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OCTOPUS – The Lost Tapes

~ 2023 (Sireena/Broken Silence) – Stil: Kraut/Prog Rock ~


Es gibt viele Musikliebhaber, die in den Siebzigerjahren auf OCTOPUS gestanden haben oder vielmehr auf ihre Sängerin Jennifer Hensel. Denn die Psychedelic/Space und Kraut Rocker veröffentlichten 1977 ein mächtiges Gesellenstück, ihr meisterliches Debütalbum ´The Boat Of Thoughts´.

Die deutsche Combo trat mit diesem Werk nicht nur mit ELOY und GROBSCHNITT, sondern auch mit der englischen Konkurrenz in einen Wettstreit. Aus einem Frankfurter Studentenwohnheim heraus wollten sie die Welt erobern. Schließlich besaßen sie die Manpower, mit Peter Hensel an der Gitarre und Hans-Paul Sattler an Mellotron und Fender Rhodes. OCTOPUS waren somit eine der wenigen Gruppen, die in jenen Tage live mit Mellotron auftraten.

Sie besaßen zwischen all ihren Rhythmus- und Themenwechseln neben melancholischen und himmlisch melodischen Momenten eine großartige Energie. Aber vor allem hatten sie die Womanpower mit Sängerin Jennifer Hensel, die aufgrund ihrer kraftvollen Stimme gar mit Janis Joplin verglichen wurde und alle Abwerbungsangebote ausländischer Mitbewerber ablehnte.

Alle standen auf Sängerin Jennifer Hensel, deren weitere Mitstreiter, Bassist Claus D. Kniemeyer, Schlagzeuger Dieter-Paul Becke und Keyboarder Werner Littau, allerdings nicht unerwähnt bleiben sollen.

 

 

Bevor OCTOPUS jedoch ihr Debütalbum aufnahmen, stellten sie in ihrem Frankfurter Studentenwohnheim ein 90-minütiges Live-Programm auf die Beine und traten 1974 allein in Deutschland über 25mal auf. In eben diesem Sommer fassten OCTOPUS den Entschluss, in Eigenregie ins Studio zu gehen. Sie nahmen im Studio „Panne und Paulsen“ in Frankfurt-Heddernheim auf einem dereinst modernen 8-Spur-Recorder eine Musikkassette auf, um sich bei Plattenfirmen zu bewerben.

Aufgrund dieser Aufnahmen bot ihnen Günther Körber von „Sky-Records“ 1976 einen Plattenvertrag an. Es entstanden für „Sky-Records“ insgesamt drei Studioscheiben mit Sängerin Jennifer Hensel, doch die Demo-Musikkassette geriet in Vergessenheit. Erst unlängst fand sie Sängerin Jennifer Hensel (jetzt Jennifer Kowa, auch THE RADIO, KOWA) bei der Suche nach alten Aufnahmen auf ihrem Speicher.

 

 

Der Klang dieser nun als ´The Lost Tapes´ veröffentlichten alten Aufnahmen entspricht natürlich trotz frischem Mastering weiterhin einer Demo-Aufnahme, ist aber dennoch problemlos zu goutieren. Denn was OCTOPUS in diesen Tagen krautig und progressiv vom Stapel lassen, Tasten-Duelle und Gitarreneruptionen, gibt seine ganze musikalische Pracht auch noch hinter einem leichten Nebel preis.

Traumhaft ist ohnehin, Sängerin Jennifer Hensel nochmals in ihrer Sturm-und-Drang-Zeit erleben zu dürfen, obwohl sie bei aller instrumentaler Zurschaustellung der Siebzigerjahre nicht durchgehend im Mittelpunkt steht. OCTOPUS präsentieren in einem einzigen Rausch Kompositionen wie ´Judgement Day´ und ´World Of Cruelty´ sowie die epischen, siebenminütigen ´Time In My Hands´ und ´The Shadow Of Your Smile´. Dass sich der Prog Rock auch gerne an der Klassik reibt, unterstreicht die Verarbeitung einer Komposition des italienischen Missionars und Barockkomponisten Domenico Zipoli unter dem Titel ´Zipoli´. Als weiterer und großer Höhepunkt erweist sich letztlich das neunminütige, scheinbar in Nullkommanichts verstreichende Epos ´Son Of Sorrow Part I´.

Musikliebhaber haben insofern ein neues Objekt der Begierde: ´The Lost Tapes´.

 

 

https://www.facebook.com/OCTOPUS.Frankfurt/


Pics: OCTOPUS