt neben dem Künstler in dessen Aufnahmestudio platziert.

 

 

Die Ausnahmestellung von ´Blues & Roots´ in Charlie Mingus‘ langer Diskografie erläuterte er in den Linernotes des Werkes selbst: „Diese Platte ist ungewöhnlich, sie präsentiert nur einen Teil meiner musikalischen Welt: den Blues. Vor einem Jahr schlug Nesuhi Ertegün (Jazz-Produzent bei „Atlantic Records“) vor, dass ich ein ganzes Blues-Album im Stil von „Haitian Fight Song“ (aus der 1955er LP ´Mingus At The Bohemia´) aufnehmen sollte, weil einige Leute, insbesondere Kritiker, meinten, ich hätte nicht genug Swing. Er wollte ihnen eine Flut an Soulmusik bieten: kirchlich, bluesig, swingend, erdig. Ich habe darüber nachgedacht. Ich wurde mit Swing geboren und habe als kleiner Junge in der Kirche in die Hände geklatscht, aber ich bin erwachsen geworden und mache gerne andere Dinge als nur Swing. Aber Blues kann mehr als nur Swing. Also stimmte ich zu.“

Charlie Mingus nahm sich der Einschätzung an und kehrte zu den Ursprüngen schwarzer Musik zurück, obwohl er selbst deutsche, britische, chinesische, indianische und afroamerikanische Wurzeln besaß. In großer Besetzung, mit vier Saxophonen und zwei Posaunen, mit Musikern, die das Gespür und das Ohr dafür hatten, spielte er ´Blues & Roots´ mit ausschließlich Eigenkompositionen am 4. Februar 1959 in den „Atlantic Studios“ von New York City ein. Er skizzierte den Blues, Gospel und New Orleans Jazz innerhalb seiner einfachen Strukturen und ließ in aller Komplexität sein neunköpfiges Ensemble parallel zueinander aufspielen. Mit dem Blues als Grundlage kreierte Charlie Mingus seine eigene Musik für den Sonntagsgottesdienst.

 

 

´Wednesday Night Prayer Meeting´ quartiert den Hörer im Methodisten-Gottesdienst zu Zeiten von Charlie Mingus‘ Kindheit ein. Die Saxophone plappern, später wird es mit Zwischenrufen und Klatschen noch unruhiger, John Handy am Altsaxophon, Willie Dennis an der Posaune, Horace Parlan am Klavier, Booker Ervin am Tenorsaxophon und Dannie Richmond am Schlagzeug stechen dabei mit ihren solistischen Darbietungen vor dem Hochaltar heraus.

Auf den Gospel folgt in den heiligen Hallen der Blues. Das ´Cryin‘ Blues´ betitelte Lied für das Hochamt wird von einem Tenorsaxophon-Solo durch Booker Ervin eröffnet, ehe Meister Charles Mingus ein Bass-Solo tanzt und sich das Piano sowie Altsaxophon durch Horace Parlan und Jackie McLean anschließen. Die Himmelskomposition ´Moanin’´ wird von Pepper Adams‘ legendärer Bariton-Melodie bestimmt, zu der sich kreischend, schreiend und hüpfend Altsaxophon, Baritonsaxophon und Tenorsaxophon in der menschlichen Gestalt von Jackie McLean, Pepper Adams und Booker Ervin hinzugesellen.

Die Saxophone plappern in ´Tensions´ wieder so wild durcheinander, dass man meinen könnte, die Fahrzeuge vor dem Kirchenhaus würden einträchtig zu hupen beginnen. Die Soli von Charles Mingus am Bass, Jackie McLean am Altsaxophon, Booker Ervin am Tenorsaxophon, Horace Parlan am Piano und Dannie Richmond an den Drums verschaffen jedoch Klarheit.

Dagegen swingt sich ´My Jelly Roll Soul´ nach der Predigt in die guten alten Tage des Jazz zurück. Solistisch treten hier Posaune, Piano, Altsaxophon, Schlagzeug und Bass in den Vordergrund, Jimmy Knepper, Horace Parlan, Jackie McLean, Dannie Richmond und Charles Mingus. Den Schlusspunkt im Gottesdienst setzt der hastige Blueser ´E’s Flat Ah’s Flat Too´ in einem Aufbau von Pyramidenlinien, das heißt die Instrumente spielen einem Kanon gleich, derweil Piano, Tenorsaxophon, Altsaxophon und Schlagzeug durch Mal Waldron, Booker Ervin, Jackie McLean, John Handy und Dannie Richmond weitere solistische Vorstellungen darbieten.

Das berauschendste Werk von Charles Mingus, die seelenvollste Kirchenmusik von Charles Mingus ist bis zum heutigen Tag ´Blues & Roots´.

(Klassiker)

 

 

Charles Mingus – Bass
John Handy – Altsaxophon
Jackie McLean – Altsaxophon
Booker Ervin – Tenorsaxophon
Pepper Adams – Baritonsaxophon
Jimmy Knepper – Posaune
Willie Dennis – Posaune
Dannie Richmond – Drums
Horace Parlan – Piano
Mal Waldron – Piano on #6

 

https://www.facebook.com/charlesmingus/